Sahra Wagenknecht (Archivbild: Juni 2023)
analyse

Wagenknecht-Partei Das Wundermittel gegen die AfD?

Stand: 08.01.2024 07:18 Uhr

Das "Bündnis Sahra Wagenknecht" wurde Ende Oktober als Verein vorgestellt. Heute wird daraus eine Partei. Umfragen bescheinigen ihr viel Potenzial. Ist Wagenknecht die Konkurrenz, die die AfD das Fürchten lehren wird?

Eine Analyse von Kerstin Palzer, ARD-Hauptstadtstudio

Bisher gibt es kein Programm, keine Landesverbände, lediglich fünf DIN-A4-Seiten mit dem, was man sich politisch vornimmt. Und es gibt Umfragen, die der "Wagenknecht-Partei" ein politisches Potenzial von knapp 30 Prozent bescheinigen.

"Glauben Sie, dass eine neue Partei unter Führung von Sahra Wagenknecht für Deutschland gut oder weniger gut ist?" Diese Frage im ARD-DeutschlandTrend vom November beantworten 36 Prozent aller Befragten positiv für Wagenknecht. Für eine Partei, die es zum Zeitpunkt der Befragung noch gar nicht gab, ist das ein sehr gutes Ergebnis.

Kerstin Palzer, ARD Berlin, über die offizielle Gründung der Partei "BSW" von Sarah Wagenknecht

Mittagsmagazin, 08.01.2024 13:00 Uhr

Fast noch wichtiger: Mit Abstand am meisten begeistert von der neuen Partei zeigen sich die AfD-Anhänger. Von ihnen sagen 61 Prozent, dass sie die Parteigründung der ehemaligen linken Politikerin gut oder sogar sehr gut finden. Und damit liegen die Sympathien dieser Wählerinnen und Wähler auch deutlich ausgeprägter bei Wagenknecht als die der Linken-Wählerschaft.

Klassische Wählergruppen der AfD

"Für die AfD ist eine Wagenknecht-Partei auf jeden Fall die größte Gefahr", ist sich die Politologin Sarah Wagner von der Queens University in Belfast sicher. Sie hat im vergangenen Sommer mit Kollegen eine Studie erstellt, die sich intensiv mit den Wählergruppen auseinandersetzt, für die eine neue Partei interessant wäre.

Das Ergebnis zeigt: Am meisten Zustimmung bekam Wagenknecht von Menschen, die kulturell konservativ, skeptisch gegen Migration und allgemein unzufrieden mit der bestehenden Demokratie in Deutschland sind. Menschen, die sich für höhere Spitzensteuersätze aussprechen und die sich mehr staatliche Hilfe für Menschen mit schlechtbezahlten Jobs wünschen, die aber nicht verstehen, warum man so viel Geld in Umweltschutz investieren muss oder warum Trans-Menschen mehr Rechte bekommen. Das sind exakt die klassischen Wählergruppen der AfD.

Die Wissenschaftlerin hat auch ganz konkret nach den Sympathien unter bisherigen AfD-Wählerinnen und -Wählern für Wagenknecht gefragt. Auf einer Skala von -5 bis +5 vergaben die jetzigen AfD-Wähler die Note +2 für Wagenknecht. AfD-Parteichefin Alice Weidel schnitt nur etwas besser ab (+3).

Das Ergebnis ist auch deshalb interessant, da Wagenknecht zu diesem Zeitpunkt ja noch in einer anderen Partei - nämlich bei den Linken - eine wichtige Rolle gespielt hat. "Das sind Zahlen, die man sonst nicht kennt, dass Wähler einer Partei der Spitzenpolitikerin einer anderen Partei so viel Sympathie entgegenbringen", betont Wagner.

Alternative zur rechten Alternative

Wagenknecht selbst spricht immer wieder davon, dass sie - und ihre neue Partei - eine Alternative zur rechten Alternative sein will. So schreibt das Bündnis auf seiner Homepage unter dem Punkt "Freiheit": "Rechtsextreme, rassistische und gewaltbereite Ideologien jeder Art lehnen wir ab."

Die neue Partei wird eine weibliche Doppelspitze haben. Sahra Wagenknecht und Amira Mohamed Ali werden sich den Vorsitz teilen. Mohamed Ali war einst die Nachfolgerin von Wagenknecht als Fraktionschefin der Linken im Bundestag, resignierte wegen der teils hasserfüllten Machtkämpfe in der Fraktion und in der Partei und trat schließlich vergangenes Jahr gemeinsam mit Wagenknecht aus der Linken aus. Zwei Frauen, deren Väter aus dem Iran und aus Ägypten stammen, zwei Politikerinnen, die sich allein wegen dieser Herkunft gegen rechtsextreme, rassistische Tendenzen verwahren.

Wagenknecht und auch Mohamed Ali betonen aber schon länger, dass sie der AfD Stimmen abnehmen wollen. Beide glauben, dass viele die AfD nur deshalb wählen, weil sie wütend und enttäuscht sind. Bereits in der Pressekonferenz zu Vereinsgründung sagte Wagenknecht: "Wir bringen eine Partei an den Start, damit all die Menschen, die auch aus Wut, aus Verzweiflung, aber eben nicht, weil sie rechts sind, jetzt darüber nachdenken, AfD zu wählen oder das auch schon gemacht haben, damit diese Menschen eine seriöse Adresse haben."

"Große Glaubwürdigkeit aufgebaut"

Im Gründungspapier des Vereins "Bündnis Sahra Wagenknecht" steht, dass Zuwanderung eine Bereicherung sein kann. Das BSW will Zuwanderung aber auf eine Größenordnung begrenzen, "die unser Land und seine Infrastruktur nicht überfordert". Diese wenigen Aussagen zur Migrationspolitik werden für überzeugte AfD-Wähler kaum attraktiv sein. Warum die Light-Variante wählen, wenn man das rigorosere Original haben kann?

Die Politologin Wagner sieht in der Migrationsskepsis von Wagenknecht aber auch deren Attraktivität für viele Menschen. "In den letzten zehn, fünfzehn Jahren hat man Sahra Wagenknecht immer im Kontext von zu vielen Flüchtlingen und Migrationsskepsis wahrgenommen, bei Talkshows und allen anderen ihrer Medienauftritte", so Wagner. "Und da hat man sehr deutlich gesehen, dass sie sich nicht nur komplett unabhängig von der Position der Linken gemacht hat, sondern auch eine große Glaubwürdigkeit aufgebaut hat, was dieses Thema anbelangt. Menschen vertrauen ihr, dass sie weiß, wovon sie redet."

Partei für viele Enttäuschte?

Der DeutschlandTrend bestätigt diese These. Auf die Frage, warum die Wahl einer neuen Partei unter Führung Wagenknechts grundsätzlich für sie infrage käme, antworteten 40 Prozent "aus Enttäuschung von anderen Parteien", 28 Prozent nannten "die Person Sahra Wagenknecht" als Grund und 25 Prozent nannten die "Migrationspolitik." Die Politik zum Thema Geflüchtete, Asyl und Einwanderung ist also wichtig, aber nicht alles entscheidend.

Das ist auch die Einschätzung der Politikwissenschaftlerin Wagner: "Es gibt auch Protestwähler, Menschen, die sich nicht auf der gleichen Linie befinden, wie ein Björn Höcke beispielsweise. Und diese Menschen können jetzt eine politische Heimat finden, weil Sahra Wagenknecht zwar ähnliche Themen bedient, aber nicht - zumindest noch nicht - diese extremen Flügel hat."

Schon bei der Bundestagswahl 2017 sind 400.000 Wählerinnen und Wähler von den Linken weggegangen und zur AfD gewechselt. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine mittlerweile weiter nach links gerückte Linke diese Menschen zurückgewinnt, ist sehr gering. Wenn es Wagenknecht gelingt, mit überzeugenden Kandidaten bei den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg anzutreten, ist es deutlich wahrscheinlicher, dass diese neue Partei der AfD Stimmen wegnimmt.

Sabine Henkel, ARD Berlin, tagesschau, 08.01.2024 07:51 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 08. Januar 2024 um 08:07 Uhr.