Linken-Parteitag in Augsburg Wie befreit
Diszipliniert beschließt die Linke ihr Europawahlprogramm, die Einigkeit ist groß: Ohne das Wagenknecht-Lager wirkt die Linke wie befreit. Doch auch der Parteitag in Augsburg bleibt nicht ohne Aufreger.
Es ist ein Bild mit viel Symbolkraft für die künftige Ausrichtung der Linkspartei: Am Samstag verirrt sich ein Schmetterling auf die Bühne in der Messehalle Augsburg. Behutsam wird er von einem Mitglied des Parteitagspräsidiums in die Hand genommen und von der Bühne gebracht. Die Bewahrung der Schöpfung steht jetzt ganz oben auf der Agenda der Linkspartei.
Die Partei wirkt befreit an diesem Wochenende in Augsburg. Befreit von Sahra Wagenknecht. Diszipliniert beschließt sie ihr Wahlprogramm für die Europawahl. Die Einigkeit ist groß. Es gibt kaum echte inhaltliche Diskussionen um größere Themen oder knappe Abstimmungen über Änderungsanträge. Die Konflikte um die großen Linien gibt es nicht mehr, seit Wagenknecht die Partei verlassen hat.
Nahost-Debatte endet mit Kompromiss
Nur beim Thema Nahostkonflikt debattiert die Partei am Freitagabend wie die alte Linkspartei. Es wird klar: Hier sind die Flügel in der Partei noch am weitesten auseinander. Am Samstagmorgen nach der Debatte erklärt Parteichefin Janine Wissler, dass einige Aussagen und auch die Tonalität, "dem Leid der Menschen im Nahen Osten nicht gerecht" geworden seien. Wissler meinte wohl unter anderem einen Delegierten, der Israel einen "Genozid" und "ethnische Säuberungen" vorgeworfen hatte.
Schon am Freitagabend hatte der ehemalige Berliner Kultursenator Klaus Lederer solchen Delegierten aber die Leviten gelesen. Lederer beklagte, dass einige Linke die tiefe Zäsur des Terrorangriffs der Hamas auf Israel nicht verstanden hätten. Es könne keine Zweifel geben über die ideologischen Grundlagen der Hamas. Die Bezüge zur NS-Vergangenheit seien gewollt. Der Angriff auf Israel sei eine "genozidale Gewaltorgie" gewesen. Am Ende der Debatte steht ein Kompromiss auf Vorschlag des Parteivorstandes. Israel und die Hamas werden darin gleichermaßen zu einem Waffenstillstand aufgerufen.
Aufregung um Spitzenkandidatur
Erst als die Wahl der Kandidatinnen und Kandidaten für die Europawahl beginnt, kommt nochmal Aufregung in den Parteitag. Parteichef Martin Schirdewan hat plötzlich einen Gegenkandidaten um Platz eins der Kandidatenliste. Der nutzt seine Bewerbungsrede für eine Beschimpfung der Partei und eine Lobrede auf Wagenknecht. Zum Abschluss seiner Rede erklärt er seinen Austritt. Zeitweise ist unklar, ob er trotzdem kandidieren darf. Im Wahlgang erreicht der Kandidat etwa zwei Prozent der Stimmen und wird schließlich von Sicherheitsleuten aus dem Saal begleitet.
Trotz der Aufregung ist die Wahl um Platz zwei eigentlich die wichtigere für die Partei. Dort stellt die Linke die Parteilose Carola Rackete auf. Die Öffentlichkeit kennt Rackete vor allem als Kapitänin und Seenotretterin, die im Jahr 2019 die Konfrontation mit den italienischen Behörden gewagt hatte, weil sie als Kapitänin eine Seenotrettungsschiffs geflüchtete Menschen ohne Erlaubnis der Behörden an Land gebracht hatte.
Neue Erzählung mit Risiko
Rackete steht wie keine andere für den neuen Kurs der Partei. Die Linke will so etwas wie eine verbesserte Grüne sein. Die neue linke Erzählung lautet, man sei die einzige Partei, die glaubhaft sozial und ökologisch sei. Damit will man enttäuschten Wählerinnen und Wähler von SPD und Grünen eine neue Heimat geben.
Doch der neue Kurs ist nicht ohne Risiko: Aktuelle Umfragen sehen die "Nach-Wagenknecht-Linke" eher unter der Fünf-Prozent-Hürde. Es stellt sich die Frage, wie die Linkspartei mit der westdeutschen Seenotretterin Rackete im Osten punkten will.
Rackete fremdelt noch mit der Partei, die sie aufstellt
Und auch in der Person Rackete selbst liegt ein Risiko. Die Spitzenkandidatin hat keine Erfahrung in der Politik. Auch im Umgang mit Medien ist sie unerfahren. In einem Interview mit der "Zeit" tritt sie in dieser Woche bereits in ein großes Fettnäpfen. Sie lässt sich zu der Aussage hinreißen, die Linke müsse sich stärker mit ihrer SED-Vergangenheit beschäftigen und vielleicht auch ihren Namen ändern. Das kommt in der Partei nicht gut an. Auf dem Parteitag muss sie sich in ihrer Bewerbungsrede entschuldigen.
Mit 77, 8 Prozent bekommt Rackete ein deutlich schlechteres Ergebnis als Parteichef Schirdewan. Und dass, obwohl sie ohne Gegenkandidatin antritt. Auf dem Weg ins Europaparlament dürfte das für sie aber wohl kein Problem werden. Bei der Europawahl gilt keine sogenannte Sperrklausel. Schon bei einem Wahlergebnis in Höhe von etwa zwei Prozent könnte Rackete deshalb ins Europaparlament einziehen.