Weniger Ausgleichsmandate War die Wahlrechtsreform 2020 verfassungskonform?
Eigentlich ist die Wahlrechtsreform von 2020 längst überholt. Trotzdem entscheidet das Bundesverfassungsgericht heute, ob sie verfassungskonform war. Das könnte Folgen für eine Wiederholungswahl in Berlin haben.
2017 hatte die Zahl der Bundestagsabgeordneten stark zugelegt. Statt einer gesetzlichen Richtgröße von knapp 600 saßen mehr als 700 Abgeordnete im Parlament. Daraufhin änderte die damalige Große Koalition von Union und SPD 2020 das Wahlrecht in einigen Punkten. Die damalige Opposition von Grünen, Linken und FDP kritisierte, dass die Reform bestimmte Parteien bevorzugen würde, vor allem die CSU. Deshalb klagte sie vorm Bundesverfassungsgericht.
Bei der Reform 2020 wurde ins Gesetz geschrieben, dass es in bestimmten Fällen keine Ausgleichsmandate mehr gibt. Bislang war es so gewesen, dass Parteien, die besonders viele Erststimmen bekommen hatten, zusätzliche Plätze im Parlament erhielten. Es sollte gewürdigt werden, dass konkrete Personen viele Stimmen bekommen hatten. Damit aber das Verhältnis zu den anderen Parteien im Parlament nicht durch die zusätzlichen Plätze aus dem Lot geriet, bekamen die anderen Parteien dann auch noch zusätzliche Sitze, eben die sogenannten Ausgleichsmandate. Das führte aber auch dazu, dass der Bundestag immer größer wurde.
Mit der Reform von 2020 wurden dann aber nicht mehr alle Direktmandate ausgeglichen. Konstantin Kuhle, Rechtspolitiker der FDP, hält das für verfassungswidrig. "Wenn die Wählerinnen und Wähler eine bestimmte Partei wählen, dann müssen sie sich darauf verlassen können, dass die Partei entsprechend dieses Wahlergebnisses im Deutschen Bundestag vertreten ist, und dass nicht eine andere Partei plötzlich mehr Sitze hat, als sie nach dem Wahlergebnis eigentlich zustehen."
Juristin: CSU wird so bevorzugt
Bei der mündlichen Verhandlung im April in Karlsruhe wurden die Bundestagsfraktionen von FDP, Grünen und Linken von der Parteienrechtsexpertin Sophie Schönberger, Rechtsprofessorin an der Universität Düsseldorf, vertreten. Auch für sie ist die Wahlrechtsreform verfassungswidrig. "Das Problem mit den unausgeglichenen Überhangmandaten ist, dass sie eine Partei, nämlich die mit den Überhangmandaten, bevorzugen. Die bekommt nämlich mehr Mandate, als ihr eigentlich nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen. Das ist statistisch gesehen nach diesem Wahlrecht in aller Regel die CSU."
Ein weiterer Kritikpunkt aus Sicht von Grünen, Linken und FDP: Das Wahlrecht sei mittlerweile viel zu kompliziert. Die Wählerinnen und Wähler blickten nicht mehr durch, was mit ihren Stimmen geschieht. Das sehen die Vertreter von Union und SPD anders. Wählerinnen und Wähler müssten nicht alle Rechenoperationen beim Wahlrecht bis ins letzte Detail verstehen, so der Abgeordnete Ansgar Heveling.
Folgen für mögliche Wiederholungswahl in Berlin
Im März dieses Jahres hatte der Bundestag mit den Stimmen der Ampelkoalition eine neue Reform des Wahlrechts beschlossen und alle Ausgleichsmandate abgeschafft. Insoweit urteilt das Bundesverfassungsgericht über ein Wahlrecht, das es so nicht mehr gibt.
Dennoch sei die Überprüfung wichtig, so die Vizepräsidentin des Gerichts, Doris König, in der mündlichen Verhandlung. "Denn zum einen sind die jetzigen 736 Abgeordneten des Deutschen Bundestags auf der Grundlage des verfahrensgegenständlichen Wahlrechts gewählt worden. Zum anderen wird eine mögliche Wiederholungswahl zum Bundestag in Berlin auf der Grundlage dieses Wahlrechts stattfinden müssen." Heute um 10 Uhr wird das Gericht seine Entscheidung verkünden.