Bundeswehr-Personalsorgen Werben statt verpflichten
Der Bundeswehr fehlt Personal. Doch wie soll die Lücke geschlossen werden? Eine Wehrpflicht scheint vom Tisch. Mit einem kostenlosen Führerschein und Hilfe bei Ausbildungsplätzen will die SPD die Truppe attraktiver machen.
In der Wortwahl liegen SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert und Bundeskanzler Olaf Scholz weit auseinander. In der Sache nicht. Die Personallücke bei der Bundeswehr hat Kühnert nach der gestrigen Präsidiumssitzung seiner Partei "ein veritables Problem" genannt. Scholz dagegen hatte vor zwei Wochen bei einem Besuch in Schweden gesagt: "Es geht um eine Aufgabe, die überschaubar ist."
In Zahlen bedeutet das: Mehr als 181.000 Soldatinnen und Soldaten verfügt die Bundeswehr aktuell, angestrebt werden allerdings 203.000. Ob die Personallücke nun veritabel oder überschaubar ist - klar ist die Richtung: Werben statt Wehrpflicht.
"Incentives" bei der Bundeswehr
Lösen muss das Problem ein ganz anderer: Verteidigungsminister Boris Pistorius. Der hat gestern im SPD-Präsidium berichtet. Details hat Kühnert nicht genannt. Es gehe um vertrauliche Beratungen und im Verteidigungsministerium würden verschiedene Modelle noch "final erarbeitet". So weit, so bekannt. Grundsätzlich aber, sagt Kühnert, gebe es bereits in den allermeisten Punkten Übereinstimmung. Statt von Pflicht ist nun vor allem von Motivation die Rede.
Wie gewinnt man junge Menschen für den Dienst an der Waffe? Es beginnt erstens mit besserer Information: Welche Perspektiven bietet die Bundeswehr? Welche persönlichen Entwicklungsmöglichkeiten? Das könnte pünktlich zum 18. Geburtstag geschehen.
Zweitens: Wie wird die Bundeswehr ein attraktiverer Arbeitgeber? Ein Vorschlag: mit dem Angebot eines kostenlosen Führerscheins. Eine weitere Idee: Hilfe bei Ausbildungs- und Studienplätzen. "Elemente der Attraktivierung" nennt das der SPD-Generalsekretär. Im Unternehmens-Englisch würde man von "Incentives" reden. Kühnert spricht von "Dienst leisten wollen", nicht von "Dienst leisten müssen".
Das schwedische Modell - ohne Pflicht geht es nicht
Vor ein paar Monaten sah das noch ganz anders aus. Verteidigungsminister Pistorius war auf mehrtägiger Dienstreise in Skandinavien, auch um sich das schwedische Modell des Wehrdienstes anzusehen. In einer Musterungsbehörde in Stockholm wurde ihm erklärt, dass dort schon mal die eine andere Träne fließe. Denn Schweden kennt durchaus eine Dienstpflicht.
Die sieht allerdings ganz anders aus als die frühere deutsche Wehrpflicht. Die schwedischen Behörden schreiben alle 18-Jährigen an - bereits die Antwort darauf ist verpflichtend.
Eingeladen zur Musterung wird allerdings nur ein kleiner Teil der jungen Frauen und Männer, davon genommen ein noch kleinerer Teil. Dann geht es nicht mehr um Wollen, sondern um Müssen. Es soll eine Auswahl der Besten sein - deshalb gilt das vielen gilt als Auszeichnung, Aber natürlich ist nicht jede und jeder begeistert. Pistorius fand dieses Modell damals "besonders geeignet".
Überzeugungsarbeit statt Verpflichtung
Allerdings hat SPD-Kanzler Scholz bereits vor zwei Wochen angedeutet, dass er bei Pflichtmodellen nicht mitgehen werde - ebenfalls in Stockholm, wenn auch nicht in einer Musterungsbehörde.
Er sprach in Schweden angesichts der Personallücke von besagter "überschaubarer Aufgabe". Und signalisierte, dass man mehr um geeignete Kandidaten werben müsse. "Es geht letztendlich darum, wie wir es erreichen können, dass wir genügend Frauen und Männer davon überzeugen, in der Bundeswehr zu arbeiten und dort eine Aufgabe für sich zu finden." Überzeugungsarbeit also statt Pflichtdienst.
Der Wehrdienst, wie es ihn bis 2011 in Deutschland gab, ist für den Kanzler ohnehin vom Tisch. In Spitzenzeiten hatte die Bundeswehr fast 500.000 Soldaten. Das aber würde nicht mehr funktionieren, so Scholz. Weder brauche man so viele Menschen, noch habe man die nötigen Gebäude, Waffen und Ausbilder dafür.
SPD-Spitze gegen "Zwangsdienst"
Die Spitze der Sozialdemokratie hatte schon früh deutlich gemacht, dass sie eine Rückkehr zur Pflicht im Wehrdienst nicht will. Für SPD-Co-Chef Lars Klingbeil ist ein "Zwangsdienst nicht mehr zeitgemäß". So seine Wortmeldung im Januar. Noch früher kam eine Absage von SPD-Co-Chefin Saskia Esken. "Ich halte wenig von einer Wiedereinführung einer Pflicht, einer Verpflichtung von erwachsenen Menschen, schon mal grundsätzlich aus meinem Menschenbild heraus."
Flankiert wurde Esken damals im Dezember von SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich. Auch er findet, die Bundeswehr müsse vor allem als Arbeitgeber attraktiver werden. Nur: Reicht das, um die Personallücke tatsächlich zu schließen? Zumal in einer Zeit von Fachkräftemangel und vielen händeringend suchenden Unternehmen?
Alle einig?
Last but not least: Eva Högl, Wehrbeauftragte des Bundestages. Sie hat vor wenigen Tagen dem "Focus" gesagt, Freiwilligkeit statt Zwang sollten im Mittelpunkt stehen. Wie man trotzdem auf 203.000 Soldatinnen und Soldaten kommt? Auch ihre Lösung ist ein attraktiver Dienst. Mit Anreizen, von Startkapital bis hin zu "Vorteilen bei der Suche nach einem Ausbildungs- oder Studienplatz".
Da auch FDP-Chef Christian Lindner und Grünen-Vorsitzender Omid Nouripour wenig von einer Wehrpflicht halten, scheinen inzwischen eigentlich alle einig zu sein. Nur der Verteidigungsminister hat - zumindest offiziell - noch nichts gesagt. Doch wenn Kühnert mit seiner "Übereinstimmung in den meisten Punkten" recht hat, scheint auch SPD-Mann Pistorius den Grundgedanken der Freiwilligkeit mitzutragen. Was er tatsächlich will, das will er in den kommenden Wochen vorstellen.