Interview

Kommunikationsexperte Trebbe "Seehofer - so weit rechts wie möglich"

Stand: 31.10.2015 03:41 Uhr

Seehofers Drohgebärden in der Flüchtlingspolitik sind Teil seiner Strategie innerhalb der Großen Koalition, erklärt Kommunikationsexperte Joachim Trebbe im Gespräch mit tagesschau.de. Der CSU-Chef agiere wie ein Zocker, der versuche, so weit wie möglich nach rechts zu gehen.

tagesschau.de: Steckt hinter Seehofers Drohgebärden in der Flüchtlingskrise eine Strategie?

Joachim Trebbe: Es ist vor allem wohl überlegte strategische Kommunikation im Hinblick auf die Ausgestaltung der Großen Koalition. Die CSU ist der konservative Rand der Union. Das versucht Seehofer in der Flüchtlingsdebatte deutlich zu machen. Er vertritt eine wesentlich restriktivere Flüchtlingspolitik als die Sozialdemokraten in der Koalition. Dieses Flügelspiel wird sehr deutlich.

Zur Person

Joachim Trebbe, geboren 1965, ist seit August 2011 Professor für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der Freien Universität Berlin. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich Medien und Migranten.

Merkel als sozialdemokratische Kanzlerin

tagesschau.de: Flügelspiel - auch zwischen Kanzlerin Angela Merkel und Seehofer?

Trebbe: Merkel wird als sozialdemokratische Kanzlerin der Union bezeichnet. Die CSU und insbesondere Seehofer sind in der Union dafür zuständig, die konservative Seite in Richtung rechter Rand zu bedienen. Das heißt, deutlich zu machen, dass in der Koalition eine sehr starke konservative Perspektive vertreten ist. So werden innerhalb der Union zwei Flügel abgedeckt.

Gerade in der CDU wird der Ruf nach einer restriktiveren Flüchtlingspolitik deutlich. Merkel repräsentiert das nicht. Es ist an Seehofer, den Anhängern der Partei das Gefühl zu geben, die Politik der offenen Grenzen habe auch in der Union einen Gegenpol. Das zeigt sich etwa bei der Diskussion um Obergrenzen. Das ist Seehofers Chance.

tagesschau.de: Warum ist Seehofer für diese konservative Seite wichtig?

Trebbe: Er fordert Merkel heraus, er erzeugt Handlungsdruck. Das gibt der Union die Möglichkeit, ihr gesamtes politisches Spektrum zu kommunizieren. Auf der einen Seite ist Merkel - auf der anderen Seehofer. Dieses Spiel hat Seehofer in den vergangenen Jahren perfektioniert. Er sagt: "Wir sind Teil der Union, wir sind aber trotzdem nicht einverstanden mit dem, was die CDU in Berlin macht." Damit kann er extremere Positionen benennen, die so in Berlin nicht durchsetzbar sind. In gewisser Weise ist Seehofer ein Zocker, der versucht die Große Koalition an die Grenzen des Belastbaren zu bringen.

"Städte und Gemeinden im Nacken"

tagesschau.de: Merkel vertritt die Position der offenen Grenzen, Seehofer das Gegenteil. Wie funktioniert das Zusammenspiel?

Trebbe: Beide haben sehr unterschiedliche Funktionen. Das darf man nicht unterschätzen. Jeder weiß genau, was er vom anderen zu erwarten hat. Seehofer ist Ministerpräsident von Bayern. Bayern ist sehr stark mit dem hohen Flüchtlingsandrang konfrontiert. In Berlin hingegen sitzt man und hat neben der nationalen Perspektive auch eine europäische Perspektive. Die Kanzlerin muss das große Ganze im Auge haben. Seehofer hat seine Kommunen, Städte, Landräte im Nacken. Die greifen auf ihn zurück, um ihre Probleme zu lösen.

tagesschau.de: Inwieweit steht Seehofer selbst unter Druck?

Trebbe: Seehofer hat viele Schlachten an unterschiedlichen Stellen zu schlagen. Er ist Ministerpräsident: Wenn bayerische Gemeinden mit der Lage überfordert sind, wenden sie sich zuerst an die Staatsregierung in München. Da hat er ein komplexes Problem zu lösen. Zudem muss Seehofer die CSU zusammenhalten und dabei immer seine persönliche Machtposition im Blick halten. Seine möglichen Nachfolger muss er auf Abstand halten. Er muss erfolgreich sein, damit er wiedergewählt wird.

tagesschau.de: Im November steht der CSU-Parteitag an. Dort will sich Seehofer als Parteichef wiederwählen lassen. Macht er in der derzeitigen Situation eine gute Figur?

Trebbe: Er agiert so, wie er es bisher immer gemacht hat. Auch wenn die Situationen bislang nicht so krisenhaft waren. Er versucht, auch extreme Positionen zu vertreten. Das ist schwierig. Es gibt in der Union Anhänger, die seine Positionen nicht restriktiv genug finden.

"Seehofer muss immer wieder zurückrudern"

tagesschau.de: Stößt da auch ein Seehofer an seine Grenzen?

Trebbe: Er arbeitet daran. Er betont die konservativen Positionen immer stärker und versucht in der Flüchtlingsdebatte so weit wie möglich nach rechts zu gehen, wie es ihm möglich erscheint. Er wird immer wieder zurückrudern müssen, wenn es Koalitionsrunden gibt - wie etwa am Sonntag.

tagesschau.de: Das konservative Spektrum kann Seehofer offenbar nicht komplett abdecken. AfD und "Pegida" etwa haben Auftrieb. Funktioniert das Konzept Seehofer doch nicht?

Trebbe: Seehofer kann diese Rolle nicht komplett erfüllen. Die Frage ist, ob er weit genug gehen kann, um Stimmen einzusammeln, die jetzt vielleicht zu "Pegida"-Demonstrationen gehen oder in Wahlumfragen angeben, sie würden die AfD wählen. In dieser Krise hat Seehofer das Problem, dass er nicht weit genug nach rechts außen driften kann, wenn er in der Konstellation der Großen Koalition bleiben will. Das führt dazu, dass etwa "Pegida" oder die AfD es leichter haben, die Menschen für sich zu gewinnen. Sie sagen dann, was die Union anbietet, reiche nicht aus. Je weiter sich die Krise verschärft, umso stärker wird die Polarisierung sein und die gesellschaftliche Spaltung.

Das Interview führte Barbara Schmickler, tagesschau.de.