Schild im Empfangsbereich einer Arbeitsagentur in Köln

Reformideen Wie die Parteien Hartz IV ändern wollen

Stand: 19.11.2018 20:47 Uhr

Seit seiner Einführung ist Hartz-IV umstritten. Inzwischen will sich nicht nur die SPD davon lösen. Auch die anderen Parteien haben Ideen für eine Reform. Ein Überblick.

Von Sandra Stalinski, ARD-aktuell

Als die rot-grüne Regierung unter Gerhard Schröder die Agenda 2010 und die darin enthaltenen Hartz-Reformen beschloss, war die Arbeitslosigkeit auf einem Rekordstand. Heute herrscht annähernd Vollbeschäftigung und die meisten Experten lassen keinen Zweifel daran, dass die Agenda-Reformen einen wichtigen Anteil daran haben.

Stein des Anstoßes war jedoch von Anfang an das neue Arbeitslosengeld II, im Volksmund Hartz IV genannt. Es ist zum Synonym für Abstieg und Stigmatisierung geworden. Die SPD will dieses von Anfang an umstrittene Instrument - angesichts ihrer dauerhaft miserablen Umfragewerte - nun endgültig loswerden. Doch die anderen Parteien wollen ihr dieses Feld nicht einfach überlassen und haben ebenfalls Ideen und Konzepte vorgelegt. Ein Überblick:

SPD: Die "große Sozialstaatsreform"

Zunächst hatte SPD-Chefin Andrea Nahles beim Debattencamp ihrer Partei eine "Sozialstaatsreform 2025" angekündigt. Die SPD wolle Hartz IV hinter sich lassen. Die Erfahrung damit sei geprägt von "einer anonymen Bürokratie und der permanenten Drohung mit Sanktionen", schreibt sie wenig später in einem Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".

Sie will eine "Neukonzeption der Grundsicherung", ein "Bürgergeld", das ein Recht auf Teilhabe bedeute. Leitgedanken dabei sollen sein, dass weniger Menschen auf Grundsicherung angewiesen sein sollen und Arbeitnehmer mit geringem Einkommen mehr netto in der Tasche haben. Beitragen könnten dazu Zuschüsse zu den Sozialversicherungsbeiträgen der Arbeitnehmer, Steuergutschriften für Erwerbstätige und ein weiter steigender Mindestlohn.

Auch ein besseres Wohngeld und eine eigenständige Kindergrundsicherung schlägt sie vor. Außerdem bringt sie den im Bundestagswahlkampf propagierten Vorschlag eines Arbeitslosengeldes Q wieder auf. Die Idee hierbei: Diejenigen, die sich in einer Weiterbildung befinden, sollen länger und ein höheres Arbeitslosengeld bekommen, anstatt direkt auf Hartz-IV-Niveau abzurutschen.

Die Ersparnisse sollen zudem großzügiger geschützt werden, damit die Menschen "keine Angst haben, ihre angestammte Wohnung oder ihr Wohneigentum verlassen zu müssen", schreibt Nahles in der FAZ. Die abgeschafften einmaligen Bedarfe zum Beispiel für einen Kühlschrank oder eine Winterjacke müssten wieder eingeführt werden.

Hartz-IV-Sanktionen bezeichnet sie als "Symbol für das Misstrauen des Staates gegenüber den Grundsicherungsbeziehern". Zwar sollten Regelverstöße und Missbrauch von Sozialleistungen nicht ohne Konsequenzen bleiben, Leistungssperren müssten aber immer das letzte Mittel sein.

Nach einer Revolution des Systems hört sich das SPD-Konzept allerdings nicht an. Letztlich scheint es bei der "Alternative" zu Hartz IV auf eine Ausweitung der Leistungen hinauszulaufen.

Grüne: Die "bedingungslose Garantiesicherung"

Auch die Grünen sprechen - genau wie die SPD - davon, Hartz IV zu überwinden. Ein sehr ausführliches Konzept dazu hat - in Form eines Debattenbeitrags - Parteichef Robert Habeck vorgelegt. Hartz IV habe zu einer Verunsicherung bei den Menschen und bis weit hinein in die Mittelschicht zu Abstiegsängsten geführt. Dem will Habeck mit einer "Garantiesicherung" begegnen.

Die Idee erinnert stark an das viel diskutierte Bedingungslose Grundeinkommen und will auch eine Brücke dahin schlagen, denn: Sanktionen und Verpflichtung zur Arbeitssuche soll es nicht mehr geben. Stattdessen sollen Anreize und Belohnung Menschen dazu animieren, sich weiterzubilden beziehungsweise zu arbeiten, beispielsweise durch "monetäre Leistungsprämien". Allerdings - und darin liegt der Unterschied zum Grundeinkommen: Nur diejenigen erhalten die Garantiesicherung, die auch eine Bedürftigkeit anhand ihrer Einkommens- und Vermögenssituation nachweisen können.

Mittelfristig will Habeck das Nebeneinander von vielen konkurrierenden Sozialleistungen (ALG-II-Regelsätze, Sozialhilfe, Kosten der Unterkunft, Wohngeld, BAföG) abschaffen und sie nach und nach in die Garantiesicherung überführen, um Bürokratie zu sparen und mehr Transparenz zu schaffen.

Weiterhin plädiert Habeck für ein Anheben des Existenzminimums und für eine Kindergrundsicherung, die unabhängig vom Einkommen der Eltern ist. Das Schonvermögen für das Anrecht auf Hartz-IV-Leistungen will Habeck auf 100.000 Euro anheben. Die Zuverdienstmöglichkeiten will er heraufsetzen, so dass Hartz-IV-Empfänger künftig von jedem Euro 30 Cent, statt bisher 20 Cent behalten dürfen.

Habecks Garantiesicherung wäre viel deutlicher als der SPD-Vorstoß eine Systemveränderung. Vor allem wegen des Wörtchens "bedingungslos". Damit würden viele der bisherigen Prüfungen bei Hartz IV wegfallen. Was sich nicht ändern würde: Genau wie bisher würde die Garantiesicherung nach Auslaufen des Arbeitslosengeldes I greifen.

Linkspartei: "Mindestsicherung" von 1050 Euro

Für die Linkspartei ist die Abschaffung von Hartz IV keine neue Idee, sie will das schon seit jeher. Stattdessen schlägt sie eine Mindestsicherung von 1050 Euro vor - und zwar ohne Sanktionen. Genau wie in Habecks Modell ist der Bezug dieser Mindestsicherung nicht an Bedingungen wie beispielsweise die Arbeitssuche geknüpft. Um Kinderarmut zu beseitigen, soll es monatlich mindestens 564 Euro pro Kind geben.

Kipping und Riexinger stellen Programm der Linken vor

Im Bundestagswahlkampf 2017 forderte die Linkspartei die Abschaffung von Hartz IV.

Das Arbeitslosengeld I soll laut einem im Bundestagswahlkampf 2017 gefällten Parteitagsbeschluss länger gezahlt werden. Wie lange, ist unklar. Die 100.000 Euro Schonvermögen, die Habeck vorschlägt, hält man in der Linkspartei jedoch für zu viel. Wo genau sie die Grenze ziehen würde, ist allerdings offen.

Auch der Vorschlag der Linkspartei erinnert an die Idee des Bedingungslosen Grundeinkommens, weil sie Sanktionen und Verpflichtungen abschaffen will. Genau wie im Grünen-Vorschlag soll aber auch hier die Bedürftigkeit ausschlaggebend sein. Die Mindestsicherung soll nur Menschen zuteil werden, die über kein ausreichendes Einkommen oder Vermögen verfügen.

FDP: "Liberales Bürgergeld"

Auch die FDP ist für mehr Transparenz und Vereinfachung bei den steuerfinanzierten Sozialleistungen, um Bürokratie abzubauen. Ähnlich wie in Habecks Vorschlag sollen die unterschiedlichen Sozialleistungen (Regelleistung und Unterkunftskosten des Arbeitslosengelds II, Grundsicherung im Alter, Sozialhilfe, Kinderzuschlag, Wohngeld) in einer Leistung und an einer staatlichen Stelle zusammengefasst werden. Der Bezug des Bürgergeldes soll allerdings nicht bedingungslos sein.

Die Arbeitsaufnahme soll sich laut FDP wieder mehr lohnen, weshalb selbstverdientes Einkommen nur prozentual und geringer als heute angerechnet werden soll. Für den Übergang von der Arbeitslosigkeit ins Erwerbsleben plädiert die FDP für Teilzeittätigkeiten im Rahmen eines Mini- oder Midijobs. Die Verdienstgrenze solle auf das 60-fache des gesetzlichen Mindeststundenlohns angehoben werden (das wären aktuell: 530,40 Euro).

Auch die derzeitigen Hinzuverdientsgrenzen für Hartz IV seien "demotivierend" und sollten reformiert werden, damit "die eigene Anstrengung wieder lohnt".

Welche Auswirkungen das liberale Bürgergeld hätte, ist schwer zu beurteilen, weil die Höhe unklar ist. Deutlich ist in dem FDP-Konzept vor allem die Tendenz, eigene Arbeit stärker zu belohnen.

AfD: "Aktivierende Grundsicherung"

Auch die AfD will Hartz IV überwinden und stattdessen eine "aktivierende Grundsicherung" einführen. Der "staatliche Unterstützungsbetrag" soll dabei "mit wachsendem Einkommen immer weiter abschmilzen, bis ab einem bestimmten Einkommen Einkommensteuer zu entrichten ist", heißt es im AfD-Grundsatzprogramm. Grundsätzlich solle derjenige, der arbeitet, auf jeden Fall mehr Geld zur Verfügung haben, als derjenige, der nicht arbeitet.

Wer also mehr als den derzeit geltenden Steuerfreibetrag von 9000 Euro jährlich zur Verfügung hat (monatlich 750 Euro), dürfte demnach keine Grundsicherung mehr bekommen. Damit würde die Zuverdienstmöglichkeit für Leistungsempfänger komplett wegfallen und allein das gesetzliche Existenzminimum gesichert.

Union: "Hartz IV nicht abschaffen"

Einzig die Union will das Hartz-IV-System beibehalten und allenfalls kleinere Änderungen vornehmen. Wirtschaftsminister Peter Altmaier verweist darauf, dass die Reformen geholfen hätten, Arbeitslosigkeit zu reduzieren. "Wir dürfen und werden Hartz IV nicht abschaffen", sagte er der "Welt".

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier besucht die Bundesnetzagentur.

Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier: "Dürfen Hartz IV nicht abschaffen."

Einzelne Stimmen gibt es dennoch auch in der Union, die das System zumindest reformieren wollen. So spricht beispielsweise der Arbeitsmarktexperte Kai Whittaker von einer "Grundsanierung" des Hartz-IV-Systems. Auch er will die "komplizierten Regelungen radikal vereinfachen", wie er auf der Homepage der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA) schreibt. Er fordert einen besseren Betreuungsschlüssel für die Beratung von Arbeitslosen, finanzielle Anreize für Qualifizierungen und will generell eher auf Anreize statt auf Sanktionen.

Auch er will die Zuverdienstgrenze deutlich erhöhen - mehr noch als die Grünen: 50 Cent von jedem Euro soll ein Hartz-IV-Empfänger laut Whittaker behalten können.

Da die Union prinzipiell am Hartz-IV-System festhalten will, dürfte es für die SPD schwer werden, in der Großen Koalition große Änderungen durchzusetzen.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete der "Bericht aus Berlin" am 11. November 2018 um 18:30 Uhr.