Personalie von der Leyen Misstöne in der Großen Koalition
Von einem "politischen Fehler" spricht Niedersachsens Ministerpräsident Weil, Ex-Parteichef Gabriel rät seiner Partei gar zum Ausstieg aus der Koalition: Die Personalie von der Leyen vergrätzt die SPD. Die Union reagiert verärgert.
Die Personalie von der Leyen verärgert massiv den Koalitionspartner SPD. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil kritisierte die Nominierung der CDU-Politikerin und Verteidigungsministerin als EU-Kommissionspräsidentin als schweren politischen Fehler. Zwar schätze er von der Leyen persönlich, sagte SPD-Politiker Weil der Deutschen Presse-Agentur. Aber: "Man kann nicht bei Wählerinnen und Wählern wochenlang mit bestimmten Personen für europäische Parteifamilien um Stimmen werben, ihre Bilder an die Straßen hängen, um nach der Wahl zu erklären, dass diese Personen jetzt keine Rolle mehr spielen." Deswegen sei der Personalvorschlag unklug und werde von der SPD abgelehnt.
Gabriel rät zu Koalitionsbruch
Der frühere SPD-Chef Sigmar Gabriel ging sogar noch weiter: Er forderte die Führung seiner Partei auf, im Bundeskabinett die Nominierung von der Leyens zu blockieren. Von der Leyens plötzliche Benennung für den Brüsseler Spitzenjob gegen den Willen der SPD sei ein "beispielloser Akt der politischen Trickserei", sagte Gabriel dem "Tagesspiegel". Die SPD könne und müsse dies im Kabinett aufhalten. Ein einseitiges Vorgehen der Union wäre "ein Grund, die Regierung zu verlassen".
Von der Leyen müsse "erst von Deutschland als Kommissarin benannt werden, bevor sie von anderen Staats- und Regierungschefs als Kommissionspräsidentin nominiert werden kann", sagte Gabriel. Diese nationale Berufung müsse laut Geschäftsordnung durch das Bundeskabinett erfolgen. "Die anderen Staats- und Regierungschefs können keine deutsche Kommissarin berufen, das kann nur Deutschland selbst", sagte Gabriel. Die SPD müsse die Nominierung "aufhalten, sonst macht sie bei diesem Schmierentheater mit und die Europawahlen zur Farce", sagte er weiter.
Der Ex meldet sich aus dem Off: Sigmar Gabriel zur Personalie von der Leyen
Aus SPD-Regierungskreisen kam laut "Tagesspiegel" Widerspruch zu Gabriels Forderung. Die Partei könne nicht durch eine Blockade im Kabinett eine Staats- und Europakrise heraufbeschwören.
Von der Leyen muss nicht von Bundesregierung nominiert werden
Nach Ansicht von Regierungssprecher Steffen Seibert muss von der Leyen nicht gesondert von der Bundesregierung nominiert werden. Die Nominierung eines Kandidaten für das EU-Spitzenamt sei alleinige Aufgabe und auch die Pflicht des Europäischen Rates. Im Anschluss muss die Kandidatin vom Europäischen Parlament bestätigt werden. Das sei die "ganz klare Aufgabenverteilung zwischen den europäischen Institutionen", sagte Seibert. Die anderen Mitglieder der Europäischen Kommission werden dagegen von den einzelnen Mitgliedstaaten nominiert, das gesamte Personalpaket muss sich dann einem zweiten Votum des Europäischen Parlaments stellen.
Von der Leyen war am Dienstag von 27 der 28 EU-Staaten als Kommissionspräsidentin nominiert worden. Kanzlerin Merkel enthielt sich bei dem Votum der Stimme, weil der Koalitionspartner SPD die Personalie nicht mittragen wollte. Von der Leyen muss noch vom Europaparlament bestätigt werden.
Bei der regulären Sitzung des Kabinetts spielte der SPD-Ärger nach dpa-Informationen keine Rolle. Drei SPD-Minister fehlten bei dem Treffen: Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz, Außenminister Heiko Maas und Arbeitsminister Hubertus Heil haben bereits ihren Sommerurlaub angetreten. Aus Teilnehmerkreisen hieß es nach der Sitzung, Merkel habe über die Verhandlungen beim EU-Sondergipfel vom Vortag berichtet. Eine Diskussion habe es nicht gegeben.
Chefs von CDU und CSU kritisieren SPD
Gleichwohl griffen Spitzenpolitiker der Union die Kritik der SPD auf. Schwere Vorwürfe kamen etwa von CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. "Die SPD macht damit deutlich, dass es ihr am Ende um das eigene parteipolitische Interesse geht. Nicht um Europa, und auch nicht um die Interessen Deutschlands", kritisierte die CDU-Vorsitzende.
Dass den Unionsparteien der Spitzenkandidatenprozess bei der Wahl wichtig sei, sehe man auch darin, dass Weber mit Unterstützung von CDU und CSU bereit gewesen sei, um das Prinzip zu erhalten, einen Schritt zurückzutreten und das Amt des Kommissionspräsidenten dem Wahlverlierer Frans Timmermans von den Sozialisten zu überlassen. Von Seiten der Sozialisten in Europa, aber besonders von Seiten der SPD in Deutschland, habe ein solches Signal zu jeder Zeit gefehlt.
Ähnlich scharf war die Kritik von CSU-Chef Markus Söder. "Das ist ein einmaliger Vorgang, dass Deutschland nicht zustimmen konnte, obwohl es eine deutsche Kandidatin gibt", sagte er mit Blick auf Merkels Enthaltung bei der Nominierung von der Leyens im Europäischen Rat. Es sei blamabel, dass die SPD nicht in der Lage sei, sich zu einer konstruktiven Haltung durchzuringen. "Das ist eine echte Belastung für die Koalition."
SPD verweist auf Koalitionsvertrag
Bereits gestern Abend hatte das kommissarische Führungstrio der SPD die Entscheidung für von der Leyen heftig kritisiert. Dass mit der bisherigen Bundesverteidigungsministerin eine Politikerin zum Zuge komme, die "überhaupt nicht zur Wahl gestanden hat, kann nicht überzeugen", erklärten die kommissarischen SPD-Vorsitzenden Malu Dreyer, Manuela Schwesig und Thorsten Schäfer-Gümbel. "Damit würde der Versuch, die Europäische Union zu demokratisieren, ad absurdum geführt. Aus diesem Grund lehnt die SPD den Vorschlag von EU-Ratspräsident Donald Tusk ab."
Mit Frans Timmermans, Manfred Weber und Margrethe Vestager seien "drei veritable Kandidaten bei der Europawahl angetreten, um die EU-Kommission künftig zu führen", erklärten die SPD-Chefs.
Wir brauchen einen politischen Wettbewerb zwischen den Parteien in Europa, nicht zwischen den Mitgliedsländern. Wir sind überzeugt, dass nur auf diesem Weg die Europäische Union weiter an Souveränität und Legitimation bei den Bürgerinnen und Bürgern gewinnen kann.
In ihrer Erklärung verwiesen Dreyer, Schwesig und Schäfer-Gümbel auch auf den Koalitionsvertrag. "Im Vertrag haben die drei Regierungsparteien vereinbart, dass wir ein Europa der Demokratie mit einem gestärkten Europäischen Parlament wollen und Europa bürgernäher und transparenter werden soll", erklärten sie.
Barley will gegen von der Leyen stimmen
"Wir sind ein Parlament und wir wählen", erinnerte Katarina Barley, die als SPD-Spitzenkandidatin ihrer Partei bei der Europawahl angetreten war. Sie kritisierte die Nominierung von der Leyens scharf. "Das ist nicht das Versprechen, das den Bürgerinnen und Bürgern vor der Wahl gegeben wurde", sagte Barley im gemeinsamen "Morgenmagazin" von ARD und ZDF. In ihrer Fraktion im EU-Parlament würden viele gegen die Personalie stimmen, kündigte sie an. Auch sie persönlich werde dagegen stimmen. Es gehe nicht um Vorbehalte gegen von der Leyen persönlich, sondern um den Prozess zur Postenbesetzung an sich.