Europas Spitzenpersonal Gewinner und Verlierer im EU-Postenpoker
Es war ein Machtspiel par excellence um die EU-Topjobs. Am Ende steht ein Personaltableau, das überrascht. Wer ist Gewinner des Postenpokers, wer steht düpiert und mit leeren Händen da? Ein Überblick.
Verlierer:
Manfred Weber: Der CSU-Politiker steht mit (fast) leeren Händen da. Seinem Ziel, EU-Kommissionschef zu werden, hatte er alles untergeordnet. Auch im CSU-Machtkampf mit Markus Söder um die Parteispitze hatte er verzichtet - mit Blick auf seine Karriereträume in Brüssel. Im Europawahlkampf war Weber gemeinsamer Spitzenkandidat von CDU und CSU dann auch Spitzenmann der EVP.
Nach der Europawahl schien der EU-Chefposten zum Greifen nah. Schließlich war die EVP trotz Verlusten als stärkste Fraktion aus der Wahl hervorgegangen und gemäß des Spitzenkandidatenprinzips wäre Weber erste Wahl gewesen für die Nachfolge von Jean-Claude Juncker. Doch er schaffte es nicht, im Europäischen Parlament eine Mehrheit für sich zu organisieren. Und auch unter den Staats- und Regierungschefs fehlte Weber der Rückhalt. Zu leichtgewichtig, ohne Regierungserfahrung, so lautete die Kritik an dem bayerischen Politiker. Vor allem Emmanuel Macron stellte sich gegen Weber.
Angela Merkel: Die deutsche Kanzlerin konnte sich im EU-Postenpoker nicht durchsetzen. Sie musste Weber - und damit den Spitzenkandidaten ihrer konservativen Parteienfamilie - fallen lassen, weil er schlicht nicht mehrheitsfähig war. Aber dass sie dann nach Verhandlungen am Rande des G20-Gipfels den Kandidaten der Sozialisten, Frans Timmermans, als EU-Kommissionschef vorschlug und Weber demnach "nur" Parlamentspräsident werden sollte, nahmen ihr viele Parteifreunde übel. Dieses als "Sushi-Deal" bezeichnete Personalpaket war dann vor allem aufgrund des massiven Widerstands der Osteuropäer auch nicht mehrheitsfähig.
Nun also Ursula von der Leyen. Sie ist nicht Merkels erste Wahl, und dass sich die Kanzlerin als einzige im Europäischen Rat bei der Nominierung der CDU-Politikerin aus innenpolitischen Gründen enthalten mussten, ist ebenfalls kein Zeichen von Stärke. Für die Große Koalition ist die Nominierung von der Leyens eine weitere Belastungsprobe. Zudem ist eine weitere Kabinettsumbildung nötig, die für neue Unruhe sorgen dürfte.
Das Europäische Parlament: Die Fraktionen haben es in den vergangenen Wochen nicht geschafft, sich auf einen mehrheitsfähigen Kandidaten für das Amt des EU-Kommissionspräsidenten zu einigen. Weder Weber, noch Timmermans noch die Liberale Margrethe Vestager bekamen genug Rückhalt. Insofern ist der Aufschrei der Abgeordneten ob der Personalie von der Leyen und die Kritik am "Hinterzimmergeschacher" auch ein wenig unehrlich.
Ob die Parlamentarier in zwei Wochen wirklich den Vorschlag der Staats- und Regierungschefs durchfallen lassen, wie sich heute viele Wortmeldungen interpretieren lassen, dürfte aber längst noch nicht ausgemacht sein. Dieser Schritt würde den Machtkampf eskalieren - Selbstblockade wäre schlimmstenfalls die Folge. In Zeiten von Brexit und anderen Herausforderungen keine guten Aussichten.
Das Spitzenkandidatenprinzip: "Der Spitzenkandidatenprozess hat einen Knacks", sagte Noch-Kommissionschef Jean-Claude Juncker. Drastischer formulierte es Ex-EU-Parlamentspräsident Martin Schulz: Der Spitzenkandidatenprozess sei nun "tot". Das Spitzenkandidatenprinzip bedeutet: Nur einer der von Parteien im EU-Parlament offiziell benannten Spitzenkandidaten zur Europawahl kann Präsident der Europäischen Kommission werden. Das wurde 2014 erstmals angewandt. Juncker hatte damals für die Europäische Volkspartei kandidiert, die stärkste Fraktion wurde.
Im EU-Vertrag ist das so aber nicht vorgesehen. Dort heißt es in Artikel 17, Absatz 7:
Der Europäische Rat schlägt dem Europäischen Parlament nach entsprechenden Konsultationen mit qualifizierter Mehrheit einen Kandidaten für das Amt des Präsidenten der Kommission vor; dabei berücksichtigt er das Ergebnis der Wahlen zum Europäischen Parlament. Das Europäische Parlament wählt diesen Kandidaten mit der Mehrheit seiner Mitglieder.
Kern des Streits ist also: Wer darf den Kandidaten für das mächtige Amt aussuchen? Das Parlament argumentiert, wenn Kandidaten sich schon im Wahlkampf präsentieren, sei dies demokratischer, als wenn die Staats- und Regierungschefs "im Hinterzimmer" entscheiden. Kritiker halten dagegen: Nicht die Auswahl der Parteien sei maßgeblich, sondern die Suche nach der besten Person für den Posten. Merkel hatte sich immer zum Spitzenkandidatenprinzip bekannt, Frankreichs Präsident Macron war von Beginn an dagegen.
Gewinner
Emmanuel Macron: Der französische Präsident wollte Weber partout nicht als EU-Kommissionschef, mit von der Leyen kann er sehr gut leben. Dem Vernehmen nach soll er in den verfahrenen Beratungen der Regierungschefs zuerst die Idee gehabt haben, die deutsche Verteidigungsministerin zu nominieren.
Viktor Orban: Ungarns Ministerpräsident kann sich auf die Schulter klopfen. Als Merkel mit Macron beim G20-Gipfel in Osaka ein Personaltableau mit Timmermans als Kommissionschef aushandelte, legte er mit einem Schreiben an EVP-Chef Joseph Daul den Spaltpilz in die konservative Parteienfamilie. Die EVP sei die stärkste Fraktion: Sie könne doch nicht dieses Mandat an einen Sozialisten abgeben. Die anderen Staaten aus der Visegradgruppe - Polen, Tschechien und die Slowakei - schlossen sich an. Auch Italien stellte sich gegen das Timmermans-Tableau.
Sie sehen den Sozialisten als Unterstützer des umstrittenen Plans für Flüchtlingsquoten für EU-Länder. Timmermans war auch dafür, unter Androhung rechtlicher Schritte die Rechtsstaatlichkeit in Polen und Ungarn zu verbessern. "Timmermans ist ein No Go", fasste Tschechiens Regierungschef Andrej Babis die Ablehnung der Osteuropäer zusammen.
Ursula von der Leyen: Sollte sie vom EU-Parlament bestätigt werden, dürfte die CDU-Politikerin die strahlende Gewinnerin des EU-Postenpokers sein. Innenpolitisch steht die Verteidigungsministerin unter Druck, Beobachter rechneten schon mit dem baldigen Ende ihrer politischen Karriere. Berateraffäre, "Gorch-Fock"-Sumpf, die Bundeswehr kommt nicht aus den Negativ-Schlagzeilen - die Liste vermeintlicher Baustellen im Hause von der Leyen ist lang.
Die einstige Hoffnungsträgerin der CDU schien politisch auf dem absteigenden Ast. Bekommt sie wirklich den Topjob in Brüssel, muss sie dem Eindruck einer "Flucht nach oben" entgegentreten. An ihrer Eignung dürfte hingegen wenig Zweifel bestehen, ist sie doch bei EU und NATO keine Unbekannte. Die überzeugte Europäerin war immer mal wieder für Jobs in Brüssel im Gespräch, zuletzt hingegen fiel ihr Name seltener.
Das Hinterzimmer: Größter Gewinner des EU-Postenpokers ist zweifellos das Hinterzimmer. Dabei war es eigentlich schon totgesagt, schließlich hatte man der "Hinterzimmer-Mauschelei" aus früheren Tagen auf EU-Ebene den Kampf angesagt. Transparenter und bürgernäher sollte europäische Politik werden, insbesondere bei der Personalfindung.
Doch nun zogen sich die Staats- und Regierungschefs wieder in die berühmten Hinterzimmer zurück - und zauberten Kandidaten aus dem Hut, die kaum jemand ernsthaft auf dem Zettel hatte, geschweige denn, dass sie sich als Spitzenkandidaten zur Wahl gestellt hätten. "Die EU ist auf bestem Wege zurück zur Entscheidungsfindung im Hinterzimmer", klagte denn auch ein frustrierter Manfred Weber (siehe Verlierer).