Appell der Familie von Lübcke "Bleiben Sie standhaft"
Bald jährt sich zum fünften Mal die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke. Angesichts zunehmender Meldungen von Angriffen appelliert dessen Familie an Politiker, sich nicht einschüchtern zu lassen.
Die Familie des ermordeten CDU-Politikers Walter Lübcke ruft kurz vor dem fünften Todestag des früheren Kasseler Regierungspräsidenten politisch aktive Menschen auf, trotz zunehmender Meldungen von Angriffen standhaft zu bleiben.
Sie lies über einen Sprecher gegenüber der Nachrichtenagentur dpa mitteilen: "Gerade weil die Familie Lübcke erlitten hat, wie aus Worten Taten werden, schaut sie mit Entsetzen auf die aktuellen Angriffe auf Politikerinnen und Politiker - ob durch Drohungen im Netz oder körperliche Attacken."
Zuletzt hatten mehrere Angriffe auf Politikerinnen und Politiker Aufsehen erregt. In Dresden wurde der SPD-Wahlkämpfer Matthias Ecke krankenhausreif geschlagen, in Berlin gab es einen tätlichen Angriff auf SPD-Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey. Auch Politiker von AfD und Grünen wurden bedroht und attackiert.
Familie fordert besseren Schutz von Politikern
Die Familie wolle alle Betroffenen und all diejenigen, die sich für unsere Demokratie einsetzten, bestärken, sich nicht von den Angriffen einschüchtern zu lassen.
Bleiben Sie standhaft, weichen Sie nicht von Ihren Überzeugungen und Haltungen ab, Sie sind nicht allein.
In der Mitteilung forderte die Familie auch einen besseren Schutz für politisch Engagierte. Man könne zwar nicht alle Taten verhindern, aber es müsse deutlich mehr für den Schutz aller haupt- und ehrenamtlichen Politikerinnen und Politiker getan werden.
Denn die direkte Begegnung von Politikerinnen und Politikern mit der Bevölkerung sei wesentlicher Bestandteil einer freiheitlichen Demokratie. "Leidvoll hat die Familie erfahren, wie es ist, wenn der Schutz nicht gegeben ist", heißt es in der Mitteilung weiter.
Die Tat in der Nacht zum 2. Juni 2019 war ein rechtsextremistischer Mord. Am späten Abend hatte der Rechtsextremist Stephan E. den Kasseler Regierungspräsidenten Lübcke auf dessen eigener Terrasse erschossen. Aus nächster Nähe zielte er auf den CDU-Politiker, später gab er als Grund dessen liberale Haltung zur Flüchtlingspolitik an.
Warnung vor Verrohung der demokratischen Kultur
Der Leiter des Demokratiezentrums Hessen, Reiner Becker, bezeichnet den Mord an Walter Lübcke als einen Tiefpunkt in der Historie der Bundesrepublik Deutschland. "Der Mord an Walter Lübcke ist ein Punkt, an dem man festmachen kann, wo Demokratie möglicherweise erodiert, so der Extremismusforscher. Dass sich die Bedrohungslage von Amtsträgern auf kommunalpolitischer Ebene seither nicht verbessert hat, zeigten die jüngsten Angriffe auf Politiker, sagte Becker. Zwar sei die Sensibilität gegenüber Grenzüberschreitungen größer geworden und es seien verschiedenen Maßnahmen ergriffen worden, es sei jedoch wichtig, diese Wahrnehmung weiter zu stärken.
Becker vergleicht die Demokratie mit einem Baum, bei dem das feine Wurzelwerk für Halt sorge. Es könne kaputtgehen, während der Baum noch völlig gesund wirke. Dieser Baum könne dann eines Tages einfach umkippen. Alle fragten sich, warum. Beckers Antwort: "Weil wir uns dieses feine Wurzelwerk nicht angeschaut haben."