Gedenken an getöteten Politiker "Walter Lübcke hielt stand"
Vor fünf Jahren wurde der Kasseler Regierungspräsident Lübcke von einem Rechtsterroristen erschossen. Bei der Gedenkfeier mahnte Bundespräsident Steinmeier vor einer Verharmlosung von rechtsextremer Gewalt.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat zu Geschlossenheit im Kampf gegen den rechtsextremistischen Terror aufgerufen. Bei der Gedenkfeier für den vor fünf Jahren ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke erinnerte Steinmeier auch an andere Taten von Rechtsterroristen: das Oktoberfestattentat 1980 in München, die rechtsextremen Ausschreitungen von Hoyerswerda und Rostock-Lichtenhagen 1991, die Brandanschläge von 1993 in Solingen, Mölln sowie 1996 in Lübeck und die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) - auch in Kassel.
"Die lange Spur des rechtsextremen Terrors, dem in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 Walter Lübcke zum Opfer fiel, sie zieht sich leider durch unsere jüngere Geschichte. Und sie endete, das ist die bittere Wahrheit, nicht im Juni vor fünf Jahren", sagte Steinmeier laut Redemanuskript. "Walter Lübcke ist gehasst und getötet worden von denen, die unsere liberale, demokratische Gesellschaft hassen."
Lübckes Satz ist "sein Vermächtnis geworden"
Die Gedenkveranstaltung mit rund 1.000 geladenen Gästen begann mit minutenlangem Schweigen, nur das Läuten der Glocken der Martinskirche in Kassel war zu hören. Bundespräsident Steinmeier saß in der ersten Reihe. Neben ihm Irmgard Braun-Lübcke, die Ehefrau von Walter Lübcke. Ihr Mann war der erste Politiker in der Bundesrepublik nach dem Zweiten Weltkrieg, der von einem Rechtsextremisten getötet worden war.
k-Walter Steinmeier bei einer Gedenkfeier zum fünften Todestag von Walter Lübcke. Links neben ihm steht Irmgard Braun-Lübcke, rechts neben ihm seine Frau Elke Büdenbender und Hessen Ministerpräsident Boris Rhein.
Steinmeier wiederholte auch Lübckes berühmtesten Satz, der das verdichte, was Lübcke in seinem Leben getan habe. Er sei Lübckes Vermächtnis geworden. "Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist", hatte Lübcke auf einer Bürgerveranstaltung am 14. Oktober 2015 im nordhessischen Lohfelden gesagt. Vor dem Saal der Veranstaltung steht heute ein Gedenkstein für Lübcke.
Lübcke wurde nach Bürgerveranstaltung zum Ziel
"Er hat ihn als Argument verwendet", sagte Steinmeier zu diesem Satz, an dem sich auch Jahre später noch Flüchtlingsgegner und Rechtsextreme abreiben sollten. Sein späterer Mörder, Stephan Ernst, hatte damals mit anderen rechten Aktivisten im Publikum gesessen. "Sie riefen Parolen, schürten die Emotionen", sagte Steinmeier über die damaligen Provokateure und Störer im Publikum. "Walter Lübcke hielt stand. Er stellte sich der Debatte. Er verteidigte die Menschenwürde, die Mitmenschlichkeit. Er verteidigte die Grundwerte in unserem Land."
Blick auf den Gedenkstein für den ermordeten CDU-Politiker Walter Lübcke in Lohfelden, Hessen
Der Mörder wurde am 29. Januar 2021 zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Ob er tatsächlich als Einzeltäter handelte, konnte nicht abschließend geklärt werden. Auch Steinmeier sagte: "Der Täter - oder die Täter - ermordeten ihn auf eine Weise, die alle Zeichen einer Hinrichtung tragen sollte."
Bezug auf aktuelle Stimmung im Land
Zur Vorgeschichte des Mordes an Lübcke gehöre das "Versäumnis des Staates, die furchtbare Gefahr des Rechtsterrorismus in ihrer ganzen Dimension zu erkennen". Jeden Tag seien Versuche zu erleben, "mit Worten die Skala des Anstands, den Konsens unserer Werte zu verschieben", sagte der Bundespräsident. Allerdings seien die jüngsten Massendemonstrationen gegen Rechtsextremisten im ganzen Land ein ermutigendes Zeichen. Auch Lübcke hätte sich über die Bilder von diesen Kundgebungen gefreut.
Steinmeier nahm auch Bezug auf jüngste Ereignisse wie die rassistischen Gesänge auf der Insel Sylt. Er sagte: "Rechtsextremismus ist nichts, was einfach wieder verschwindet. Sein Erscheinungsbild mag sich verändert haben. Er ist mitunter salonfähig, ja partyfähig geworden Aber auch wenn er inzwischen manchmal im feinen Anzug daherkommt oder junge Leute in Champagnerlaune seine Parolen mitgrölen - weniger gefährlich ist er deshalb nicht."
"Er starb, aber seine Haltung nicht."
Die Bischöfin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, Beate Hofmann, sagte, die Tat habe in der Region tiefe Spuren hinterlassen. "Walter Lübcke wurde ermordet, weil er als Repräsentant des demokratischen Staates die Aufnahme von Geflüchteten verteidigt hat." Dadurch habe er den Hass von Rechtsextremisten auf sich gezogen. "Er starb, aber seine Haltung nicht." Die Gesellschaft dürfe sich von Extremisten nicht einschüchtern lassen.
In seinem wöchentlichen Video-Podcast rief Bundeskanzler Olaf Scholz rief dazu auf, gegen Hass und Gewalt einzuschreiten. "Wer andere beleidigt, bedroht oder herabwürdigt, der muss überall auf Widerspruch stoßen", so Scholz. "Wir alle sind gefordert." Lübcke sei für sein Engagement angefeindet, an den Pranger gestellt, zur Zielscheibe gemacht und letztlich getötet worden.
Angehörige von NSU-Opfer im Publikum
An der Gedenkfeier, die von der Evangelischen Kirchengemeinde Kassel-Mitte, dem Regierungspräsidium Kassel und der Demokratie-Initiative "Offen für Vielfalt", initiiert worden war, nahmen neben der Familie Lübckes auch Angehörige von Halit Yozgat teil. Yozgat war von der rechtsextremen Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) am 6. April 2006 in Kassel ermordet worden. Auch zahlreiche Politiker, darunter Hessens Ministerpräsident Boris Rhein (CDU) und sein Kabinett, waren gekommen.