Ukrainische und russische Models Wenn der Krieg Dich einholt
Über Jahre hat Regisseur Mehran Djojan drei Models aus Russland und der Ukraine begleitet, die von einer Karriere in Europa träumen. Bis sie plötzlich vom Krieg gegen die Ukraine eingeholt werden - dessen brutale Realität immer stärker in ihr Leben eingreift.
2019 lernt Regisseur Mehran Djojan in Berlin Tanya, Valeriia und Daniel über Instagram kennen. Sie sind Models und Influencer: Daniel und Valeriia kommen aus der Ukraine, Tanya aus Russland. Und alle wollen sie der Perspektivlosigkeit ihrer Heimat entkommen und in Europa durchstarten, den sozialen Aufstieg schaffen.
"Berlin ist im Vergleich zu Kiew extrem offen, würde ich sagen. Ich fühle mich hier so frei und sicher, wenn ich auf der Straße rumlaufe. Aber zuhause denken die Leute ernsthaft, ich wäre eine Frau. Ich soll mein Leben nach den Vorstellungen anderer Leute leben, wie Menschen aussehen, wie sie ihr Leben leben. Hier hast du die Wahl", sagt Daniel. Und auch Tanya fühlt sich in Berlin viel freier als in ihrer Heimat Russland: "Meine Eltern sagen mir ständig 'Tu alles, was du kannst, um in Europa zu bleiben.' Denn in meiner Stadt gibt es kein wirkliches Leben."
Regisseur Djojan hat die drei Models über insgesamt drei Jahre begleitet. Eigentlich sollte sein Film "Offline" eine reine Coming-of-Age Geschichte werden, die drei Models in ihren zwei unterschiedlichen Welten zeigen: zwischen Social-Media-Glamour und rauem Alltag, Fashion-Shootings und befristeten Mietverträgen, Online-Popularität und Visa-Verlängerungen bei der Ausländerbehörde.
Am 26. Oktober 2022 startet ARD Kultur - das gemeinschaftliche neue digitale und vernetzte Kulturangebot der ARD mit seiner Beta-Phase. Auf der Webseite werden künftig die vielfältigen Kulturinhalte der Audiothek und Mediathek gebündelt präsentiert. Mit einem breiten Kulturbegriff spricht ARD Kultur Menschen mit ganz unterschiedlichem Interesse an Kultur an und macht die spannende Themenvielfalt von Kunst bis Kino, von Hip Hop über Rock und Pop bis Klassik, dazu Theater, Literatur sowie Design und Architektur sichtbar.
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Krieg statt Coming-of-Age
Dann beginnt im Februar 2022 der russische Angriffskrieg auf die Ukraine und greift brutal in die Leben von Tanya, Valeriia und Daniel ein. "Plötzlich klingen Fragen wie 'Hey, wie geht's dir?', so falsch und es fällt mir oft schwer mit der Kamera drauf zu halten, wenn meine Freunde leiden", sagt Djojan.
Tanya hat ihre Familie in Russland seit drei Jahren nicht gesehen. Mit dem Beginn des Angriffskriegs gibt es für sie keine Option mehr, zurückzugehen. Und Valeriia, die noch einen Tag vor Kriegsbeginn für Dreharbeiten nach Kiew gereist ist, bricht überstürzt mit dem Zug auf nach Polen und weiter nach Deutschland: "Ich bin durch einen Anruf meines Vaters aufgewacht. Er rief mich um fünf oder sechs Uhr morgens an und sagte: Wach auf. Der Krieg hat begonnen", erinnert sie sich.
Valeriia schafft es nach einigen Wochen, auch ihre Eltern zur Flucht nach Deutschland zu überreden. Eigentlich wollten sie in Cherson bleiben. Und auch Daniels Mutter kommt nach Berlin und wohnt bei ihm, während sein Vater in Kiew zurückbleibt. Auf einmal tragen Valeriia und Daniel die Verantwortung für ihre Eltern, erledigen Behördengänge, übersetzen, versuchen eine Wohnung für ihre Eltern zu finden. Ihr Leben hat sich um 180 Grad gewendet.
Protest gegen Russlands Krieg: Auch Valeriia auf einer Demonstration in Berlin.
Und plötzlich spielt die Nationalität eine Rolle
Valeriia stürzt in eine monatelange Depression, Tanya versucht in ihrer Musik und ihren Performances einen Ausdruck für ihre Gefühle zu finden. Daniel, der auf engstem Raum mit seiner Mutter wohnt, ist gezwungen, sich schließlich vor ihr zu outen. "Grenzen und Nationalitäten haben für uns alle nie eine Rolle gespielt. Doch auf einmal sind wir gezwungen, uns damit auseinanderzusetzen", sagt Regisseur Djojan.
Natürlich beeinflussen der Krieg und die damit verbundenen Ängste auch die Freundschaft und Arbeit der drei. Doch sie versuchen einander zu unterstützen, ihren Schmerz und Wut in Kunst zu verarbeiten und ihre Reichweite auch zu nutzen, um politische Botschaften zu verbreiten. Wo der eine oder die andere herkommt, war für Valeriia, Daniel und Tanya nie wichtig, ihre Freundschaft kann daran nicht zerbrechen. Aber die Unterschiede zwischen dem Leben als Model und den eigenen Gefühlen sind heute noch härter zu überwinden.
Mit seiner Doku-Serie "Offline" gewann Regisseur Mehran Djojan den ARD-Kultur-Ideenwettbewerb "ARD Kultur Creators". Die Serie wird ausgestrahlt im rbb und online in der ARD-Mediathek.