Prozess zum "Tiergartenmord" Wer ist der Täter?
In Berlin hat der Prozess zum "Tiergartenmord" begonnen. Am Anfang stand die Frage, wer der Täter ist - die Antwort darauf hat für Deutschland außenpolitische Bedeutung.
Der Tatort liegt nur wenige hundert Meter von dem Gerichtsgebäude entfernt, in dem seit heute das Verfahren zum "Tiergartenmord" stattfindet. Der Angeklagte sitzt hinter einem Glasschutz im Saal 700 des Berliner Landgerichts.
Er soll am 23. August 2019 im Kleinen Tiergarten einen Mord begangenen haben, der für Deutschland von außenpolitischer Bedeutung ist. Denn er soll im Auftrag staatlicher Stellen in Russland gehandelt oder die Motive des russischen Staates geteilt haben, so erklärt es Bundesanwalt Ronald Georg in der Anklageverlesung.
Der Täter habe aus Habgier gehandelt, weil er einen Auftragsmord begangen und dafür einen Lohn erwartet habe. Oder er habe die Tat aus niedrigen Beweggründen begangen, wenn er wie der russische Staat im Opfer einen Gegner gesehen habe. Der Erschossene Tornike Kavtarashvili soll im zweiten Tschetschenienkrieg gekämpft und in Georgien Terroristen für den Einsatz in Russland ausgebildet haben.
Ferner Konflikt erreichte Deutschland
Mit der Tat erreichte ein Konflikt Deutschland, der vor Jahrhunderten begann, als das russische Zarenreich den Kaukasus eroberte. In den zwei Tschetschenienkriegen während der 1990er- und 2000er-Jahre wurden bis zu 160.000 Menschen getötet.
Tornike Kavtarashvili, ein Georgier tschetschenischer Abstammung mit dem ursprünglichen Namen Zelimkhan Khangoshvili, sah in Russland einen Gegner der Tschetschenen. Er war als Kämpfer im zweiten Tschetschenienkrieg. Dass er allerdings in Georgien Terroristen ausgebildet haben soll, dazu sind bislang keine Belege öffentlich geworden.
Sokolov oder Krasikov?
Der Mann, der in weißem Hemd und schwarzer Hose auf der Anklagebank sitzt, ist Russe - da sind sich Anklage und Verteidigung einig. Doch das Ermitteln seiner wahren Identität könnte schon zur Klärung der Anklagepunkte beitragen.
Deshalb wies der Vorsitzende Richter Olaf Arnoldi schon vor Nennung persönlicher Daten des Angeklagten darauf hin, dass er zum eigenen Schutz die Angaben dazu verweigern kann.
Dessen Wahlverteidiger Robert Unger gab an, sein Mandant heiße Vadim Sokolov und sei am 20. August 1970 in Irkutsk geboren. Der Angeklagte bestätigte auf Russisch: "Das ist richtig." Es waren seine einzigen Worte am ersten Verhandlungstag.
Mit schwarz gefärbten Haaren und ohne Bart wirkte er jünger als auf den bislang von ihm bekannt gewordenen Fotos. Er verfolgte aufmerksam und munter die Ausführungen von Richter und Anklage. Einmal schaute er länger in Richtung Publikum.
Pflichtverteidiger Unger fügte hinzu, eine Person namens Vadim Krasikov sei seinem Mandanten nicht bekannt. Krasikov ist den Untersuchungen der Ermittler zufolge der richtige Name des Angeklagten. Er ist demnach fünf Jahre älter und in Kasachstan geboren.
Der Name Sokolov, auf dem der Angeklagte besteht, steht in dem Pass, den er in Deutschland bei sich trug. Der Anklage zufolge hatten ihn russische Behörden gefälscht und das französische Konsulat in Moskau ihm auf diesen Pass ein Schengen-Visum ausgestellt.
Gutachten zur Identität des Angeklagten
Gutachten zum Pass, zu einem Gesichtsabgleich, zu Schmauchspuren, Berichte von LKA und BKA und zahlreiche weitere Dokumente finden sich in acht Ordnern, die der Richter an Anklage und Verteidigung verteilen ließ, nachdem Bundesanwalt Georg die Anklage verlesen hatte. Der Angeklagte und seine Anwälte sowie die Nebenklage müssen die knapp 80 Seiten bis Mitte November durcharbeiten.
Dem Angeklagten, der kein Deutsch spricht, stellt das Gericht einen Dolmetscher. Er wird von zwei Pflichtverteidigern und nun zusätzlich von Wahlverteidiger Unger vertreten, der einen Tag vor Verhandlungsbeginn dazu stieß.
Vier Anwältinnen vertreten als Nebenklägerinnen acht Familienmitglieder des Getöteten. Als Bundesanwalt Georg den Tathergang beschrieb, brach eine Schwester des Mordopfers in Tränen aus. Der mutmaßliche Täter blieb ungerührt.
Für die Familienmitglieder steht fest, dass Russland hinter dieser Tat steht. Sollte das Berliner Kammergericht die Anklage bestätigen, wird die Bundesregierung handeln müssen. Als erster Schritt klärt das Gericht mit Zeugenbefragungen den Tathergang im nahe gelegenen Kleinen Tiergarten.