Soldaten mit psychischen Problemen Traumatisiert und vergessen
Heute stimmt der Bundestag erneut über die Verlängerung des Afghanistan-Mandats ab - zugleich soll der Abzug eingeläutet werden. Bislang waren etwa 100.000 Soldaten am Hindukusch. 1800 kehrten traumatisiert zurück. Diagnose: Posttraumatische Belastungsstörung.
Von Nicole Markwald, HR
Es ist ein grauer, fünfstöckiger Bau - unscheinbare 70er-Jahre, würde ich sagen. Das ist also die Wicker Klinik in Bad Wildungen im Norden von Hessen. Hier will ich mir erklären lassen, was genau eine Posttraumatische Belastungsstörung ist. Dafür habe ich mich mit Gabriele Fröhlich-Gildhoff verabredet. Sie ist die Chefärztin der Abteilung Psychosomatik.
Hier werden Menschen behandelt, die schwere Trauma überwinden müssen: einen Überfall, Missbrauch, einen schwerer Unfall - und eben auch ehemalige Bundeswehrsoldaten, die sich in lebensgefährlichen Situationen befanden, schwer verletzte oder tote Kameraden gesehen oder auch selbst auf Menschen geschossen haben.
Verschiedene Auslöser von PTBS
Ich möchte von Frau Fröhlich-Gildhoff wissen, wann eine Posttraumatische Belastungsstörung auftreten kann. "Das ist ganz unterschiedlich. Das kann eine körperliche Erkrankung wie eine schwere Grippe sein, das kann eine persönliche Krisensituation wie eine Trennung sein, Arbeitsplatzverlust oder Ähnliches, wo plötzlich Erinnerungen an Einsätze wieder hochkommen. Die springen plötzlich wieder raus und sind da. Das nennen wir dann Flashback, zu deutsch Nachhallerinnerung", erklärt die Ärztin.
Bis zur Selbstverletzung
Diese sogenannten Flashbacks sind typisch für eine PTBS. Da kann der Klang von Silvesterböllern in dem Betroffenen das Gefühl auslösen, wieder im Kampfeinsatz zu sein, oder - wie mir ein Betroffener erzählte - der Anblick eines vollbärtigen Mannes, der traditionelle afghanische Kleidung trägt. "Was in solchen Flashback-Situationen häufig passiert, ist, dass sich die Betroffenen selbst verletzen, um wieder ins Hier und Jetzt zu kommen. Das ist einfach eine Möglichkeit, um sich zu reorientieren. Das kann man, indem man sich selber Schmerz zufügt", sagt Fröhlich-Gildhoff.
Doch Flashbacks sind nur eine Facette dieser Erkrankung: "Eine PTBS zeichnet sich dadurch aus, dass Menschen übererregbar sind, sie sind ständig angespannt, sie haben einfach einen erhöhten Stresspegel, auch im Alltag." Die meisten Betroffenen hätten Schlafstörungen und zeigten Vermeidungsverhalten, indem sie Plätze, Orte oder Gelegenheiten, die sie an den Einsatz erinnern können, meiden.
"Die werden fallengelassen"
Es beginnt eine Abwärtsspirale: Der Betroffene zieht sich zurück, auch von Freunden und Familienmitgliedern. Viele der Soldaten sind Reservisten - sie können oft nicht in ihre eigentlichen Berufe zurückkehren und sind arbeitsunfähig. Manchmal folgen Medikamenten- oder Alkoholabhängigkeit - oft erst Jahre nach dem Einsatz, aber auf Grund des Einsatzes. Und da, so Fröhlich-Gildhoff kritisch, greife die Hilfe der Bundeswehr zu kurz: "Es wird zu wenig strukturiert angeboten. Vor allem in der Nachsorge werden die Soldaten nicht aufgefangen. Die Betroffenen sind häufig auf sich gestellt, es passiert nichts. Mein Eindruck ist: Die werden fallengelassen."
Die Chefärztin ist darüber empört. Dazu komme ein langer Papierkrieg, bis endlich geklärt sei, wer die Kosten für eine Therapie übernehme, sagt sie. Das sei eine große Belastung für die Menschen, die eigentlich außer Gefecht gesetzt seien: "Das ist etwas, wofür ich wenig Verständnis habe. Ich denke, wenn wir die Menschen zum Schutze von wem auch immer losschicken und die Soldaten in die kriegsartige Handlung einbezogen sind, dann ist es die Pflicht unseres Staates, für die Nachsorge zu sorgen und nicht so zu tun, als wäre das ein Problem des Einzelnen. Es betrifft ja viele."