Fragen und Antworten Rechtsfragen rund um die Causa Wulff
In der Affäre um Bundespräsident Wulff hat die Staatsanwaltschaft Hannover einen Anfangsverdachts wegen der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung. ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam klärt die juristischen Fragen dazu.
Von Frank Bräutigam, SWR
Was heißt der Rücktritt nun für die Immunität?
Mit Rücktritt von seinem Amt verliert Christian Wulff den Schutz der Immunität. Dieses Verfahrenshindernis für die Staatsanwaltschaft Hannover ist damit beseitigt. Das offizielle Ermittlungsverfahren kann nun beginnen.
Hat das offizielle Ermittlungsverfahren begonnen, sind Staatsanwälte per Gesetz verpflichtet, sowohl belastende Beweise als auch entlastende Dinge zu sammeln. Am Ende des Ermittlungsverfahrens hat die Staatsanwaltschaft prinzipiell zwei Möglichkeiten: Sie kann Anklage beim Strafgericht erheben, wenn aus ihrer Sicht eine spätere Verurteilung wahrscheinlich ist, oder sie kann das Verfahren einstellen, weil sich der "Anfangsverdacht" nicht erhärtet hat. Die Mehrzahl der Ermittlungsverfahren wird in der Praxis eingestellt. Bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung.
Wann beginnt die Staatsanwaltschaft mit einem offiziellen Ermittlungsverfahren?
Im strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gibt es verschiedene Verdachtsstufen. Zentraler Begriff ist der "Anfangsverdacht". Wenn die Staatsanwaltschaft den Anfangsverdacht einer Straftat bejaht, muss sie ein offizielles Ermittlungsverfahren einleiten. Voraussetzung sind "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte". Eine Strafbarkeit muss also nach aktuellem Stand möglich sein. Diesen "Anfangsverdacht" sieht die Staatsanwaltschaft Hannover nun bei Christian Wulff, der Vorwurf lautet: "Vorteilsannahme" im Zusammenhang mit den Geschehnissen um den Filmproduzenten David Groenewo
Hat die Staatsanwaltschaft denn bisher überhaupt nicht geprüft?
Doch. Sie hat sogenannte "Vorermittlungen" angestellt, zum Beispiel Medienberichte ausgewertet. In diesem Stadium hat die Staatsanwaltschaft aber noch nicht viele Befugnisse, sie kann noch keine Zeugen vernehmen oder Unterlagen beschlagnahmen. Das geht nur, wenn der "Anfangsverdacht" vorliegt und ein offizielles Ermittlungsverfahren eingeleitet ist.
Was bedeutet "Vorteilsannahme"?
Der Vorwurf gegenüber Christian Wulff lautet Vorteilsannahme (nicht "Vorteilsnahme", siehe § 331 Strafgesetzbuch). Die Vorschrift hat zwei wesentliche Voraussetzungen. Ein Amtsträger muss:
- einen "Vorteil annehmen",
- und zwar "für die Dienstausübung".
Für mögliche "Vorteile" gibt es unzählige Beispiele, etwa direkte Geldzahlungen, Geschenke, Freikarten oder Urlaubsreisen.
"Für die Dienstausübung" bedeutet nicht zwingend, dass sich der gewährte Vorteil direkt auf eine konkrete Diensthandlung beziehen muss, also etwa - wie bei der "Bestechlichkeit" - Geld direkt gegen Erteilung einer rechtswidrigen Baugenehmigung. Die Strafbarkeit ist bei der Vorteilsannahme relativ weit gefasst. Seit einer Gesetzesänderung im Jahr 1997 sollten auch Fälle der "allgemeinen Klimapflege" ohne ganz konkrete Gegenleistung erfasst werden, um dem "bösen Anschein" der Käuflichkeit von Amtsträgern entgegenzuwirken. Eine allgemeine Verknüpfung mit der Dienstausübung muss aber bestehen. Genau das ist oft der entscheidende und umstrittene Punkt. Die Praxis der Strafverfolgung zeigt: Vieles hängt hier von rechtlichen Wertungen der durchaus unbestimmten Begriffe und Kriterien ab.
Das Spiegelbild zur "Vorteilsannahme" ist die "Vorteilsgewährung". Deswegen ermittelt die Staatsanwaltschaft nun gegen Groenewold.
Das Gesetz sieht eine Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren vor. Die Frage der Strafe würde sich aber erst ganz am Ende stellen, bislang gibt es nur den "Anfangsverdacht".
Was bedeutet "Bestechlichkeit"?
Gegen Wulffs ehemaligen Sprecher Olaf Glaeseker ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen "Bestechlichkeit" gemäß § 332 Strafgesetzbuch. Danach macht sich ein Amtsträger (z.B. ein Beamter, Richter, Minister) strafbar, der einen:
- Vorteil
- als Gegenleistung dafür fordert oder annimmt, dass er eine Diensthandlung vorgenommen hat
- und dadurch seine Dienstpflichten verletzt hat.
Bestechlichkeit liegt also nur dann vor, wenn sich zum Beispiel die Geldzahlung auf eine ganz bestimmte Diensthandlung bezieht, die dann auch noch pflichtwidrig sein muss. Ein Beispiel: Geldzahlung als Gegenleistung für die Erteilung einer Baugenehmigung, die der Beamte nach dem Gesetz gar nicht hätte erteilen dürfen.
Im Fall von Glaeseker ergibt sich der Anfangsverdacht laut Staatsanwaltschaft aus der möglichen Verknüpfung: kostenlose Urlaubsreisen gegen Einwerbung von Sponsorengeldern in offizieller Funktion für eine private Veranstaltung. Bei der Bestechlichkeit handelt es sich um ein gravierenderes Delikt als bei der "Vorteilsannahme".
Warum musste die Staatsanwaltschaft überhaupt erst die Aufhebung der Immunität des Bundespräsidenten beantragen?
Im Grundgesetz steht, dass der Bundespräsident "Immunität" genießt. Das bedeutet: Staatsanwälte dürfen nicht "einfach so" ein Ermittlungsverfahren gegen das Staatsoberhaupt einleiten. Sie ist eine Art "Stoppschild" und greift auch bei Vorwürfen, die nicht in die Amtszeit des Bundespräsidenten fallen. Dieser Schutz vor Strafverfolgung für das Staatsoberhaupt hat eine lange Tradition und ist nichts Ungewöhnliches, auch in anderen Staaten. Allerdings kann der Bundestag die Immunität aufheben und damit das "Stoppschild" beseitigen.