Brandenburg Interview | Filmfestival Cottbus 2024: "Im Kino geht es darum, die Elefanten, die im Raum stehen, sichtbar zu machen"
Tausende Besucher werden im November zum Festival des osteuropäischen Kinos in Cottbus erwartet. Sie werden Filme sehen, die privater als sonst sind. Programmchef Bernd Buder über Mikrokosmen, Ratlosigkeit und die diesjährigen Promis.
rbb|24: Herr Buder, jedes Festivaljahr hat seine eigene Spezifik. Wo liegt die Besonderheit des 34. Filmfestivals in Cottbus?
Bernd Buder: Ich glaube, die Regisseure und Regisseurinnen aus Osteuropa gucken dieses Jahr persönlich noch genauer hin. Die Filme spielen sich also noch mehr im Privaten ab, ohne dabei unpolitisch zu werden.
Wir kennen alle, dass sich in familiären Konflikten genau die Konflikte abzeichnen, die es draußen auch gibt. Das schaffen die Regisseure und Regisseurinnen ganz kongenial in Gesellschaftsdramen umzusetzen, die im kleinen Mikrokosmos spielen.
Programmdirektor Bernd Buder
Es gab eine Zeit, in der Filme viel auf Kriegsgeschehen geguckt haben. Auch aktuell gibt es Kriege. Spielt das auch in diesem Jahr thematisch eine Rolle?
Der Krieg determiniert das Lebensgefühl in vielen Ländern. Bedrohungsängste sind da, allgemeine Ängste. Man spricht nicht mehr so viel miteinander. Populismus, die daraus folgende Spaltung in der Gesellschaft, die teilweise enorme Unfähigkeit, miteinander überhaupt noch ins Gespräch zu kommen - von miteinander reden will ich gar nicht sprechen.
Die Filme versuchen das doch irgendwie zu überbrücken. Durch Filme kann man prima in fremde Lebenswelten eintauchen und auch erfahren, wie eigentlich andere Leute denken. Das Schöne am osteuropäischen Kino ist, dass die meisten Filme einen als Publikum nicht unbedingt belehren wollen, sondern einfach zeigen wollen: Leute, so ist es und aus der Situation, wie wir sie vorfinden, müssen wir irgendwie was machen. Diese Situationsbeschreibung können Osteuropäer immer noch hervorragend.
Im Kino geht es darum, die Elefanten, die im Raum stehen, sichtbar zu machen. Was wir mit diesem Elefanten dann tun, das müssen wir selber wissen.
Das führt am Ende nach 90 Minuten Film dazu, dass man oft ein bisschen ratlos dasitzt und sich denkt: Der Film gibt mir jetzt ja keine Antworten, wie ich mich verhalten soll. Aber darum geht es im Kino auch nicht. Im Kino geht es darum, die Fragen, die offensichtlich im Raum stehen, die Elefanten, die im Raum stehen, wirklich sichtbar zu machen. Was wir mit diesem Elefanten dann tun, das müssen wir selber wissen. Dafür ist das Kino auch nicht mehr zuständig.
Welche Prominenten sind in diesem Jahr beim Festival dabei?
Da gibt es jede Menge junge Leute im Alter von Mitte 40, die heranwachsen. Da ist die Regisseurin Inna Sahakyan, die kennt hier wahrscheinlich vom Namen kein Mensch. Sie hat mehrere Filme in Armenien gemacht. Einen wunderbaren Animationsfilm über den Genozid 1915, aber auch einen Dokumentarfilm über eine Transgender-Gewichtheberin. Sie ist auf jeden Fall in Armenien ein Big Shot, auch eine ungeheure aktive Frau.
Oder die Hauptdarstellerin und Drehbuchautorin des Eröffnungsfilms ["My late summer"] , Anja Matković aus Kroatien. Sie ist da ein Star am Theater und im Film. [Oder] Bernáth Szilárd aus Ungarn, der hier vor einigen Jahren mit "Larry" den Hauptpreis im Jugendfilm gewonnen hat. Er ist mit seinen Debütfilm richtig durchgestartet, war auf ganz vielen internationalen Festivals.
Oder Eglė Vertelytė aus Litauen. Sie hat die Komödie "Tasty" über zwei Frauen gemacht, die in einer Kantine arbeiten und in einer Kochschau ein Sternerestaurant gewinnen wollen. Der Film hat gleichzeitig Weltpremiere in Cork, Cottbus und Tallinn.
Das ist die neue Generation des osteuropäischen Films, die schon über die Startrampen hinaus ist und die mit sehr unterschiedlichen und auch sehr pointierten Arbeiten überzeugt, die aber auch im Grenzbereich zwischen Ernst und Komödie arbeitet.
Haben sich Ehrengäste angekündigt?
Ich freue mich zum Beispiel auf Tamás Tóth, ein ungarischer Regisseur, den wir auch schon mehrmals in den 90er Jahren hatten. Der hat jetzt einen Film in Kasachstan gemacht, einen Eastern. Es ist eine Geschichte aus den 30er Jahren. Die Rote Armee versucht, zwangszukollektivieren und gerät mit den einheimischen Nomaden in Konflikt. Das ist ein bisschen eine Cowboy und Indianer-Geschichte, bloß auf mittelasiatische Verhältnisse umgemünzt, auch ungeheuer bildstark.
Wir haben auch noch die Hauptdarstellerin des serbischen Films "Dwelling among the gods" [Fereshteh Hosseini zu Gast]. Sie ist aus dem Iran, spielt eine Afghanin in einem Geflüchteten-Film, der in Serbien entstanden ist. Sie ist auch ein Star und hat unglaublich viel zu sagen.
Schauen wir mal auf die Fakten des Festivalprogramms. Wie viele Filme aus wie vielen Ländern laufen?
Wir haben 147 Filme aus 41 Koproduktionsländern. Fünf Leinwände, fünf Veranstaltungen pro Tag, da kommt schon einiges zusammen.
Wie viele Gäste kommen, kann ich leider noch nicht sagen, weil wir noch nicht am Ende sind. Es ist aber auf jeden Fall in den Wettbewerben für jeden Film ein Gast da - mal Schauspieler, Schauspielerin, mal Filmschaffende, auch mal der Produzent. Es ist ja auch ganz interessant, mal zu sehen, wie wird so ein Film finanziert? Wie setzt man bestimmte Themen auch politisch durch, was ja in einigen Ländern schwierig geworden ist. Welche Themen kann man nicht mehr durchsetzen?
Welche Spielstätten sind es dieses Mal?
Es sind die Stadthalle, Saal 2 und der große Saal im Weltspiegel, das Obenkino, das Gladhouse und die Kammerbühne.
Wie ist in diesem Jahr das Angebot für Kinder und Jugendliche?
Wir haben traditionell am Sonntag bei der Matinee-Veranstaltung die neueste ARD-Märchenfilmverfilmung. Da haben wir diesmal das Märchen von der silbernen Brücke. Das ist wieder eine unserer Weltpremieren. Wir haben auch insgesamt fünf Kinderfilme aus verschiedenen Ländern und den Jugendfilmwettbewerb, der sich an die Altersgruppe 13 bis 18 richtet, mit Filmen, die sich mit Coming-of-Age-Stories, Herausforderungen des Heranwachsens im Jugendalter in unterschiedlichen Ländern beschäftigen. Also erstaunlich unterschiedliche Geschichten, die zwischen Polen und Georgien erzählt werden.
Das Cottbuser Filmfestival beginnt am 5. November. Was passiert noch bis dahin hinter den Kulissen?
Es gibt immer das, was ich als das "Problem des Tages" bezeichne. Wenn man plötzlich feststellt, dass irgendein Film, der einem als Deutschlandpremiere angekündigt wurde, plötzlich doch keine Deutschlandpremiere ist. Oder es gibt einen Untertitelversatz, technische Probleme - aber eigentlich Schwierigkeiten, die wir mit unserer Erfahrung und mit dem großartigen Team, was schon seit Jahren zugange ist, relativ souverän wieder ins Lot bringen können.
Was noch ansteht, sind jetzt vor allen Dingen PR-Bewerbung, zielgruppenspezifische Bewerbung. Welcher Film könnte noch für welche Zielgruppe interessant sein? Schaltet man Botschaften ein, Kulturzentren ein, bestimmte Zielgruppen, die von den Themen betroffen sein könnten?
Es ist also viel kleinteiliges Management, was aber auch Spaß macht, weil man auch mit den Zielgruppen, mit den Zuschauern, die man ansprechen will, schon mal im Voraus Bekanntschaft macht.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Jörg Reimann. Bei der vorliegenden Version handelt es sich um eine redigierte und gekürzte Fassung.
Sendung: Antenne Brandenburg, 23.11.2024, 15:30 Uhr