Brandenburg Sondierungen in Brandenburg und Thüringen: Worin sich die Sondierungspapiere in Brandenburg und Thüringen unterscheiden
In Brandenburg haben SPD und BSW ein Papier vorgelegt, das die Grundlage für Koalitionsgespräche ist. Kurz darauf zogen CDU, BSW und SPD in Thüringen nach. In der Frage zur Ukraine-Politik unterscheiden sich die Papiere fundamental. Von Michael Schon
- Ukraine-Politik in Sondierungspapieren in Brandenburg und Thüringen unterscheidet sich
- Brandenburger BSW-Chef Crumbach: Thüringer Kompromiss wäre zu wenig gewesen
- SPD-Politiker Roth: Brandenburger SPD bricht mit Politik des Kanzlers
Man hat Sahra Wagenknecht nicht allzu häufig in Fernsehkameras lächeln sehen in den Wochen seit den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, die für ihr Bündnis siegreich waren. Am Montag aber hatte sie offenbar Grund zur Freude.
Sie sei "sehr froh, dass ein guter Kompromiss gefunden wurde", sagte sie in ein Mikrofon des Saarländischen Rundfunks und strahlte dabei mit der Herbstsonne um die Wette. Gemeint war das Papier, das die Landeschefs von SPD und BSW, Dietmar Woidke und Robert Crumbach, am Morgen im Presseraum des Potsdamer Landtags vorgestellt hatten.
Neuer Sound - und ein Schritt in Richtung Wagenknecht
Grund für die Freude: in erster Linie drei Absätze des zweieinhalbseitigen Textes. Sie betreffen den russischen Krieg in der Ukraine. Dieser werde "nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet", heißt es dort. Und: Vor dem Hintergrund, "Spannungen innerhalb Europas" durch eine diplomatische Lösung des Ukrainekonflikts abbauen zu wollen, sähen SPD und BSW "die Stationierung von Mittelstrecken- und Hyperschallraketen auf deutschem Boden kritisch."
Das ist zumindest ein neuer Sound für Brandenburgs Ministerpräsident Woidke, der im Wahlkampf noch mit deutlich Ukraine-freundlicheren Tönen aufgefallen war. Vor allem war es ein deutliches Entgegenkommen in Richtung BSW-Chefin Wagenknecht.
Sie befand, das Papier enthalte eine "klare Position zur Frage der Außenpolitik". Und eine deutliche Kritik an einer möglichen Stationierung von US-Raketen. Auch BSW-Landeschef Robert Crumbach zeigte sich zufrieden: "Ich bin froh, dass wir das vereinbart haben."
Die Kompromissformel für die Koalition von SPD und BSW in Brandenburg steht: Waffenlieferungen würden den Ukraine-Krieg nicht beenden - Mittelstreckenraketen in Deutschland seien "kritisch". Die Sätze sind inhaltlich hohl, aber nicht ungefährlich, kommentiert Michael Schon.mehr
Unterschiede zwischen CDU, BSW und SPD in Thüringen deutlich
Die Erleichterung ist nachvollziehbar. Denn aus dem Sondierungspapier in Thüringen lässt sich so viel Bewegung in Richtung BSW nicht herauslesen. Die künftige Regierung dort verbinde zwar "der Wille zum Frieden" und das Anerkennen von Ängsten, Deutschland könne in den Krieg "hineingezogen" werden. Es werden aber auch sehr deutlich Unterschiede hervorgehoben: "CDU und SPD sehen sich in der Tradition von Westbindung und Ostpolitik. Das BSW steht für einen kompromisslosen Friedenskurs", heißt es beispielsweise.
Auch "hinsichtlich der Notwendigkeit von Waffenlieferungen an die Ukraine" sei man "unterschiedlicher Auffassung". Beim Thema der Stationierung von US-Raketen in Deutschland gibt es anders als im Brandenburger Text keine gemeinsame Festlegung: Die drei potenziellen Koalitionspartner "erkennen", dass Menschen in ihrem Bundesland dies kritisch sähen oder ablehnten, hielten die Thüringer Sondierer fest – davon, dass sich CDU oder SPD diese Sicht zu eigen machen, wie es SPD und BSW in Brandenburg erklärten, ist in dem Text nicht die Rede.
So war die Miene von BSW-Chefin Wagenknecht auch deutlich düsterer, als sie am Montag nach Einbruch der Dunkelheit ein zweites Mal vor die Kamera trat. "Ich bedaure, dass der von den Verhandlern in Thüringen abgesegnete Text weit hinter dem zurückbleibt, was wir in Brandenburg erreicht haben", gab sie zu Protokoll. BSW-Landeschef Crumbach sagte dem rbb am Dienstag: "Wenn ich nur den Thüringer Teil gehabt hätte, wäre mir das zu wenig gewesen."
BSW: In Brandenburg besseren Schnitt gemacht
Während das BSW aus den beiden Texten einen deutlichen Unterschied herausliest und keinen Hehl daraus macht, in Brandenburg einen besseren Schnitt gemacht zu haben als in Thüringen, will Brandenburgs SPD das so nicht stehen lassen.
SPD-Generalsekretär David Kolesnyk ist seit der Veröffentlichung des Brandenburger Papiers damit beschäftigt, die Linie seiner Partei kenntlich zu machen. Er sieht offenbar keinen fundamentalen Unterschied zum Thüringer Text: "Auch in Brandenburg stimmen SPD und BSW beim Thema Waffenlieferungen nicht überein. Aus Sicht der SPD ist es aufgrund des Völkerrechts möglich und moralisch die Pflicht, die Ukraine, die sich verteidigt, dabei mit Waffen zu unterstützen."
SPD und BSW in Brandenburg stellen Gemeinsamkeiten in den Vordergrund
Also doch ein deutlicher Dissens zwischen SPD und BSW? Warum ist dann anders als in Thüringen davon im Sondierungspapier nichts zu lesen?
Man habe sich entschieden, "die gemeinsam gefundene Position festzuhalten und nicht das, was uns trennt", so Kolesnyk. Außerdem seien die eigentlichen Koalitionsverhandlungen in keinem der Bundesländer bisher abgeschlossen. Was wohl heißen soll: Abwarten, was am Ende im Thüringer Koalitionsvertrag steht – falls es überhaupt einen gibt.
Scharfe Kritik von SPD-Außenpolitiker Michael Roth: "Wagenknecht-Lüge"
Dissens gibt es allerdings auch innerhalb der SPD. Erste Stimmen kritisieren das in Brandenburg ausgehandelte Papier scharf. Der SPD-Außenpolitiker Michael Roth nannte es gegenüber der "Süddeutschen Zeitung" "in mehrfacher Hinsicht einen Bruch mit der Politik des Bundeskanzlers und der SPD" – beispielsweise mit einem Präsidiums-Beschluss der SPD, der die Stationierung von US-Mittelstreckenraketen befürworte. Außerdem greife das Papier die "Wagenknecht-Lüge" auf, wonach die Ukraine-Politik der SPD ausschließlich aus Waffenlieferungen bestehe. Diplomatie sei die andere Seite der gleichen Medaille, so Roth.
Derlei Kritik ficht Brandenburgs SPD-Strategen bisher nicht an. Er gehe davon aus, noch in diesem Jahr einen Koalitionsvertrag mit dem BSW verhandeln zu können, sagte Kolesnyk im rbb24 Inforadio. Läuft es so geschmeidig wie in den Sondierungen, könnte Dietmar Woidke schon in der Landtagssitzung am 11. Dezember als Ministerpräsident wiedergewählt werden.
Sendung: rbb24 Brandenburg aktuell, 29.10.2024, 19:30