Der Sportplatz des ESV Lok Potsdam an der Havel (Olaf Gutowski/ESV Lok Potsdam)

Brandenburg Sportgelände des ESV Lok Potsdam laut Gutachten 45 Mio. Euro wert - Verein kämpft um Erhalt

Stand: 04.09.2024 16:51 Uhr

Seit 25 Jahren kämpft der ESV Lok Potsdam um den Erhalt seines schmucken Sportgeländes an der Havel. Ein neues Gutachten des Bundesrechnungshofs gefährdet nun diese Bemühungen und lässt Raum für Spekulationen. Von Fabian Friedmann

Der Zankapfel liegt idyllisch. Ein 30.000-Quadratmeter Grundstück in der Berliner Vorstadt direkt an der Havel, nahe der geschichtsträchtigen Glienicker Brücke. Bundeskanzler Olaf Scholz wohnt in der Nähe. Ein Bootsanleger, Villen im Renaissance-Stil und das Kleine Schloss Babelsberg sind vom Ufer aus zu sehen. Es ist der Traum eines jeden Immobilienmaklers - und gleichzeitig die Heimat des ESV Lokomotive Potsdam.
 
Seit Jahren kämpft der Verein gegen den Verlust seines ansehnlichen Sportgeländes an der Berliner Straße. Und dieser Kampf hat nun einen erneuten Dämpfer bekommen. Es geht um ein Gutachten des Bundesrechnungshofes, die astronomische Summe von 45 Millionen Euro und um die Frage, was wiegt schwerer? Das Wohl eines über 70 Jahre gewachsenen Sportvereins oder das Vermögen einer alsbald abgewickelten Bundesbehörde.

Der Sportplatz des ESV Lok Potsdam an der Havel (Olaf Gutowski/ESV Lok Potsdam)
Wie eine Bundesbehörde mit einem Sportplatz Millionen verdienen will

Seit vielen Jahren versucht Lok Potsdam, seinen Heimat-Sportplatz an der Havel zu erwerben. Eigentümer des Grundstücks ist jedoch eine Bundesbehörde, die das Grundstück in den freien Verkauf geben will. Das dürfte den Preis in die Höhe treiben. Von Lukas Wittemehr

Gelände unter Verwaltung einer Behörde

Das ESV im Vereinsnamen steht für Eisenbahner-Sportverein. 1951 gründete sich Lok als Betriebssportgemeinschaft des damaligen Reichsbahnausbesserungswerks in Potsdam. Der Verein wächst stetig über die Jahrzehnte. Mittlerweile bietet der Klub knapp 1.300 Mitgliedern ein breites Angebot in 14 Sportarten. Die beschauliche Sportanlage an der Havel bildet das Zentrum des Vereins. Acht Abteilungen nutzen das Gelände, darunter zehn Fußballmannschaften aller Altersklassen.
 
Eigentümer des Geländes ist aber nicht der Verein oder die Stadt, sondern die Bundesbehörde der Bundeseisenbahnvermögen (BEV). Diese ist dem Bundesministerium für Digitales und Verkehr unterstellt und entstand 1993 im Rahmen der Bahnreform. Damals gingen alle betriebsnotwendigen Liegenschaften an die neugegründete Deutsche Bahn AG über, alles nicht Betriebsnotwendige sollte künftig vom BEV verwaltet und fortgeführt werden, darunter auch Eisenbahner-Sportvereine und deren Sportplätze, die mit der Bahnreform in den Besitz des Bundeseisenbahnvermögens übergingen.

Drei erfolglose Kaufbemühungen

1999 wird ein sogenannter Erbbaurechtsvertrag geschlossen. Der Verein muss als Sozialeinrichtung keine Pacht zahlen. In dem Vertrag gibt es einen Passus, dass der ESV innerhalb der 25-jährigen Laufzeit das Grundstück kaufen müsse. Der Bebauungsplan der Stadt Potsdam schreibt vor, dass dieses Grundstück nur als Grünfläche mit dem Zweck Sport genutzt werden darf. Deswegen erwartet der Verein einen reibungslosen Kauf.
 
Im selben Jahr errichtet der Klub ein eigenfinanziertes Vereinsheim für 3,2 Millionen D-Mark. Im Vertrag ist aber zusätzlich eine sogenannte Heimfallregelung festgelegt. Sie bedeutet, dass Lok bei einem Verkauf an Dritte, den ursprünglichen Zustand des Geländes übergeben müsse. Heißt: Sämtliche Investitionen in die Infrastruktur würden eliminiert beziehungsweise mitverkauft werden. Ein Umstand, der zur damaligen Zeit von den Klubvertretern geschluckt wird, weil sie davon ausgehen, dass sie das Gelände ohnehin erwerben werden – eine fatale Fehleinschätzung. 25 Jahre später sagt der 1. Vorsitzende von Lok Potsdam, Jürgen Happich: "Sie wollten nicht an uns verkaufen. Das BEV ist nicht gewillt, irgendetwas im Sinne des Sports zu lösen."
 
2004 stellt der ESV erstmals einen Kaufantrag, 2016 und 2018 folgen zwei weitere. Laut Happich wurden die Angebote nie einer ernsthaften Prüfung unterzogen, die BEV geht einfach davon aus, dass der Verein sich das schmucke Grundstück ohnehin nicht leisten könne. Später gibt die Behörde mit Sitz in Bonn offen zu, dass es mithilfe eines Ausschreibens das Grundstück öffentlich zu Marktpreisen verkaufen möchte, wobei die Stadt Potsdam ein Vorkaufsrecht besitze.

Das BEV ist nicht gewillt, irgendetwas im Sinne des Sports zu lösen.

Der Kampf der Gutachten

Anschließend werden zahlreiche Gutachten in Auftrag gegeben. Bis 2018 gibt es drei Stück, die alle den Wert im sechsstelligen Bereich sehen, erklärt Happich. Doch das ist dem BEV nicht genug. Es beauftragt ein weiteres Gutachten, ein neutraler Sachverständiger kommt zu dem Schluss, dass das Grundstück 1,7 Millionen Euro wert sei. Später kommt ein weiteres dazu, dass den Wert sogar auf 6,7 Millionen Euro festlegt, wobei hier die vereinseigenen Vermögenswerte miteinbezogen werden. Ein letztes Gutachten beziffert den Verkehrswert schließlich auf 5,6 Millionen Euro.

Daneben verliert Lok zum 31. Dezember 2018 den Sozialstatus und soll fortan Pacht bezahlen, weil laut BEV kein ausreichender Nachweis erbracht wurde, dass mindestens 15 Prozent der Aktiven im Verein Eisenbahner sind. Der Verein klagt und bekommt im Sommer 2023 teilweise Recht, geht aber in Berufung, weil das Gericht verfügt, der Klub müsse für das Jahr 2018 eine Pacht von 119.000 Euro zahlen – plus Gerichtskosten. "Das ist für einen Sportverein ein Todesurteil", sagt Happich, der den Beschluss als völlig ungerechtfertigt ansieht. Er hat den Niedergang anderer Eisenbahnersportvereinen erlebt, "aber so extrem wie bei uns war es nirgends."

Bieterverfahren statt direkter Verkauf

2020 schaltet sich die Lokalpolitik ein. "Es geht hier nicht um das isolierte Interesse von Lok Potsdam, sondern das der ganzen Berliner Vorstadt. Eine ähnliche Sportanlage gibt es dort nämlich nicht", erklärte Burkhard Exner (SPD), Potsdamer Bürgermeister für Finanzen, Investitionen und Controlling, im Gespräch mit rbb24 im April 2023.

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Die Stadt Potsdam versucht, das Grundstück zu erwerben und so die Existenz des Vereins zu retten. Das BEV beharrt auch gegenüber der öffentlichen Hand auf dem Verkehrswert des letzten Gutachtens von 5,6 Millionen Euro. Ein Preis, den die Stadt vielleicht bereit gewesen wäre zu bezahlen, gäbe es nicht einen weiteren Haken. Das BEV will nicht direkt verkaufen, sondern plant ein Bieterverfahren. Darauf will sich die Stadt nicht einlassen.
 
"Deren Vorstellung ist, dass der Verkehrswert das Mindeste ist, und man dann in einer Ausschreibung mal guckt, wer mehr bietet", sagte Exner. Jeder könnte so um das attraktive Grundstück mitbieten und den Preis in die Höhe treiben. Zwar schreibe der Bebauungsplan vor, dass die Anlage nur mit dem Zweck Sport genutzt werden dürfe, aber er würde nicht regeln, welcher Verein dort sein muss. Das Gelände könnte auch für kommerzielle Sport-Zwecke genutzt werden, wodurch es für private Käufer interessant wird. Außerdem könnten diese darauf spekulieren, dass sich der Bebauungsplan irgendwann ändert, erklärte Exner.

Das 45-Millionen-Gutachten des Rechnungshofes

Vor einer Woche kommt plötzlich der Bundesrechnungshof (BRH) ins Spiel. Der schätzt den Wert des Sportgeländes in bester Lage auf satte 45 Millionen Euro. Das geht aus einer Antwort des Bundesverkehrsministeriums auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Christian Görke (Linke) hervor. Auf Nachfrage von rbb|24, wie der Bundesrechnungshof auf diese astronomische Summe komme, erläutert der BRH, dass man das Grundstück entgegen allen vorangegangenen Gutachten und lokaler Bebauungspläne als Bauland bewertet hätte.
 
Dabei legt der Bundesrechnungshof einen Quadratmeterpreis von 1.500 Euro zugrunde für das Zitat "baureife Grundstück", das macht in der Summe 45 Millionen Euro. Begründung: Die zuvor aufgestellten "Verkehrswertgutachten gehen davon aus, dass der ESV Lokomotive Potsdam e.V. das Grundstück weiter nutzen wird." Geht der Bundesrechnungshof also nicht davon aus?

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Beispielloser Vorgang frei von Sach- und Ortskenntnis

Auf die Frage, warum der BRH sich plötzlich mit dem Gelände eines Sportvereins beschäftigt, bleibt die oberste Bundesbehörde vage. Man habe schlicht die Verwertung BEV-eigener Grundstücke geprüft. Hat es einen externen Auftrag dazu gegeben? Der Rechnungshof verneint, man habe es lediglich nach eigenem Ermessen bestimmt, ohnehin garantiere das Grundgesetz (Artikel 114 Absatz 2) die Unabhängigkeit der Behörde. ESV-Vorstand Jürgen Happich glaubt nicht an diese Darstellung: "Das wäre ein beispielloser Vorgang."
 
Denn laut Happich habe kein Mitarbeiter des Rechnungshofes jemals den Platz überhaupt betreten, um sich ein Bild des Geländes zu machen. "Normalerweise kommt ein Gutachter und schaut sich das Gelände an, das können sie nicht gemacht haben, denn sie waren nicht da." Das Gutachten sei demnach frei von Sach- und Ortskenntnis entstanden.

Gespräche über den Verkauf laufen

Ein Fakt, die dem ESV Lok in die Karten spielen könnte, ist die Auflösung der Bundeseisenbahnvermögen (BEV). Seit 2004 kann die Bundesregierung deren Aufgaben und Vermögenswerte per Gesetz in das Bundesministerium für Verkehr und Digitales übertragen. Lange wurde dies verschleppt. Nach einem Haushaltsbeschluss wird die Behörde zum 30. September endgültig aufgelöst sein. Schon jetzt ist das BEV nicht mehr handlungsbefugt.
 
Potsdams Kommunaler Immobilienservice (Kis) verhandelt laut eigener Aussage seit einiger Zeit mit den nun zuständigen Stellen des Bundesverkehrsministeriums und Vertretern der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BimA) über den Verkauf des Lok-Geländes. Der Werkleiter der Kis, Bernd Richter, zeigte sich im Gespräch mit rbb|24 zuversichtlich, dass es bis "allerspätestens" Ende 2025 zu einem Vertragsabschluss kommen könne.
 
Welche Gutachten in den Gesprächen als Verhandlungsbasis dienen, wollte Richter zwar nicht verraten, betonte aber, dass – entgegen der Annahme des Bundesrechnungshofes – der Verkehrswert deutlich geringer zu bewerten sei, da es sich im Bebauungsplan der Stadt nach wie vor um eine Sportfläche handeln würde. Zumal der Kis nicht davon ausgeht, dass die Verwaltung oder die Stadtverordnetenversammlung zukünftig Beschlüsse fassen, die die Sportnutzung in Frage stellen.

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Großes Unterstützer-Netzwerk

Trotz der Verunsicherung seiner Mitglieder durch die schwindelerregenden Millionenbeträge für ihr Sportgelände ist die Unterstützung für den Verein ungebrochen. Eine Online-Petition [change.org], die von externen Fürsprechern ins Leben gerufen wurde, hat mittlerweile über 10.000 Unterschriften gesammelt. Und auch aus der Politik gibt es zahlreiche prominente Unterstützer.
 
Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke hatte 2023 bereits den Bundesverkehrsminister, Volker Wissing, um eine Lösung gebeten. Dessen Ministerium lud daraufhin die Beteiligten zu Gesprächen, in denen das BEV aber auf seinem Standpunkt beharrte. "Ich hätte erwartet, dass man sich im Bundesverkehrsministerium selbst dieser Rechtsfrage annimmt und dann dem BEV eine Vorgabe macht", sagte Exner. Der politische Wille ist offenbar da, er müsste nur umgesetzt werden, meint auch Jürgen Happich.
 
Sollten die Verhandlungen der Stadt mit den zuständigen Ministerien dennoch scheitern, wird der Verein das Gelände wohl Ende 2025 verlassen müssen. Jürgen Happich will bis dahin aber alles versuchen und nicht aufgeben, wobei sich auch bei ihm eine gewisse Wut breit macht: "Wenn ich ohne jede Basis einen Betrag von 45 Millionen ins Spiel bringe, dann habe ich damit nur ein Ziel verfolgt: Ich will eine Sache torpedieren. Ich will eine Sache verhindern, die von allen anderen gewollt ist."

Sendung: rbb24|Inforadio, 10.09.2024, 15:15 Uhr