Deutschlands Nationalspieler Tim Kleindienst (imago images/Moritz Mueller)

Brandenburg Zwischen Demut und Schildkröten: Das ist Deutschlands Fußball-Nationalspieler Tim Kleindienst

Stand: 18.11.2024 20:47 Uhr

In Cottbus galt er früh als Ausnahmetalent, doch dann brauchte es seine Zeit, ehe Tim Kleindienst ganz oben ankam. Vielleicht begeistert er nun gerade auch deshalb. Von Ilja Behnisch

Warnung: Anhänger von Fußball-Bundesligist Borussia Mönchengladbach sollten lieber keinen Blick auf das Stadtwappen des brandenburgischen Jüterbog wagen. Denn Jüterbog, das ist die Heimat ihres neuen Top- und Lieblings-Stürmers Tim Kleindienst, der sich im für Fußballer fast schon biblischen Alter von 29 Jahren neuerdings auch Nationalspieler nennen darf. Und Jüterbogs Stadtwappen zeigt was? Exakt — einen Bock vor rot-weißem Grund.

Das klingt zunächst harmlos, könnte für so manchen Gladbacher allerdings deshalb in Hitzewallungen enden, weil ihr herzlichst verachteter Erzrivale vom 1. FC Köln genau diese Kombi in seinem Wappen trägt. Andererseits: Wer ist schon perfekt? Womit wir wieder bei Tim Kleindienst wären.

Robert Andrich (rechts) im Zweikampf mit dem Schweizer Stürmer Breel Embolo. (Bild: IMAGO / LaPresse)
Der Mann fürs Grobe

Robert Andrich ist innerhalb kürzester Zeit zu einem wichtigen Fixpunkt im Mittelfeld der deutschen Nationalmannschaft geworden. Vor einem halben Jahr deutete nichts auf diesen sportlichen Werdegang des gebürtigen Potsdamers hin. Von Fabian Friedmannmehr

Kein Filigrantechniker — aber eben auch kein Holzfuß

Der 1,93 Meter große Stürmer tat sich unlängst im Kreise der deutschen Nationalmannschaft nicht nur durch zwei Tore und drei starke Spiele hervor, sondern auch durch Einblicke in seine Selbstwahrnehmung. "Wenn ich die Jungs sehe, dann denke ich manchmal nicht, dass ich ein fantastischer Fußballer bin", sagte Kleindienst angesprochen auf seine Mitspieler Florian Wirtz und Jamal Musiala (beide 21), die aktuell heißesten Zauberkünstler des deutschen Fußballs. Was ein bisschen unterging in der öffentlichen Freude über das Understatement jedoch war sein Nachsatz: "Aber jeder hat ja andere Qualitäten."

Die von Tim Kleindienst liegen eher nicht daran, atemberaubende Dribblings in die Welt zu prengeln. Allerdings dürfte es eine recht langwierige Recherche werden, suchte man nach Stoßstürmern seiner Statur, die es könnten. "Ich bin kein Filigrantechniker", sagt Kleindienst über sich, aber er ist eben auch beileibe kein Holzfuß. Das zeigen auch die schon wieder vier Torvorlagen, die er in bisher zehn Spielen der laufenden Bundesliga-Saison gesammelt hat. Das, was er spielt, spielt er zumeist technisch sauber. Und selbst ein mehr als anspruchsvolles Hackentor war diese Saison schon drin. In der Regel verarbeitet er auch schwierige Anspiele souverän, kann hoch und lang ebenso wie kurz und flach angespielt werden. Kleindienst ist nahezu beidfüßig, sicher im Abschluss und kopfballstark. Außerdem läuft und läuft und läuft er über den Platz, als werde er ausschließlich nach Kilometergeld bezahlt. Was die Frage aufwirft, warum so einer erst jetzt in der A-Nationalmannschaft auftaucht?

Starker Start in Cottbus

Was auffällt: Dass man diese Frage auch an Kleindiensts aktuelle Konkurrenten um den Platz im Sturmzentrum der DFB-Elf stellen könnte. Denn sowohl Niklas Füllkrug (31) als auch Deniz Undav (28) sind offensichtlich hoch qualifiziert und dennoch Spätberufene. Alle drei haben in unteren Ligen zusammen genommen mehr Tore geschossen als in der Bundesliga. Wobei zumindest Füllkrug und Kleindienst schon in jungen Jahren als so talentiert galten, dass es für Junioren-Nationalmannschaften reichte.

Bei Kleindienst ging der Stern bei Energie Cottbus auf. Nach dem Abstieg in die dritte Liga kam der damals 19-Jährige, der zeitgleich sein Abitur baute (Prüfungsfächer: Sport, Mathe, Deutsch, Erdkunde), unter Trainer Stefan Krämer schnell regelmäßig zum Einsatz. Am Ende standen in der Saison 2014/15 stolze 17 Scorer-Punkte in 35 Spielen zu Buche. Und jede Menge Angebote aus der zweiten und ersten Liga.

Nils Petersen lacht mit einem Mikrofon in der Hand, ihm gegenüber steht Cottbus-Trainer Wollitz. Bild: imago-images/Fotostand Weiland
"Pele Wollitz, der nur in irgendwelchen Büros rumrennt? - Ich sehe das noch nicht!"

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Kleindienst und die Landschildkröten

Kleindienst entschied sich zu einem Wechsel zum SC Freiburg, das damals wie heute als außerordentlich guter Ort gilt, in Ruhe den nächsten Entwicklungsschritt zu machen. Doch weder dort noch später im belgischen Gent gelingt ihm der Durchbruch. Einzig in Heidenheim, wo er in insgesamt drei Etappen (2016/17; 2019/20 und 2021-2024) aufspielt, klappt es wie eine Tür. Kleindienst schießt den Klub in die erste Liga und anschließend in die Conference League. Dann, im Sommer 2024, der Wechsel zu Borussia Mönchengladbach, wo es dieses Mal einfach so weiter und noch höher hinaus geht, bis in die Nationalmannschaft hinein.

Dass Kleindienst dort nicht nur sportlich, sondern auch ansonsten gut ankommt, von den Fans auch der Nationalelf bereits als "Smallservice“ abgekultet wird, mag auch daran liegen, dass die deutsche Nationalmannschaft nach eher drögen Jahren dringend auf frische Gesichter und frische Geschichten angewiesen war. Da passt Kleindienst, der nach Niederlagen auch mal davon öffentlich "angekotzt" ist, offenbar bestens rein.

Ernährungsberatung hat er früher studiert, aktuell Fotografie. Außerdem besitzt er Schildkröten als Haustiere. In einem Interview mit der Märkischen Zeitung 2020 sagte er über seine damals vier griechischen Landschildkröten: "Das ganze Wesen, wie sie sich bewegen, was sie tun, dass sie so alt werden. Man beobachtet sie einfach gerne. Sie haben auch eine beruhigende Wirkung, man kommt ein bisschen runter, wenn man ihnen zuschaut."
 
Um es mit den jungen Menschen zu sagen: What’s not to love?

Sendung: rbb|24 Inforadio, 18.11.2024, 22:15 Uhr