Hessen Paar bekommt zweimal Zwillinge in einem Jahr
Ohne künstliche Befruchtung hätte Ouarda Bouhlou ihre ersten Zwillinge nicht bekommen, bei den zweiten war die Überraschung groß. Zwei Jahre sind die vier Kleinen nun alt. Bis heute beantworten die Eltern immer wieder die gleiche Frage: Vier Kinder mit dem gleichen Geburtsjahr – wie war das möglich?
Als Ouarda Bouhlou die Tür öffnet, trägt die Pharmazeutin aus Hattersheim-Okriftel (Main-Taunus) ein Kind auf der Hüfte, während ein zweites ebenfalls hochgenommen werden möchte. Die Zwillinge sind erkältet und zu Hause, ihre beiden jüngeren Schwestern – auch Zwillinge – befinden sich gerade in der Kita.
An der Wohnungseinrichtung ist unübersehbar, dass alles auf Kleinkinder ausgelegt ist: Neben dem Esstisch steht ein zusätzlicher kleiner Kindertisch mit vier Stühlchen. "Vier Hochstühle nehmen doch so viel Platz ein, darum setzen wir die Kleinen immer an ihren eigenen kleinen Tisch", erklärt Ouarda Bouhlou. Ihre drei Töchter und ihr Sohn seien es inzwischen so gewohnt und wollten nur noch zusammen im Viererverband essen.
"Das hat den Vorteil, dass die Erwachsenen am Tisch auch mal ihre Ruhe haben", erklärt die Mutter augenzwinkernd – bevor sie bildlich ausmalt, wie die Esszimmerwand aussah, als die Kleinen selbstständig essen lernten.
Zweimal Zwillinge im Jahr 2022
Noch vor wenigen Jahren hätten Ouarda Bouhlou und ihr Mann es nicht für möglich gehalten, dass einmal so viele Kinder an ihrem Tisch sitzen würden. Denn hinter dem Paar liegen lange Jahre der Kinderwunschzeit, Hormonbehandlungen und künstliche Befruchtungen. Das Jahr 2022 veränderte alles für sie: Im Februar und im November brachte Bouhlou Zwillinge zur Welt.
Dabei hatte das Paar ein Händchen für die Zahl 2: Die Geburtstage der Zwillinge sind der 02.02.2022 und der 22.11.2022. Alle Kinder wurden per ungeplantem Kaiserschnitt auf die Welt geholt.
Spielen, kochen, arbeiten: Die vierfache Mutter Ouarda Bouhlou hat alle Hände voll zu tun.
Zwillingsgeburten steigen seit Beginn der Reproduktionsmedizin
Bis zu den 1980er Jahren lag der Anteil der Mehrlingskinder laut Statistischem Bundesamt deutschlandweit bei 1,9 Prozent. Mit dem Beginn der Reproduktionsmedizin ab 1982 stieg die Rate zunächst auf jährlich rund 3,75 Prozent an.
Die Wahrscheinlichkeit auf eine Mehrlingsschwangerschaft hängt unmittelbar mit der Zahl der eingesetzten Embryonen zusammen, erklärt Annette Bachmann vom Kinderwunschzentrum der Uniklinik Frankfurt. In den meisten Fällen handle es sich bei Zwillingen nach der künstlichen Befruchtung daher um zweieiige Zwillinge - wie auch bei Bouhlous älteren Kindern.
Bachmann weist darauf hin, dass eine Mehrlingsschwangerschaft auch immer eine Risikoschwangerschaft sei, die sehr häufig mit einer Frühgeburtlichkeit einhergehe. Eine Mehrlingsschwangerschaft werde darum nicht als Erfolg der Behandlung gesehen, sondern als Komplikation, die es zu vermeiden gelte.
Mit der populären Fehlannahme, dass eine Hormonstimulation die Fruchtbarkeit dauerhaft verändert, räumt Bachmann auf. "Bei einer späteren Schwangerschaft nach Abschluss der Behandlung ist das Risiko auf Mehrlinge keinesfalls erhöht." Die jüngeren eineiigen Zwillinge der Familie Bouhlou seien damit rein zufällig entstanden.
Die Kleinkinder von Ouarda Bouhlou in ihren Kinderbetten.
Dramatische Stunden in der Klinik
In der Vergangenheit schienen glückliche Zufälle für Bouhlou unvorstellbar. Sie habe relativ früh gespürt, dass es für sie nicht einfach werden würde, schwanger zu werden. Das Paar versuchte es nach etwa einem Jahr mit In-Vitro-Fertilisation und es klappte zunächst – sogar mehrmals. Doch dreimal endete die Schwangerschaft frühzeitig und sie verlor das Kind. Ein viertes Baby wurde nach Komplikationen still geboren.
Danach sei sie erst mal in ein tiefes Loch gefallen, sagte Bouhlou. "Es ist schwer zu erklären, aber wenn man ein Baby verliert, wird der Kinderwunsch noch größer", sagt sie rückblickend. Sie nahm sich vor, ihrem Leben einen Sinn zu geben, der über den stetig gewachsenen Kinderwunsch hinausging. Sie engagierte sich für geflüchtete Familien und half ihnen, anzukommen.
Zwei Fruchthöhlen im Ultraschall
Nach einer Weile fasste das Paar neuen Mut. Es folgte ein Klinikwechsel und ein weiterer Versuch, der rasch erfolgreich war: Bouhlous erste Zwillingsschwangerschaft. Die beiden Zwillinge, ein Mädchen und ein Junge, kamen gesund zur Welt. Schließlich fuhren die jungen Eltern in einen längeren Urlaub, um die Zeit mit den Babys zu genießen – bis Ouarda Bouhlou immer öfter übel wurde und ihr Mann schließlich sagte: "Mach doch mal einen Test." Dieser Test war positiv.
Zurück in Deutschland scherzte ihre Gynäkologin, vielleicht würden es ja wieder Zwillinge – bis der Ultraschall ihr recht gab: Es waren zwei Fruchthöhlen zu sehen.
Bouhlou war erstmal geschockt. "Mein erster Impuls war: Wegrennen!", erinnert sie sich. Die Prognosen der Ärzte waren zunächst pessimistisch. Ein Mediziner stellte dann aber fest, dass es keine Auffälligkeiten bei den Föten gab. Bouhlou musste die Schwangerschaft allerdings großteils im Liegen fortsetzen. Die eineiigen Zwillingsmädchen kamen dann rund zwei Monate zu früh zur Welt.
Feste Zeitpläne und Routinen
Vier Babys stellten die Eltern vor große Herausforderungen: Wie sollten sie die Nächte überstehen? Schon mit den beiden "Großen" war ein Durchschlafen undenkbar. Sie bekamen den Tipp für ein intensives Schlaftraining. "Ohne Schreien lassen, denn das wollte ich auf keinen Fall", wie Bouhlou betont.
Während sie also zwei Monate darauf warteten, dass die Frühchen nach Hause kamen, trainierten die "Großen" allein zu schlafen und die Eltern konnten Strukturen schaffen, um mit der Herausforderung umzugehen: Das bedeutet bis heute vor allem ein Netz an familiärer Unterstützung, Hilfe durch ein Au Pair sowie feste Routinen.
Schlaftraining hat positive Nebeneffekte
Heute schläft jeweils ein Zwillingspaar im eigenen Zimmer. "Sie können nicht ohne einander einschlafen oder lange voneinander getrennt sein", erklärt Bouhlou. Das sei wohl ein Nebeneffekt des Schlaftrainings. Die Zwillinge seien jeweils untereinander sehr eng, teilten alles und beschäftigten sich gut zusammen. Es gebe aber natürlich auch Streit.
Die große Unterstützung im Alltag durch Verwandte ist für die Familie nicht nur Luxus, sondern lebensnotwendig: Sie könne sich noch immer nicht vorstellen, allein mit allen vier Kleinkindern rauszugehen, sagt Bouhlou. Ihre Angst, dabei könnte ein Kind auf die Straße rennen oder verloren gehen, sei zu groß.
Vierfache Mutter arbeitet wieder
Inzwischen ist Bouhlou zurück in ihrem Beruf als Pharmazeutin und kämpft wie alle Eltern mit Infekten und Kita-Schließzeiten. Nebenbei hat sie sich als Beraterin für Paare mit Kinderwunsch selbstständig gemacht. Denn dabei könne sie für andere tun, was ihr während der schwierigen Kinderwunschzeit gefehlt habe: "Eine Person, die mich an die Hand nimmt, und mich da durchbegleitet."
Was am meisten hilft: Dankbarkeit
Was Ouarda und Adil Bouhlou heute in ihrem Alltag am meisten helfe, das sei nicht nur die Unterstützung von anderen, sondern ihre eigene Dankbarkeit: "Sonst wären wir maßlos überfordert mit den vier Kindern."
Für ihre verlorenen Babys seien ihre Kinder "natürlich kein Ersatz", sagt sie. "Für mich sind das kleine Engel, die irgendwo auf uns warten und irgendwann sind wir alle vereint und haben acht Kinder", so die Mutter.