Hessen Preis-Schock bei Fernwärme in Großkrotzenburg
Die Preise für Fernwärme-Kunden in Großkrotzenburg steigen im neuen Jahr stark an - um durchschnittlich 240 Prozent. Das wurde erst jetzt angekündigt. Für viele gibt es deshalb keine Alternative, der Ärger in der kleinen Gemeinde ist groß.
Eigentlich sei es zum Heulen, meint Claudia Kerl mit Blick auf die Unterlagen, die sie auf ihrem Esstisch ausgebreitet hat. Sie sei aber ein optimistischer Mensch und verkneife sich deshalb die Tränen. Zumindest vorerst. 146 Euro statt bisher 38 Euro müsse sie künftig für den Fernwärmeanschluss pro Kilowatt im Jahr zahlen – beinahe das Vierfache. "Das hat mich umgehauen", erzählt die Rentnerin.
Claudia Kerl schüttelt immer wieder den Kopf. Ihr Zweifamilienhaus in Großkrotzenburg (Main-Kinzig) wird per Fernwärme geheizt. Aufgrund der Infrastruktur wäre die einzige Alternative der Einbau einer Wärmepumpe. "Das kann und will ich mir aber nicht leisten", sagt sie.
Erhöhung um durchschnittlich 240 Prozent
Genau wie Claudia Kerl ergeht es vielen anderen Anwohnern in Großkrotzenburg. Erst vor wenigen Tagen haben sie erfahren, was da auf sie zukommt. Ein Schreiben der Gemeindewerke Großkrotzenburg hat sie überrascht: Die kündigen darin eine Preisanpassung der Fernwärme zum 1. Januar an – um durchschnittlich 240 Prozent.
In der kleinen Gemeinde bei Hanau ist die Aufregung seitdem groß. Etwa 700 Haushalte sind von der Preiserhöhung betroffen, außerdem örtliche Sportvereine. In den sozialen Medien diskutieren viele seit Tagen über die Folgen und vor allem über die Schuldfrage: Wer ist verantwortlich für die Misere? Die Gemeindewerke? Der Kraftwerksbetreiber? Die Politik?
Ein Mietkessel bedeutet zusätzliche Kosten
Jahrzehntelang hat die Gemeinde vom Kraftwerk Staudinger profitiert. Das größte Kraftwerk Hessens liegt direkt vor den Toren der Gemeinde, hat dort jahrelang Strom mit Kohle und Gas produziert. Die dabei entstandene Abwärme konnten die Großkrotzenburger günstig als Fernwärme nutzen.
In Großkrotzenburg heißt es, die Kraftwerks-Abwärme dürfe nach dem Energiewirtschaftsgesetz jetzt aber nicht mehr genutzt werden, weil das Staudinger mittlerweile als Netzreserve für den Bund läuft. Das Bundeswirtschaftsministerium widerspricht auf hr-Anfrage.
So spreche nichts dagegen, die Abwärme weiter zu nutzen. Allerdings läuft Staudinger in der Netzreserve nur noch unregelmäßig. Das Kraftwerk produziert deshalb jetzt in einem eigens von der Gemeinde angemieteten Heizkessel Fernwärme für die Großkrotzenburger Fernwärmekunden. "Mietkessel bedeutet, dass zusätzlich Kosten entstehen", erklärt der Leiter der Gemeindewerke, Martin Müller, die Preiserhöhung.
Großwärmepumpe soll 2026 in Betrieb gehen
Dass das Kraftwerk Staudinger früher oder später vom Netz genommen wird, ist seit vielen Jahren bekannt. Hätte sich die Gemeinde früher um eine Alternative kümmern müssen? Eine geplante Großwärmepumpe im Main soll Großkrotzenburg künftig nachhaltig versorgen – für die hat aber noch nicht mal der Bau begonnen. In Betrieb geht sie frühestens im Frühjahr 2026.
"Die Entscheidung für diesen Weg ist vor drei Jahren gefällt worden und direkt in diesem Kontext sind Alternativen geprüft worden", stellt Bürgermeisterin Theresa Neumann (CDU) klar. Sie gibt aber auch zu: Vielleicht hätte die anstehende Preiserhöhung von den Gemeindewerken besser oder früher kommuniziert werden können.
Info-Veranstaltung angekündigt
Sicher ist: Die betroffenen Menschen in Großkrotzenburg sind sauer, enttäuscht oder haben Angst. Das haben viele in Gesprächen mit dem hr so erklärt. Die einen versuchen, ihre Verträge aufzulösen. Andere wollen sogar umziehen, weil sie sich die erhöhten Kosten nicht leisten können.
Am 10. Dezember wollen sich Bürgermeisterin Neumann und Gemeindewerke-Leiter Müller bei einer Info-Veranstaltung den Fragen, Ängsten und Sorgen der Menschen stellen. "Ich glaube immer noch daran, dass sich Lösungen finden", hat Claudia Kerl immerhin die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Sie sei eben ein optimistischer Mensch.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Artikels hatten wir berichtet, dass die Abwärme des Kraftwerks Staudinger nach dem Energiewirtschaftsgesetz nicht mehr genutzt werden dürfe, da das Kraftwerk als Netzreserve für den Bund läuft. Diese Darstellung haben wir aktualisiert, nachdem das Bundeswirtschaftsministerium auf hr-Anfrage erklärte, dass nichts gegen die weitere Nutzung der Abwärme spreche. Allerdings laufe das Kraftwerk in der Netzreserve nur noch unregelmäßig, was die Wärmeerzeugung erschwere. Wir haben diese neuen Informationen in den Text eingearbeitet.