Hessen Integrationskurse: Bund will Angebote streichen, Träger befürchten schwerwiegende Folgen
Die Bundesregierung will Integration beschleunigen - und das Angebot an entsprechenden Kursen verschlanken. Träger befürchten schwerwiegende Folgen, vor allem für benachteiligte Gruppen. Vielen könne dadurch der Weg auf den Arbeitsmarkt versperrt bleiben.
Es ist gerade einmal knapp zehn Uhr, als Nada Seferović die Tür zur Frauen-Beratungsstelle infrau öffnet. Im Flur auf dem fünften Stock des unauffälligen Gebäudes im Frankfurter Stadtteil Bornheim sammeln sich bereits Dutzende Frauen, viele von ihnen mit Kinderwagen.
Sie alle wollen zur offenen Sprechstunde, die hier jeden Dienstag um zehn beginnt - und in der sich zugewanderte Frauen unter anderem für Integrationskurse nur für Frauen anmelden können.
"An dem Andrang kann man ja sehen, wie gut das Angebot ankommt", sagt Seferović. Sie ist bei der interkulturellen Frauen-Beratungsstelle für die Integrationskurse zuständig. Acht Kurse mit je 16 bis 22 Teilnehmerinnen gleichzeitig laufen in der Einrichtung momentan - parallel dazu immer auch eine mögliche Kinderbetreuung.
Frauen-Beratungsstelle: "pädagogisch die reinste Katastrophe"
"Wenn diese Kurse gestrichen werden, wird es sehr schwierig - sowohl für uns als Einrichtung, als auch für die Frauen", sagt Seferović. Ihre Kollegin Pantoula Vagelakou, die Geschäftsführerin der Beratungsstelle, findet noch deutlichere Worte dafür: "Es ist pädagogisch einfach die reinste Katastrophe, was da gemacht wird", sagt sie.
Nada Seferović und Pantoula Vagelakou von der Frauenberatungsstelle infrau sind besorgt darüber, was die Änderungen für die Integrationskurse bedeuten.
Bundesregierung will Integration beschleunigen
Grund für die Verärgerung bei der Frankfurter Einrichtung ist eine neue Verordnung der Bundesregierung. Sie sieht angesichts der knappen Kassen im Bundeshaushalt Einsparungen bei den Integrationskursen für das kommende Jahr vor, obwohl der Bedarf mit jährlich rund 300.000 Kursanfängerinnen und -Anfängern weiterhin auf einem hohen Niveau liege.
Das Bundesinnenministerium kündigte mit der neuen Verordnung in der vergangenen Woche an, dass die Finanzierung über den vorübergehenden Haushalt grundsätzlich sichergestellt werden soll. Durch ein "kompakteres Kursartenangebot" sollen in dem Zuge "Integrationsprozesse weiter beschleunigt" und Kurse effizienter gestaltet werden.
- Integrationskurse bestehen aus einem Sprach- und einem Orientierungskurs, in dem die deutsche Geschichte, Kultur und Rechtsordnung vermittelt werden.
- Der allgemeine Integrationskurs umfasst 700 Stunden, der Frauen-Integrationskurs bisher 900 Stunden. Wer bei der abschließenden Prüfung nicht das Niveau B1 erreicht, kann bislang auf Antrag 300 Stunden wiederholen.
Bislang konnten Kursteilnehmende, die beim abschließenden Deutschtest das Niveau B1 nicht erreichten, Wiederholungsstunden beantragen. Dies soll nach der neuen Verordnung in den meisten Fällen nicht mehr möglich sein.
Für Pantoula Vagelakou und Nada Seferović bei der Frauen-Beratungsstelle in Frankfurt ist das einer der heikelsten Punkte der neuen Verordnung. Schließlich liefen die Frauen-Integrationskurse bislang sogar 900 statt nur 700 Stunden - auch diese Zusatzsstunden soll es künftig nicht mehr geben.
Was passiert mit denen, die das Niveau nicht schaffen?
Wer dann im ersten Anlauf den Sprachtest nicht mit Niveau B1 bestehe, bekomme womöglich nie wieder eine Chance dazu, sagt Vagelakou. Dabei sei dieses Niveau meist die Voraussetzung, um überhaupt Arbeit zu finden.
"Im Endeffekt wird es den Staat noch mehr Geld kosten", sagt Vagelakou. Sie gehe nicht davon aus, dass die Frauen dadurch schneller arbeiten werden. "Sondern sie werden viel länger in den Hilfeleistungen bleiben", meint die Pädagogin.
Auch auf individueller Ebene sei das für die Betroffenen fatal, befürchtet sie: "Dann heißt das für viele: zurück an den Herd, zurück ins Versteckte, wo wir vor 30 Jahren waren." Dabei habe man nicht nur bei infrau jahrelang "hart erkämpft", dass es geschützte Räume für die Integration von Frauen und Müttern gebe. "Für mich ist das ein gesellschaftliches Rollback", sagt sie.
Volkshochschulen befürchten Schaden für Wirtschaft
Dass die Kürzung bei den Wiederholungsstunden die berufliche Integration erschweren und damit letztendlich der Wirtschaft schaden könnte, kritisierte auch der Dachverband der Volkshochschulen in einer Mitteilung als Reaktion auf die neue Verordnung. Die Volkshochschulen gelten in vielen Orten als erste Anlaufstelle für Integrationskurse, so auch in Offenbach.
Hier befürchtet man, dass viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer den Sprachtest nach 700 vorgesehenen Kursstunden "nur" mit dem Niveau A2 abschließen werden. Das sei "für die Arbeitsvermittlung eindeutig zu wenig, die Zahl der Bürgergeldempfänger wird steigen", heißt es auf Anfrage in einem gemeinsamen Schreiben mit dem Sozialamt der Stadt.
Das Sozialamt weist auf einen weiteren Punkt in der neuen Verordnung hin: "Eine fehlende Kinderbetreuung und eine fehlende Fahrtkostenübernahme können die Teilnahme an Integrationskursen erschweren oder gar unmöglich machen."
Hessisches Sozialministerium skeptisch
In eine ähnliche Richtung geht die Reaktion des Hessischen Sozialministeriums auf die neue Verordnung aus Berlin.
Mit Bezug auf die geplanten Streichungen bei Kursen für spezifische Gruppen wie Frauen oder junge Erwachsene, Wiederholungsstunden und Fahrtkostenerstattung schreibt ein Sprecher des Ministeriums auf hr-Anfrage: "Diese Maßnahmen erschweren vulnerablen Gruppen den Zugang zu Bildung und Teilhabe und könnten sich negativ auf die Integration und den Arbeitsmarkt auswirken."
Finanzierung gesichert
Dennoch begrüße man "ausdrücklich", dass die Bundesregierung im kommenden Jahr die Finanzierung der Integrationskurse notfalls über eine "überplanmäßige Ausgabe während einer vorläufigen Haushaltsführung" sicherstellen wolle.
Man rechne angesichts der bundesweiten Prognosen für Hessen im Jahr 2025 mit "einem weiterhin kontinuierlich hohen Bedarf (...), der mit dem jetzigen Angebot nicht abgedeckt wird". Allerdings sei die Bedarfsplanung dadurch erschwert, dass sich die Träger jährlich auf neue finanzielle Rahmenbedingungen einstellen müssten.
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VHS Main-Taunus-Kreis: Hoffen, dass das Geld reicht
Auf dieses Problem weist auch Regina Seibel, die Direktorin der Volkshochschule (VHS) im Main-Taunus-Kreis hin. Denn wie viel Geld durch die neuen Regelungen zu Integrationskursen im kommenden Jahr eingespart und wie viel für die Kurse noch bereitgestellt werden soll, lies die Bundesregierung bislang offen.
"Aktuell hoffen wir, dass die Kürzungen weniger dramatisch ausfallen als ursprünglich vorgesehen", sagt Seibel. Immerhin sei nun nicht mehr die Rede von Kürzungen um 50 Prozent, wie noch im Haushaltsentwurf vor dem Ende der Ampel-Regierung.
Der Bedarf an Integrationskursen im Main-Taunus-Kreis sei unverändert hoch und mit weniger Geld kaum zu bewältigen. "Wir könnten momentan im Zwei-Wochen-Takt neue Integrationskurse starten", sagt Seibel.
Räume voll, Lehrkräfte ausgelastet, Wartelisten lang
Doch in Hofheim seien alle Kursräume voll, die Lehrkräfte ausgelastet und die Wartelisten lang, berichtet sie. Für mehr als die bereits laufenden 37 Integrationskurse gebe es schlicht keine Kapazitäten.
Spezielle Kurse für Frauen biete man bei der VHS in Hofheim nicht an. "Die Aufsplitterung der Kurse an verschiedene Zielgruppen kann man sicherlich unterschiedlich sehen", meint Seibel. In Hofheim habe man davon auch aus organisatorischen Gründen bislang abgesehen.
infrau will "Safe Space" für Frauen bleiben
Das Team bei infrau in Frankfurt will an den Integrationskurse nur für Frauen auch im kommenden Jahr festhalten und weiterhin einen "Safe Space" für Frauen mit Migrations- und Fluchtgeschichte bieten.
In welcher Form, mit wie viel Geld und mit welchen Folgen für die Teilnehmerinnen - das werde sich noch zeigen müssen, heißt es hier. So viel sei aber klar, sagt Geschäftsführerin Pantoula Vagelakou: "Beschleunigt wird der Integrationsprozess dadurch sicher nicht."