Sachsen Michelle will raus aus dem Bürgergeld: "Will nicht mehr vom Staat leben"
Michelle wurde in der Ausbildungszeit gekündigt und fand als Alleinerziehende keinen Job mehr. Piotr schaffte wegen Sprachschwierigkeiten und einer privaten Belastungssituation seinen Schulabschluss nicht. Beide wollen raus aus dem Bürgergeld. Der Görlitzer Trainer Christoph Scholze hilft ihnen dabei.
Michelle ist sich ganz sicher: Sie möchte als Bestattungshelferin arbeiten. "Ich bin ein großer True-Crime-Fan", sagt die 25-Jährige Görlitzerin. "Und das Thema Tod interessiert mich sowieso. Damit müssen wir uns alle früher oder später auseinandersetzen. Es trifft jeden von uns".
Dieses klare Berufsziel vor Augen, habe ihr lange gefehlt. Sie hat es mit Trainer Christoph Scholze erarbeitet. Der studierte Maschinenbauer berät mit seiner Firma "Tragwerk" Firmen und Organisationen. Seit August unterstützt er aber auch im Auftrag des Jobcenters junge Menschen, die Bürgergeld beziehen und einen Anstoß brauchen, um wieder in den ersten Arbeitsmarkt zu kommen. So wie Michelle.
In der Ausbildung gekündigt
Sie hat nach ihrem Realschulabschluss 2016 eine Ausbildung zur Krankenpflegehelferin begonnen und nach einem Jahr festgestellt, dass der Beruf nicht das Richtige für sie sei. Danach fing Michelle eine neue Ausbildung an, diesmal zur Altenpflegerin. Damit, so glaubte sie, hatte sie genau das Richtige für sich gefunden: "Die Arbeit hat mir richtig Spaß gemacht."
Umso größer war für sie der Schock, als ihr 2018 noch in der Probezeit ohne Begründung gekündigt worden sei. Erklären kann sie sich das bis heute nicht. Sie habe sich nichts zuschulden kommen lassen. "Es waren immer alle superfreundlich zu mir und wir haben uns auch gut verstanden", sagt sie. Nach der Kündigung wurde sie schwanger, kümmerte sich nach der Geburt erstmal um ihre Tochter. Dann fand sie weder eine Ausbildungsstelle noch einen Job.
Jahrelang nur Absagen
"Ich habe 25 bis 30 Bewerbungen geschrieben. Aber habe immer Absagen bekommen", erzählt sie. Als alleinerziehende Mutter sei man in den Augen der Arbeitgeber nicht flexibel genug. "Ich wäre zurück in die Pflege gegangen und auch in den Verkauf oder auf Putzstellen. Alles mögliche habe ich versucht."
- So wie Michelle ergeht es vielen Alleinerziehenden. Bei den Jobcentern in Sachsen sind von rund 190.000 Bürgergeldbeziehern im erwerbsfähigen Alter rund 25.800 alleinerziehende Frauen oder Männer. - Das ist ein Anteil von rund 14 Prozent. - 30,6 Prozent aller Alleinerziehenden in Sachsen bezogen 2023 Bürgergeld.
Michelle: "Will nicht mehr vom Staat leben"
Als ihr das Jobcenter das Training mit Christoph Scholze anbot, sagte Michelle sofort zu. Nach Jahren der Arbeitslosigkeit will sie es endlich schaffen: "Mir fällt zuhause die Decke auf den Kopf. Am Anfang war es okay, da hatte ich genügend Zeit für meine Tochter und konnte mich ausschließlich um sie kümmern. Aber jetzt ist sie fünf Jahre alt. Ich will mein eigenes Geld verdienen und nicht mehr vom Staat leben."
Sein Training beginnt Christoph Scholze mit dem Thema Träumen. "Je älter wir werden, desto mehr verlernen wir, zu träumen", sagt er.
Wir brauchen aber Träume, um aus Träumen Wünsche, aus Wünschen Bedürfnisse und aus Bedürfnissen Ziele zu machen. Christoph Scholze |
Michelle hat sehr von diesem Ansatz profitiert, erzählt sie: "Wenn man sich mal intensiver mit seinen Träumen, Wünschen und Zielen auseinandersetzt, dann wird einem klar, was man will und was man gar nicht will", sagt sie. "Das war für mich Gold wert, als ich das erkannt habe."
Hilfe bei Bewerbungen
Im zweiten Teil des Trainings helfen Scholz und seine Mitarbeiter dann mit dem Schreiben von Bewerbungen und Lebensläufen und bereiten die Klienten auf Vorstellungsgespräche vor.
Zum Beispiel hat Christoph Scholze auf einer Veranstaltung seine Klienten verschiedenen Personalchefs vorgestellt und sie sich zu Übungszwecken bei ihnen vorstellen lassen. "Das war für mich ein ganz besonderer Moment", sagt Scholze zu Michelle, "weil ich von Gespräch zu Gespräch gesehen habe, wie du gewachsen bist."
Michelle sucht Arbeit in Dresden
Weil sie mit ihrem Partner in Dresden zusammenziehen will, sucht Michelle dort eine Stelle als Bestattungshelferin. Bis es soweit ist, würde sie aber auch gerne an ihrem Noch-Wohnort Görlitz ein Praktikum in dem Bereich machen. Noch hat sie keine Stelle gefunden. Aber sie und Christoph Scholze sind zuversichtlich, dass es klappt.
Die beiden haben heute das Abschlussgespräch. Sie sitzen sich an einem Tisch in seiner Firma gegenüber. "Man merkt, dass du schon Verantwortung übernehmen musst mit deiner Tochter", sagt Scholze. "Du bist nie zu spät gekommen. Du bist sehr zielstrebig in dem, was du dir vornimmst. Du wirst richtig schnell Fuß fassen, in dem neuen Bereich, den du dir jetzt ausgesucht hast", sagt er mit ruhiger, überzeugender Stimme. Michelle lächelt übers ganze Gesicht. Das Training habe ihr neues Selbstvertrauen gegeben, findet sie.
Piotr verließ Schule ohne Abschluss
Christoph Scholze im Gespräch mit Piotr. Der 23-Jährige will nicht, dass sein Gesicht auf dem Bild zu sehen ist.
Dass es Grund zum Optimismus gibt, zeigt das Beispiel von Piotr, der nach Michelle sein Abschlussgespräch mit Christoph Scholze hat. Der 23-Jährige kam mit 14 Jahren mit seiner Mutter und Schwester aus Polen nach Deutschland. In der Schule kam er nicht mit, zu schwer sei der Unterricht in einer für ihn fremden Sprache gewesen. Nach dem Unterricht musste er sich zusammen mit seiner Mutter um die Schwester kümmern, die im Rollstuhl saß. Zeit zum Lernen gab es wenig.
Piotr verließ die Schule ohne Hauptschulabschluss, fuhr Gabelstapler in einem Lager in Leipzig. Als er den Job verlor, kam er zurück nach Görlitz, ging ins Jobcenter und kam in Christoph Scholzes Training. Dort überlegt er sich, dass er Krankenpfleger werden könnte. Am Morgen hatte er ein Vorstellungsgespräch für einen Praktikumsplatz im Krankenhaus. Am Mittag kommt der Anruf: Er bekommt den Platz.
- 2023 verließen 32.245 Jugendliche und junge Erwachsene in Sachsen die Schule. Davon hatten 2.769 keinen Schulabschluss - allerdings waren rund die Hälfte von ihnen Förderschüler mit dem Förderschwerpunkt geistige Entwicklung. - Wer keinen Abschluss schafft, hat es später schwer, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Deshalb bezahlen Arbeitsagentur und Kultusministerium in Sachsen Stellen für Berufseinstiegsbegleiter, die gefährdete Jugendliche an den Schulen bei ihrem Schulabschluss unterstützen sollen.