Tagebau Nochten

Sachsen Waldgrundstück blockiert Tagebau Nochten - Leag will Enteignung

Stand: 17.10.2024 05:00 Uhr

Die Leag bereitet eine Erweiterung des Tagebaus Nochten in Richtung der Dörfer Mulkwitz und Rohne vor. Doch ein privates Waldgrundstück blockiert dieses Vorhaben. Der Besitzer weigert sich, zu verkaufen und hat sein Land Umweltschützern verpachtet. Die Leag hat bereits 2021 die Grundabtretung beantragt. Innerhalb der nächsten Wochen soll die Entscheidung fallen.

Von Jörg Winterbauer, MDR SACHSEN

Wo bis vor einigen Monaten noch ein Kiefernwald stand, ist nun eine leere Fläche. Baumstümpfe und aufgehäufte Hackschnitzel erinnern noch daran. Nur eine kleine Insel von Bäumen ist übrig geblieben.

"Betriebsgelände! Lebensgefahr!" steht auf den Schildern, die den Weg säumen, der in das 5.000 Quadratmeter große Grundstück führt. Das Gebiet um den Weg und das Wäldchen herum gehört bereits der Leag.

Tagebau Nochten

Das Wäldchen ist noch im Besitz der Umweltgruppe. Das Gelände darum herum gehört der Leag.

Doch ein privater Eigentümer aus einem Nachbarort hat sich dagegen entschieden, sein Waldstück an die Leag zu verkaufen. Stattdessen verpachtet er es seit 2019 der Umweltgruppe Cottbus der Grünen Liga. Er möchte anonym bleiben. 

Kleines Waldstück, große Wirkung

René Schuster von der Umweltgruppe Cottbus übernimmt für ihn den Kontakt mit der Presse: "Wenn der Tagebau das Grundstück nicht in Anspruch nehmen kann, muss auch der ganze Tagebau einen größeren Abstand zu den Dörfern Rohne und Mulkwitz halten", sagt er. Denn das Waldstück liege so, dass es die Ausweitung des Tagebaus in dieser Richtung blockiere. 

"Und das ist auch bitter nötig", findet er. Denn der Tagebau sei "bis 150 Meter vor die Häuser" geplant. Die Anwohner wären dann einer großen Staub- und Lärmbelastung ausgesetzt, sagt der Umweltschützer. Eine Nachfrage von MDR SACHSEN zu den Plänen ließ die Leag unbeantwortet. 

Die Ausweitung des Tagebaus Nochten

Der Tagebau Nochten ist nach Angaben der Leag vom Fördervolumen der zweitgrößte Tagebau des Unternehmens. Nach der derzeitigen Planung der Leag soll der Tagebau in Richtung der Dörfer Rohne und Mulkwitz erweitert werden. Die ursprüngliche Planung sah eine Vergrößerung bis auf das Gebiet der beiden Dörfer vor. 2017 passte das Unternehmen seine Pläne aufgrund des geplanten Kohleausstiegs der Bundesregierung jedoch an, sodass keine Umsiedlungen von Anwohnern aus Rohne und Mulkwitz geplant sind. Stattdessen soll der Tagebau vor den beiden Dörfern stoppen.

Die Leag hält aber an ihren Plänen fest, das Gebiet des Dorfes Mühlrose abzubaggern. Die Bewohner wurden größtenteils bereits umgesiedelt. Laut dem Sächsischen Wirtschaftsministerium ist die Weiterführung des Tagebaus "Voraussetzung, um den Prozess der beschlossenen Energiewende bis 2038 abzusichern".

Umweltschützer veranstalten Lesung

Auf dem verbliebenen Waldstück hat sich an diesem Sonnabend eine kleine Gruppe von Umweltschützern und Kulturinteressierten versammelt. Die Lausitzer Autorinnen Ingrid Groschke und Brigitte König lesen ihre Texte. Es sind humorvolle kleine Geschichten und Gedichte. 

eine Frau vor der Kamera

Brigitte König unterstützt den Protest gegen den Tagebau.

"Die Kohlegruben haben schon so viel Land zerstört", sagt die Autorin Brigitte König aus Biebersdorf in der Niederlausitz. "Ich finde das wirklich richtig schlimm, wenn ich sehe, wie ringsherum der Wald abgeholzt ist und dass die Grube immer noch erweitert wird! Deshalb finde ich es gut, dass sich hier ein Mensch findet, der sagt: 'Meinen Wald lasse ich nicht abholzen' und der darum kämpft, dass der stehen bleibt", sagt sie.

eine Gruppe Menschen sitzen an einem Tisch

Christian Hoffmann aus Weißwasser: "Ich unterstütze den Widerstand gegen die Braunkohle."

Christian Hoffmann aus dem nahegelegenen Weißwasser ist unter den Zuhörern. "Ich habe von Kindheit an erlebt, wie der Tagebau voranschreitet", sagt der biologische Gutachter, der auch Mitglied der Umweltgruppe Cottbus ist. "Wälder, durch die ich vor Jahren als Junge mit dem Fahrrad gefahren bin, sind jetzt weg. Und deswegen unterstütze ich den Widerstand gegen die Braunkohle." 

Leag hat Grundabtretung beantragt

Die Umweltgruppe Cottbus nutzt den Wald für kulturelle Veranstaltungen, aber auch für Umweltbildung und Proteste. Damit könnte aber bald Schluss sein. Denn die Leag hat beim Sächsischen Oberbergamt "die Grundabtretung" für das Grundstück beantragt - so der offizielle Begriff für die Enteignung. 

"Die Inanspruchnahme" des Grundstückes sei zur planmäßigen Fortführung des Tagebaus Nochten "zwingend erforderlich", teilt die Leag auf Nachfrage von MDR SACHSEN mit. 

eine Gruppe Menschen sitzt auf einer Wiese mit einen Transparent

"Unverkäuflich" lautet das Motto der Gruppe. Hier zu sehen ein Protest in dem Waldstück im Jahr 2021. (Archivbild)

"Eine gütliche Einigung auf Entschädigunsbasis" sei bisher mit dem Eigentümer und der Pächterin, also der Umweltgruppe, nicht zustande gekommen, man strebe sie aber nach wie vor an. Dass es dazu kommt, ist unwahrscheinlich. Das Motto der Umwelt-Aktivisten lautet: "Unverkäuflich". 

Entscheidung wird in den nächsten Wochen erwartet

Seit der Antrag im Oktober 2021 beim Oberbergamt eingegangen ist, prüft es diesen. "Die Entscheidung wird zeitnah innerhalb der nächsten Wochen erfolgen", so ein Sprecher des Amtes.

Um welche Menge Braunkohle es sich handelt, dessen Abbau das Wäldchen blockiert, möchte die Leag mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht beantworten. Auch zu einem Interview vor Kamera oder auf Tonband sei man nicht bereit, teilte ein Sprecher mit. Man wolle "eine politische Instrumentalisierung des Verfahrens nicht unterstützen". 

Es geht um Millionen Tonnen Kohle

Dafür nennt René Schuster von der Umweltgruppe eine Zahl: "Die Leag sagt, wenn sie dieses Grundstück nicht bekommt, dann kann sie 23,8 Millionen Tonnen Kohle nicht fördern." Das hätte das Unternehmen im Grundabtretungsverfahren so vorgetragen. 

Bei einem derzeitigen Kohlepreis von über 100 Euro pro Tonne dürfte also zwischen dem Tagebau und den Dörfern Rohne und Malkwitz noch Kohle im Wert von rund 2,5 Milliarden Euro unter der Erde liegen – vorausgesetzt die Berechnungen der Leag stimmen und Schuster hat sie korrekt wiedergegeben.

Laut Leag ist die "Inanspruchnahme" des Grundstücks "für die unterbrechungsfreie Versorgung" der Kraftwerke Boxberg und Schwarze Pumpe "zwingend erforderlich". Schuster glaubt das nicht: "Natürlich steht weniger Kohle zur Verfügung, wenn der Wald stehenbleibt", sagt er. Dass dann beide Kraftwerke stillstehen müssten, sei aber "Panikmache". 

Das Kraftwerk Boxberg

Das Kraftwerk Boxberg soll 2038 stillgelegt werden. Es hat eine installierte Leistung von 2.575 Megawatt. Damit kann es rein rechnerisch bis zu vier Millionen Haushalte mit Strom versorgen. Im Jahr 2023 hat es 12,2 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt.

Wirtschaftsministerium: Weiterführung des Tagebaus notwendig

Beim Sächsischen Wirtschaftsministerium teilt man auf Nachfrage dazu mit: Die Weiterführung des Tagebaus Nochten sei "Voraussetzung, um den Prozess der beschlossenen Energiewende bis 2038 abzusichern."

Kohlekraftwerke wie Boxberg, das mit Kohle aus dem Tagebau versorgt wird, können flexibel mehr Strom produzieren, wenn Wind- und Solarkraftwerke wenig liefern. Deshalb gelten sie vor allem seit dem Atomausstieg und dem Stopp der russischen Gaslieferungen als wichtiger Bestandteil des deutschen Energiemixes - zumindest übergangsweise.

Mehr als ein Jahrhundert "chemische Nachsorge"

Schuster nennt noch ein weiteres Argument gegen die Ausweitung des Tagebaus: In einem Gutachten für die Leag schreibt der Hydrogeologe Wilfried Uhlmann, der das private "Institut für Wasser und Boden Dr. Uhlmann" in Dresden leitet, dass "mittelfristig nach der Flutung mit einer Versauerung des Bergbaufolgesees im Tagebau Nochten zu rechnen" sei.

Für einen stabilen pH-Wert sei noch im Jahr 2150 eine "Inlake-Neutralisation" notwendig - es müssen also basische Stoffe in den See eingebracht werden. Dies kann zum Beispiel über Schiffe geschehen, die Kalk im See verteilen. Das geschieht auch jetzt schon in einigen Bergbaufolgeseen.

Hat Leag ausreichend Mittel für die Nachsorge?

Schuster drückt es so aus: "Man muss Nachsorge betreiben oder man hat einen See, den man praktisch nicht nutzen kann, weil er sauer ist". Und er fragt: "Hat die Leag genug zur Seite gelegt?" und antwortet dann selbst: "Nach unserer Kenntnis nicht." Eine Nachfrage von MDR SACHSEN dazu ließ die Leag unbeantwortet. Karten zeigen aber, dass das Abbaugebiet tatsächlich bis nahe an die Dörfer geplant ist.

Ein Sprecher des Sächsischen Wirtschaftsministerium teilte auf Nachfrage mit, die Leag habe sich zu ihrer Verantwortung bekannt, "die Auswirkungen auf alle Schutzgüter" zu minimieren – auch in der Phase der "Wiedernutzbarmachung". Das Unternehmen betreibe "entsprechende planerische, technologische und auch finanzielle Vorsorge". 

Umweltgruppe könnte vor Gericht ziehen

Sollte das Oberbergamt die Abtretung des Grundstückes anordnen, werde die Umweltgruppe "wahrscheinlich" vor Gericht gehen, sagt Schuster. "Eine Enteignung ist ein schwerer Eingriff in Grundrechte. Sie ist nur zulässig, wenn sie für das Allgemeinwohl erforderlich ist." Und daran, dass eine Erweiterung des Tagebaus dem Allgemeinwohl diene, habe er Zweifel.