"Bild"-Recherche nicht veröffentlicht Ippen-Chefredakteur entschuldigt sich
In der Affäre um Ex-"Bild"-Chef Reichelt hat sich der Ippen.Media-Chefredakteur für die Nichtveröffentlichung der Recherchen entschuldigt. Ein "New York Times"-Autor geht davon aus, dass Springer schon länger von den Vorgängen wusste.
Der Ippen.Media-Gesamt-Chefredakteur Markus Knall hat sich bei den Betroffenen für die Nichtveröffentlichung von Recherchen zum früheren "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt entschuldigt. In einem Statement in eigener Sache, das auf dem zur Ippen-Gruppe gehörenden Portal des "Münchner Merkur" veröffentlicht wurde, schrieb Knall: "Zahlreiche Frauen haben sich im Zuge der Recherche zum Fall Julian Reichelt an unsere Redaktion gewandt und den Mut gefasst, uns ihre Geschichte zu erzählen. Wir haben zugesagt, unter Wahrung der Anonymität, über ihre persönlichen Schicksale zu berichten. Dieses Versprechen konnten wir nicht einlösen. Das bedauere ich zutiefst."
Knall fügte hinzu: "Weil wir den ursprünglich zugesagten Beitrag kurzfristig nicht veröffentlicht haben, wurden wir dem Vertrauen, das in uns gesetzt wurde, nicht gerecht. Hierfür bitte ich die Betroffenen um Entschuldigung."
Kritik an Zurückhaltung der Recherchen
Über Monate hinweg hatte ein Investigativ-Team bei Ippen zu früheren Vorwürfen gegen den damaligen "Bild"-Chefredakteur Reichelt recherchiert. Die Rechercheergebnisse sollten eigentlich vor Tagen erscheinen. Auf Einwirken des Verlegers Dirk Ippen entschied sich das Medienhaus dann aber gegen eine Erstveröffentlichung. Als Begründung hatte es unter anderem geheißen: "Als Mediengruppe, die im direkten Wettbewerb mit 'Bild' steht, müssen wir sehr genau darauf achten, dass nicht der Eindruck entsteht, wir wollten einem Wettbewerber wirtschaftlich schaden."
In der "New York Times" war am Sonntag ein Online-Bericht zu Reichelt und Springer erschienen, in dem es auch um die verhinderte Berichterstattung bei Ippen ging. Die Sache löste intern bei Ippen wie extern große Kritik aus. In der Zwischenzeit erschienen Teile der Ippen-Recherche in einem Online-Bericht des "Spiegel".
Vorwürfe des Machtmissbrauchs
Am Montag hatte der Medienkonzern Axel Springer bekanntgegeben, Reichelt von seinen Aufgaben zu entbinden. "Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen", begründete der Verlag die Entscheidung. Diesen Informationen sei man nachgegangen. "Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat."
In einem früheren internen Verfahren gegen Reichelt im Frühjahr war man zu dem Ergebnis gelangt, ihm eine zweite Chance zu geben. Damals standen nach Springer-Angaben im Kern der Untersuchung Vorwürfe des Machtmissbrauchs im Zusammenhang mit einvernehmlichen Beziehungen zu Mitarbeiterinnen sowie Drogenkonsum am Arbeitsplatz.
Döpfner bestätigt Beziehung Reichelts mit Mitarbeiterin
Der Vorstandsvorsitzende des Axel Springer-Konzerns, Mathias Döpfner, bestätigte nun eine Beziehung Reichelts mit einer ihm unterstellten Mitarbeiterin. Reichelt habe dies zunächst bestritten, sagte Döpfner in einer Videobotschaft. Vorgestern habe das Unternehmen dann "zwei sehr glaubwürdige Zeugenberichte bekommen, die dargelegt haben, dass es diese Beziehung sehr wohl gibt". Reichelt sei daraufhin erneut konfrontiert worden, woraufhin er die Beziehung eingeräumt habe. "Und damit war klar: Erstens, er hat aus den Fällen von damals nichts gelernt. Zweites, er hat uns nicht die Wahrheit gesagt", so Döpfner.
Er sprach sich auch für einen schnelleren Kulturwandel innerhalb der Boulevardzeitung aus, erklärte aber: "Es handelt sich hier nicht um ein Kulturproblem des ganzen Springer-Verlages. Es gibt dieses Problem bei 'Bild'." Deswegen müsse man "hier auch sehr schnell noch viel grundlegender an der Modernisierung und Veränderung unserer Kultur im Sinne von Respekt arbeiten."
"NYT"-Autor: Verhalten Reichelts war Springer bekannt
Der Autor des "New York Times"-Artikels zu Axel Springer, Ben Smith, zeigte sich unterdessen überrascht über die Entlassung Reichelts. Aus einem Protokoll der internen Untersuchung bei Springer zu dessen Verhalten, das ihm vorliege, lasse sich schließen, "dass die Beziehungen des Chefredakteurs allgemein bekannt waren", sagte er der Hamburger Wochenzeitung "Zeit".
Aus amerikanischer Sicht sei für ihn noch "viel überraschender", wie schnell die ursprüngliche Compliance-Untersuchung gegen Reichelt im März beendet wurde, fügte Smith hinzu. Ein amerikanischer Manager wäre schon "wegen jeder kleinen Untermenge dieser Vorwürfe, schon wegen fünf Prozent der bekannten Vorwürfe" sofort gefeuert worden. Bereits in Zeiten vor der "#MeToo"-Bewegung, die auf das Ausmaß sexueller Übergriffe auf Frauen aufmerksam macht, wäre so ein Fall demnach sehr ungewöhnlich gewesen.