Selbstbestimmungsgesetz verabschiedet "Das entspricht einem freiheitlichen Rechtsstaat"
Familienministerin Paus hat das vom Kabinett verabschiedete Selbstbestimmungsgesetz als gesellschaftspolitischen Fortschritt gelobt. Während Union und AfD die Reform kritisierten, fordern andere eine frühere Einführung.
Nach der Verabschiedung im Kabinett haben Politiker der Ampel-Koalition das sogenannte Selbstbestimmungsgesetz verteidigt, mit dem künftig jeder Mensch in Deutschland sein Geschlecht und seinen Vornamen selbst festlegen und in einem einfachen Verfahren ändern können soll.
"Darüber selbstbestimmt entscheiden zu können, dieses Menschenrecht zu verwirklichen, das entspricht einem freiheitlichen Rechtsstaat", sagte Familienministerin Lisa Paus. Die Reform diene "dem Schutz lang diskriminierter Minderheiten und ist ein gesellschaftspolitischer Fortschritt", so die Grünen-Politikerin.
Buschmann: Respektiert, wie man ist
Auch Justizminister Marco Buschmann von der FDP sagte, mit den neuen Gesetz würden die Menschen vom Staat nun so respektiert werden, wie sie seien. Bislang seien Personen, deren sexuelle Identität von ihrem biologischen Geschlecht abweicht, wie Kranke behandelt worden.
Laut Buschmann wurden auch Bedenken ausgeräumt, dass Kriminelle sich den Identitätswechsel zunutze machen und den Strafverfolgungsbehörden entziehen könnten. Um dies zu verhindern, nähmen die Standesämter eine Abfrage bei den Behörden vor, "die mit Fahndungsaufgaben betraut sind".
Die Linksfraktion kritisierte das: Dass die Daten an Behörden weitergegeben werden sollen, sei "höchst bedenklich", sagte die queerpolitische Sprecherin Kathrin Vogler. "Ich bezweifle, dass diese und weitere Regelungen grundrechtskonform sind."
Union sieht Schutzpflicht des Staates vernachlässigt
Die Union kritisierte das Gesetzespaket als Ganzes. Gerade mit Blick auf Jugendliche, die in ihrer Pubertät oft von Persönlichkeits- und Identitätszweifeln geplagt würden, komme die Regierung der Schutzpflicht des Staates nicht nach, sagte CDU-Vize-Generalsekretärin Christina Stumpp. Junge Menschen brauchten "in so gravierenden Fragen" Unterstützung und Orientierungshilfe, diese lasse das geplante Gesetz außen vor.
Zudem beobachte die CDU mit großer Skepsis, dass die Bundesregierung Eltern weiter entmündigen wolle, sagte Stumpp. Ein Gericht sollte in solchen Fragen Eltern "nicht ohne Weiteres überstimmen dürfen".
Die Familienexpertin der Unions-Bundestagsfraktion, Silvia Breher sagte, der Entwurf ignoriere auch Bedenken von Kinder- und Jugendpsychiatern und Medizinern zu voreiligen Entscheidungen in der Pubertät.
Dobrindt: "Eine Geschichte aus dem Tollhaus"
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt warf der Regierung vor, Warnungen vor Missbrauch zu ignorieren. "Die Idee, sein Geschlecht jedes Jahr neu selbst bestimmen zu können, kann man nur als eine Geschichte aus dem Tollhaus bezeichnen", sagte er der "Augsburger Allgemeinen".
Die AfD will "verfassungsrechtliche Schritte" gegen die Reform prüfen. Sie sieht einen Eingriff in das im Grundgesetz festgelegte Erziehungsrecht der Eltern, wenn bei Konflikten mit minderjährigen Kindern Familiengerichte über den Geschlechterwechsel entscheiden würden.
Katholische Kirche will "Paradigmenwechsel umsetzen"
Von einem "guten Tag für Selbstbestimmung und Menschenwürde" sprach das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK). Präsidentin Irme Stetter-Karp sagte, der Einsatz für transgeschlechtliche, intergeschlechtliche und nicht-binäre Menschen dürfe aber mit der Einführung des Gesetzes nicht enden. Auch die katholische Kirche müsse "den damit einhergehenden Paradigmenwechsel umsetzen".
Der Antidiskriminierungsbeauftragten Ferda Ataman geht die Regelung nicht weit genug. Der Entwurf sehe sogar Verschlechterungen vor wie die Anmeldefrist oder Datenübermittlungspflichten an Sicherheitsbehörden.
Der Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) forderte den Bundestag auf, diskriminierende Regelungen im Entwurf zu korrigieren. Auch der Bundesverband Trans* sieht im parlamentarischen Verfahren "noch deutlich Luft nach oben".
Kritik am Starttermin im November 2024
Kritik gab es auch am geplanten Inkrafttreten des Gesetzes am 1. November 2024. Die Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, Beate von Miquel, sagte, der Termin komme zu spät. Auch der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, hofft, dass der Bundestag das Gesetz noch in diesem Jahr verabschieden wird. "Die Betroffenen haben lange genug gewartet."
Mit dem Selbstbestimmungsgesetz soll künftig jeder Mensch Geschlecht und Vornamen selbst festlegen und in einem einfachen Verfahren beim Standesamt ändern können. Wer sich nicht mit seinem Geschlechtseintrag identifiziert, muss bislang in einem langwierigen und kostspieligen Verfahren den entsprechenden Eintrag ändern lassen.