Änderungen bei "Bundesnotbremse" Es soll nicht mehr nur an der Inzidenz hängen
Bei einer möglichen Rückkehr zur "Bundesnotbremse" bei steigenden Infektionszahlen soll die Sieben-Tage-Inzidenz nicht mehr das Hauptkriterium sein. Die Regierung will zukünftig mehrere Faktoren heranziehen.
Die Bundesregierung will eine möglicherweise drohende Rückkehr zur sogenannten Bundesnotbremse bei steigenden Infektionszahlen nicht mehr automatisch an einen Wert der Sieben-Tage-Inzidenz knüpfen. Das gab Regierungssprecher Steffen Seibert bekannt. Man werde dies in Abhängigkeit der Fallzahlen, der Fortschritte beim Impfen und der wissenschaftlichen Einschätzung entscheiden.
Der Zusammenhang zwischen Fallzahlen und etwa der Zahl der Intensivpatienten habe sich möglicherweise verändert. Deshalb sollen künftig weitere Daten stärker berücksichtigt werden.
Das Bundesgesundheitsministerium hatte bekanntgegeben, dass die Kliniken mehr Details zu Covid-19-Fällen melden sollen. Neben der Belegung von Intensivstationen müssen alle Krankenhauseinweisungen wegen Corona übermittelt werden, zuzüglich Alter, Art der Behandlung und Impfstatus der Patienten. Die entsprechende Verordnung dazu solle zügig auf den Weg gebracht werden, hieß es aus dem Ministerium.
"Keine Abkehr von der Sieben-Tage-Inzidenz"
"Das ist nicht als eine Abkehr von der Sieben-Tage-Inzidenz zu verstehen", sagte ein Sprecher des Gesundheitsministeriums. Es sei auch keine Änderung der politischen Strategie damit verbunden. Die Inzidenz sei nach wie vor ein wichtiger Parameter, weil sie unter anderem Trends erkennen lasse. Auf die Frage, ob Maßnahmen wie Schulschließungen künftig weiterhin an die Höhe der Inzidenz gekoppelt werden, verwies der Sprecher auf die Zuständigkeit der Länder im Schulbereich.
Regierungssprecher Seibert sagte, man sei unter anderem dank der Impfungen in einer recht guten Lage. Wirtschaft und Handel könnten arbeiten, das Kulturleben kehre zurück. "Das heißt aber alles nicht, dass wir schon in einer Situation der Normalität wären, wenn man mit 'normal' vor der Pandemie meint." Ein Blick in Nachbarländer mache klar, dass niedrige Fallzahlen schnell wieder explodieren könnten. Damit gingen Risiken einher. Es könnten wieder mehr Menschen krank werden. Das Impfen habe die Gesamtrechnung verändert. "Aber wir sind noch nicht ausreichend gewappnet für den Fall dass die Zahlen wieder wirklich stark ansteigen", sagte Seibert.
Zuvor hatte die "Bild"-Zeitung berichtet, dass das Robert Koch-Institut (RKI) die Hospitalisierung als zusätzlichen Leitindikator einführen will. Es seien "weiterhin mehrere Indikatoren zur Bewertung notwendig, aber die Gewichtung der Indikatoren untereinander ändert sich", hieß es laut "Bild" in einem RKI-Papier. Das Institut begründet die Hinzunahme der Hospitalisierung demnach mit den "Konsequenzen zunehmender Grundimmunität".
Dem Bericht zufolge rechnet das RKI mit einer "Abnahme des Anteils schwerer Fälle" und fordert daher einen "stärkeren Fokus auf die Folgen der Infektion", darunter schwere Erkrankungen mit Hospitalisierung, Todesfälle und langfristige Folgen.
Krankenhausgesellschaft fordert Einbeziehung der Positivrate
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft befürwortete die Pläne der Bundesregierung. "Ich halte es für absolut vernünftig, auch die Krankenhausbelegung einzubeziehen, um die Gefahren der Pandemie einzuschätzen und entsprechende praktische Schutzmaßnahmen zu ergreifen", sagte der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft, Gerald Gaß, dem "RedaktionsNetzwerk Deutschland".
Gaß forderte, bei der Ergreifung von Schutzmaßnahmen auch die Positivrate von Corona-Tests einzubeziehen. Die Zahl positiver Tests sei nur aussagekräftig, wenn sie mit den durchgeführten Tests ins Verhältnis gesetzt werde. "Das ist bisher international in der Pandemie zu wenig beachtet worden."
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder hält ein Abrücken von der Sieben-Tage-Inzidenz zur Beurteilung der Corona-Lage für verfrüht. Es sei aber "sehr sinnvoll", etwa die Corona-Krankenhauszahlen dazu in Relation zu setzen und zudem einen Koeffizienten zu finden, der die hohe Zahl der Geimpften berücksichtige. Vielleicht müsse man Grenzwerte auch erhöhen.
Impfkampagne gerät ins Stocken
Der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans begrüßte den Vorstoß der Bundesregierung. "Ich glaube, dass es ganz wichtig ist, dass wir in diesem Herbst nicht allein auf die Inzidenz starren", sagte der CDU-Politiker im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF. Dass die Werte derzeit wegen der Delta-Variante nach oben gehen, sehe man in ganz Europa. "Wichtig ist, dass wir verstärkt Faktoren in Betracht ziehen wie zum Beispiel die Belastung des Gesundheitswesens, die Belegung der Intensivstationen, die Art und Weise, wie Patientinnen und Patienten ankommen - all das muss eine Rolle spielen."
Er halte es für falsch, eine Regelung wie die "Bundesnotbremse" ab einer Inzidenz von 100 nochmals "zu zünden." Er sehe auch nicht, dass das komme. Zwingend sei es dagegen, den Impffortschritt voranzutreiben. Anreize wie eine Lotterie seien dabei "definitiv eine Option".
Die Impfkampagne in Deutschland ist jedoch ins Stocken geraten. Laut Bundesgesundheitsminister Spahn wurden am Sonntag so wenige Menschen in Deutschland geimpft wie zuletzt im Februar. "Anders als im Februar ist nun aber genug Impfstoff da", schreibt Spahn auf Twitter und fügt hinzu: "Es bleibt dabei: Bitte impfen lassen!" Seinen Angaben zufolge haben bislang 35,4 Millionen Deutsche oder 42,6 Prozent den vollen Impfschutz, 48,6 Millionen oder 58,5 Prozent sind mindestens einmal geimpft.