Weil verteidigt Scholz "Unangefochten die Nummer eins der SPD"
Für Olaf Scholz ging es direkt von der Weltbühne des Ukraine-Gipfels hinein ins SPD-Präsidium: Niedersachsens Ministerpräsident Weil bestärkte im Bericht aus Berlin den Kanzler. Doch das schlechte Abschneiden sorgt für Unruhe in der Partei.
Das schlechte Abschneiden bei der Europawahl, der Streit über den Kurs in der Haushaltspolitik und öffentlich ausgetragene Meinungsverschiedenheiten der Koalition setzen Bundeskanzler Olaf Scholz innerhalb seiner SPD unter Druck.
Nach dem G7-Gipfeltreffen und dem Ukraine-Hilfsgipfel stand für Scholz am Sonntagabend eine Sondersitzung des SPD-Präsidiums auf dem Programm - anberaumt, um über das schlechte Ergebnis für die Sozialdemokraten bei der Europawahl zu diskutieren.
Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ist Mitglied des SPD-Präsidiums, er machte kurz vor Beginn des Treffens im Bericht aus Berlin in der ARD klar, dass die Führungsrolle des Kanzlers innerhalb der Partei unumstritten sei: "Nach meinem Eindruck ist Olaf Scholz unangefochten als die Nummer eins der SPD."
Darin seien sich alle relevanten Teile der Partei nach seinem Empfinden einig, so Weil. "Olaf Scholz hat wirklich das Vertrauen der SPD. Und ich sehe auch überhaupt gar keine Alternative."
"Meinungsverschiedenheiten intern regeln"
Es sei völlig klar, dass der Bundeshaushalt 2025 jetzt eine ganz große Herausforderung sei, sagte der niedersächsische Regierungschef. Er appellierte an seine Partei: "Aber auch danach, wenn diese Herausforderung hoffentlich bewältigt ist, muss man zu einem Modus kommen, dass man miteinander arbeitet, gelegentliche Meinungsverschiedenheiten intern regelt, aber dann geschlossen nach außen auftritt. Dann, glaube ich in der Tat, hat die SPD auch gute Perspektiven."
Mit Blick auf das öffentliche Auftreten der Ampel-Partner forderte Weil, dass sich die Zusammenarbeit von SPD, Grünen und FDP ändern müsse. "Es macht keinen Sinn, sich nach einem verlorenen Spiel erst mal öffentlich zu zerstreiten. Man muss in der Kabine Klartext miteinander reden, aber dann auch wieder geschlossen aufs Feld gehen."
Dabei nahm Weil Scholz aber auch in Schutz. Es werde immer überschätzt, was ein Bundeskanzler in einer solchen Situation tatsächlich tun könne, in der "Koalitionspartner nicht immer das notwendige Maß an Konstruktivität zeigen".
Kritik an Parteiführung kommt aus Thüringen
Kritik an Parteiführung und Kanzleramt kommt allerdings von Thüringens SPD-Chef Georg Maier. Dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte er, die SPD müsse "auch dringend vor der eigenen Haustüre kehren, um bei den Wählern wieder besser anzukommen".
Mit Blick auf soziale Unterschiede zwischen Ost- und Westdeutschland kritisierte Maier, "die SPD hat es versäumt, diese soziale Schieflage in Deutschland zum Thema zu machen." Er appelliere seit geraumer Zeit "eindringlich im Parteivorstand und im Kanzleramt, endlich aktiv zu werden. Doch bisher ohne Erfolg." Er verstehe nicht, "warum die SPD die Gerechtigkeitsfrage nicht auf die politische Agenda setzt. Das ist doch unsere DNA."
Maier ist auch Innenminister in Thüringen, wo im September der Landtag gewählt wird. In Umfragen führte die AfD zuletzt mit großem Abstand vor der CDU, die SPD lag im einstelligen Bereich. Maier forderte, der Fokus seiner Partei müsse wieder stärker auf "die arbeitende Mitte" gerichtet werden. Diese Menschen seien durch die Krisen arg gebeutelt und verunsichert und fragten sich, wer ihre Interessen vertrete.
Festhalten an Schuldenbremse "bar jeder Vernunft"
Das gelte besonders für Ostdeutschland. "Man kann niemanden mehr erklären, warum die soziale Schere zwischen Ost und West 34 Jahre nach der Einheit immer noch so weit auseinandergeht", sagte Maier. Die Löhne seien knapp 20 Prozent niedriger, die Arbeitszeiten länger, die Vermögen noch nicht einmal halb so hoch wie im Westen und die Durchschnittsrenten am niedrigsten.
Zugleich kritisierte er das Festhalten an der Schuldenbremse. Das sei "bar jeder Vernunft". "Weltweit werden zig Milliarden durch staatliche Programme in die Infrastruktur und Forschung investiert, nur Deutschland spart sich durch die Krise", sagte Maier.
Linke SPD-Gruppe fordert Konsequenzen
Auch eine linke Gruppe innerhalb der SPD forderte, Konsequenzen aus der jüngsten Wahlniederlage zu ziehen. Das "Forum DL21" strebt ein Mitgliederbegehren über den Haushaltsstreit an. "Wir wollen fragen, ob die SPD einem Kürzungshaushalt zustimmen soll", sagte Jan Dieren, "DL21"-Co-Vorsitzender, dem Spiegel. "In Zeiten, in denen die Demokratie unter Druck steht, die Preise steigen und viele sich ihr Leben kaum noch leisten können, ist es falsch, zu sparen. Im Gegenteil: Der Staat muss massiv investieren."
Für ein Mitgliederbegehren braucht die Gruppierung im ersten Schritt knapp 4.000 Unterstützerinnen und Unterstützer aus zehn SPD-Unterbezirken. Allein das dürfte mehrere Wochen in Anspruch nehmen.
Abrechnung in der Fraktionssitzung
Bereits in der SPD-Fraktionssitzung am Dienstag hatte es kritische Worte gegenüber Scholz und dessen Kommunikationsstil, aber auch gegenüber dem für die Wahlkampagne verantwortlichen SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert gegeben.
Intern gibt es auch Kritik an der Spitzenkandidatin Katarina Barley sowie an FDP und Grünen, die für das schlechte Ansehen der Ampel mitverantwortlich gemacht werden. Es werde aber nicht damit gerechnet, dass es "dramatische Entwicklungen" in der SPD oder der Ampel gebe, hieß es in Parteikreisen.
Die Parteichefs Lars Klingbeil und Saskia Esken hatten zuvor betont, dass Scholz auf jeden Fall Kanzlerkandidat der SPD auch für die Wahl 2025 werde. Zudem habe keiner der drei Ampel-Partner Interesse an einem Bruch der Koalition - auch wenn die Aufstellung des Haushalts bis Anfang Juli eine Herausforderung darstelle.
Kritik an der Kritik
Einige Sozialdemokraten warnen davor, die Konflikte innerhalb der Ampelkoalition anzufachen. "Es ist ein Denkfehler zu glauben, wir müssten jetzt nur Punkte gegen die FDP machen und gewinnen so Vertrauen zurück", sagt Alexander Schweitzer, Arbeitsminister in Rheinland-Pfalz und Mitglied des SPD-Präsidiums, dem Spiegel.
Auch Cansel Kiziltepe, Arbeitssenatorin in Berlin, erklärte, Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten seien zwar "hart im Kampf gegen rechts - Haltung alleine reicht aber nicht aus." Der Markenkern der SPD müsse wieder deutlicher sichtbar werden.
Merz bietet Zusammenarbeit an
Vor der Sitzung des SPD-Präsidiums hatte Unionsfraktionschef Friedrich Merz angeboten, gemeinsam Lösungen für drängende Probleme zu finden. "Wir bieten den Sozialdemokraten ausdrücklich an, bei den notwendigen Entscheidungen mitzuwirken und gemeinsam nach Lösungen zu suchen", schrieb Merz am Samstag in seinem Newsletter "MerzMail". Die Europawahl am vergangenen Sonntag sei ein Warnsignal "an uns alle" gewesen, die großen Probleme des Landes jetzt zu lösen.
In Deutschland - nicht nur im Osten - stehe mehr auf dem Spiel als nur das Schicksal einer Koalition, heißt es in Merz' Schreiben. Die Demokratie sei in ernsthafter Gefahr. "Jetzt nicht zu handeln und in wesentlichen Teilen der Innenpolitik und der Wirtschaftspolitik nicht einen grundlegenden Politikwechsel zu vollziehen, wäre ganz einfach verantwortungslos."