Sterbehilfe Wie viel Sterbehilfe soll erlaubt sein?
Der Bundestag entscheidet, ob und wenn ja, wie die Sterbehilfe in Deutschland neu geregelt wird. Über das ethisch schwierige Thema wird über Fraktionsgrenzen hinweg beraten. tagesschau.de beantwortet die wichtigsten Fragen.
Warum stimmt der Bundestag über das Thema Sterbehilfe ab?
Immer wieder diskutierte die Politik über ein Verbot der organisierten, sogenannten geschäftsmäßigen Hilfe beim Suizid. In Deutschland arbeiten Vereine oder Personen, die Sterbehilfe anbieten, legal. Ihre Arbeit aber stößt bei einigen auf Abwehr.
Bereits in der vergangenen Wahlperiode wurde ein Verbot angestrebt. Die Pläne der damaligen Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), nur die kommerziell ausgerichtete Suizidhilfe zu bestrafen, gingen dem Koalitionspartner Union damals nicht weit genug. CDU und CSU wollten auch diejenigen treffen, die zwar organisiert handeln, nicht aber unbedingt Gewinn erzielen wollen.
Nach der Bundestagswahl 2013 wurde die Debatte in der Großen Koalition neu aufgerollt. Kein Gesetz der Regierung sollte es geben, sondern Initiativen aus der Mitte des Parlaments, über die der Bundestag abstimmen wird.
Wie ist die rechtliche Lage?
Hilfe zur Selbsttötung ist in Deutschland straffrei. Genau das machen sich Sterbehilfevereine zunutze. Bei der Beihilfe zum Suizid (auch assistierter Suizid genannt) wird dem Betroffenen ein tödliches Mittel nicht aktiv verabreicht, sondern von einer anderen Person zur Verfügung gestellt. Der Patient nimmt das Mittel selbst ein und bringt sich damit um.
Der ärztlich assistierte Suizid ist eine Form der Beihilfe zum Suizid. Auch wenn ein Arzt sich mit einem assistierten Suizid nicht strafbar macht, muss er zumindest Sanktionen der Ärztekammern befürchten. Denn in der geltenden Berufsordung der Bundesärztekammer ist ärztliche Suizidhilfe untersagt. Maßgeblich sind allerdings die Ordnungen der Landesärztekammern, die das Thema unterschiedlich bewerten. Für Ärzte herrscht hier eine Rechtsunsicherheit.
Beim assistierten Suizid gibt es eine weitere Unsicherheit: Eine Art "Strafbarkeit durch die Hintertür" ist nicht ausgeschlossen. Bleibt der Gehilfe nach Übergabe des Medikaments im Raum, und der Patient verliert das Bewusstsein, könnte er wegen unterlassener Hilfeleistung oder Totschlags durch Unterlassen verfolgt werden. Er hat die Pflicht, den Eintritt des Todes zu verhindern. Auf der sicheren Seite ist also nur der, der den Raum verlassen hat.
Die Tötung auf Verlangen, also aktive Sterbehilfe, ist in Deutschland verboten. Der Patient nimmt das Mittel nicht selbst ein, sondern bekommt es von einem Arzt oder einer anderen Person eingeflößt. Die passive Sterbehilfe, also das Ausschalten lebensverlängernder Maßnahmen, ist in Deutschland dagegen erlaubt. Im Unterschied zur aktiven Sterbehilfe lässt man hier dem natürlichen Sterbeprozess seinen Lauf und schaltet etwa nur die Geräte ab, die den Patienten am Leben halten.
Welche Anträge stehen zur Wahl?
Eine Gruppe um die Bundestagsabgeordneten Kerstin Griese (SPD) und Michael Brand (CDU) will Vereine wie "Sterbehilfe Deutschland" verbieten. Ihr Antrag ist einer der Gesetzentwürfe, über den der Bundestag abstimmen wird.
Die weiteren Entwürfe reichen von einem völligen Verbot jeder Beihilfe, wie es der Vorschlag des CDU-Politikers Patrick Sensburg vorsieht, bis hin zu einer ausdrücklichen Erlaubnis für Ärzte, wie sie Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) fordern. Die Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke) will nur die auf Gewinn angelegte Beihilfe verbieten.
Verbot geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe
- Gesetzentwurf der Gruppe um Michael Brand (CDU), Kerstin Griese (SPD), Harald Terpe (Grüne) und Kathrin Vogler (Linke)
- Bestrafung geschäftsmäßiger Suizidbeihilfe - mit bis zu drei Jahren Gefängnis. Geschäftsmäßig meint das auf Wiederholung angelegte, organisierte Handeln von Vereinen und Einzelpersonen.
- Verbot beschränkt sich nicht nur auf die auf Gewinn orientierte Suizidbeihilfe, umfasst diese aber.
- Angehörige und nahestehende Personen wären vor einer Bestrafung geschützt.
- Einzelfallentscheidungen von Ärzten sollen nicht sanktioniert werden, sondern nur Suizidbeihilfe in geschäftsmäßiger Form.
- Begründung: Sie wollen einen Gewöhnungseffekt der Gesellschaft an Suizidhilfe und eine Bedrängung alter und kranker Menschen vermeiden.
Regelung zum ärztlich assistierten Suizid
- Gesetzentwurf der Gruppe um Karl Lauterbach (SPD), Carola Reimann (SPD) und Peter Hintze (CDU)
- Ärzten ist die Hilfe beim Suizid in der Regel (je nach Bundesland der Landesärztekammer) durch Standesrecht untersagt. Dieser Entwurf will das ändern. Ärzte sollen Suizidbeihilfe leisten dürfen, wenn der Patient eine organische Krankheit hat, die "unumkehrbar" zum Tod führt, sowie volljährig und einwilligungsfähig ist. Dafür soll das Bürgerliche Gesetzbuch geändert werden.
- Mit einem Paragrafen im Zivilrecht sollen Ärzte vor Sanktionen nach dem Standesrecht geschützt werden.
- Begründung: Rechtssicherheit für Ärzte und Patienten herstellen und die Selbstbestimmung von unheilbar erkrankten Patienten stärken.
Erlaubnis für Sterbehilfe-Vereine
- Gesetzentwurf der Gruppe um Renate Künast (Grüne) und Petra Sitte (Linke)
- bis zu drei Jahre Gefängnis für jeden, der Sterbehilfe leistet, um damit Geld zu verdienen.
- organisierte Suizidhilfe ohne Gewinnabsicht wollen sie erhalten und definieren dafür Regeln.
- Nach ihrem Entwurf sollen Organisationen und Ärzte, die bei der Selbsttötung helfen wollen, zu Beratungsgesprächen und einer Dokumentation der Fälle verpflichtet werden. Die Ärzte sollen damit rechtssicherheit bekommen.
- Auch sie wollen durch eine gesetzliche Regelung das standesrechtliche Verbot für Ärzte außer Kraft setzen.
- Begründung: Entscheidungsfreiheit sichern sowie Rechtsunsicherheiten in der Bevölkerung und bei Ärzten beseitigen.
Verbot der Suizidbeihilfe
- Gesetzentwurf der Gruppe um Patrick Sensburg (CDU)
- Er strebt ein weitgehendes Verbot der Hilfe bei der Selbsttötung an. Anstiftung oder Hilfe bei der Selbsttötung soll nach seinen Plänen mit bis zu fünf Jahren Haft bestraft werden.
- Begründung: Der Grundsatz der Unantastbarkeit der Würde des Menschen soll gewahrt werden. Das bedeute eine klare Werteentscheidung - zum Recht auf Leben.
Alles bleibt, wie es ist
- Antrag von Katja Keul (Grüne)
- Laut ihrem Antrag soll der Bundestag beschließen, dass es weder in Richtung eines Verbots noch einer Regulierung organisierter Suizidassistenz Änderungsbedarf besteht.
- Seit dieser Woche steht fest, dass dieser fünfte Punkt als Zusatzpunkt auf die Tagesordnung kommt.
Wie stehen die Chancen?
Eine eindeutige Mehrheit ist bislang für keinen der Entwürfe absehbar. Die Diskussion gehe weiter, ist aus den verschiedenen Lagern zu hören. Die meisten Chancen werden dem Antrag von Brand/Griese eingeräumt. Sie bewerben ihren Entwurf als "Weg der Mitte" und sammelten bislang die Unterstützung von mehr als 270 Abgeordneten. Darunter sind einige Mitglieder des Bundeskabinetts, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vize-Kanzler Sigmar Gabriel. Am Dienstag schalteten sich auch die Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder (CDU), Thomas Oppermann (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) in die Debatte ein. In einem Brief werben sie für den Gesetzentwurf von Brand/Griese.
Das sorgte bei Unterstützern der anderen Anträge für Empörung. Der Gesetzesentwurf von Lauterbach/Hintze hat derzeit 107 Unterstützer, Künast/Sitte rechnen mit 70 bis 80 Stimmen. Beide Gruppen verbündeten sich diese Woche, wollen bei der Abstimmung geschlossen gegen den Entwurf von Brand/Griese stimmen. Es wäre besser, die jetzige Rechtslage beizubehalten, als das Strafrecht zu verschärfen, argumentieren sie.
Sollte einer der beiden Entwürfe zu einer liberalen Regelung zunächst keine Mehrheit finden, wollen die Antragsteller die Abgeordneten dazu aufrufen, in späteren Wahlgängen auf jeden Fall gegen eine Strafrechtsverschärfung zu stimmen. Unklar ist allerdings, ob diese Strategie aufgeht. Abgeordnete, die auf jeden Fall den geschäftsmäßigen Suizid verbieten wollen, könnten - zumindest in einem späteren Durchgang - noch für den Entwurf von Brand/Griese stimmen.
Die Gruppe um Sensburg rechnet mit etwa 40 Unterstützern. Sie könnten im Zweifel zu Brand/Griese wechseln. Die Abgeordnete Katja Keul (Grüne), hat für ihren Vorschlag, gar nichts an der Rechtslage zu ändern, 37 Unterstützer geworben.
Wie wird die Abstimmung im Bundestag ablaufen?
Anders als die meisten anderen Abstimmungen. Einen Fraktionszwang gibt es nicht. Die Abgeordneten sind allein ihrem Gewissen verpflichtet.
Es gilt das sogenannte Stimmzettel-Verfahren: Im ersten Wahlgang haben die Abgeordneten die Möglichkeit, zwischen den vier Gesetzesentwürfen, Enthaltung und Nein zu wählen. Hat schon in der ersten Runde einer der Entwürfe die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, findet sofort eine namentliche Abstimmung statt. Wenn nicht, werden im zweiten Wahlgang die beiden Entwürfe mit den meisten Stimmen wieder zur Wahl gestellt. Wird hier wieder nicht die erforderliche Mehrheit erreicht, wird noch einmal über den Entwurf mit den meisten Stimmen abgestimmt. Erreicht dieser nun die Mehrheit der Stimmen, wird über ihn namentlich abgestimmt. Über den Antrag der Abgeordneten Keul wird im Anschluss abgestimmt.
Auch die Debatte wird anders verlaufen als sonst üblich. Normalerweise erhalten die Fraktionen Redezeit analog zu ihrer Stärke im Parlament. Dieses Verfahren macht bei den Gruppenanträgen mit Unterstützung aus mehreren Fraktionen keinen Sinn. Deshalb sollen Vertreter aller Gruppen zu Wort kommen. Wie viele Redner für eine Gruppe sprechen, wird davon abhängen, wie viele Unterstützer der jeweilige Antrag hat.
Was sagen Ärztevertreter?
Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, betont, dass Ärzte auch ohne gesetzliche Regelung leben könnten. Er setzt sich für ein Verbot der "unanständigen Sterbehilfeorganisationen" ein. Doch solange rechtliche Fragen nicht zweifelsfrei zu lösen seien, sollte lieber alles beim Alten bleiben. Wenn Sterbehilfe zur ärztlichen Aufgabe würde, müsste es dafür auch eine Gebührenordnungsziffer geben - denn ohne dürfe kein Arzt etwas tun, sagt Montgomery. Daran sehe man, "wie pervers das Ganze wäre", sagte er dem Berliner "Tagesspiegel". Er warb in einem Brief um Unterstützung für den Antrag von Brand/Griese.
In einem Schreiben wandten sich der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin, Lukas Radbruch, sowie sein Stellvertreter, Christoph Ostgathe, an die Abgeordneten. Sie unterstützen ebenfalls den Entwurf von Brand/Griese und verweisen darauf, dass die organisierte Suizidhilfe von der Mehrzahl ihrer Mitglieder abgelehnt wird. Die Gründe für den Wunsch nach dem Tod seien oft sehr komplex. 95 Prozent der Befragten unterstrichen, dass schwerkranke Menschen mit Wunsch nach Suizidhilfe, nicht zwingend den sofortigen eigenen Tod wünschen, sondern oft das Ende einer unerträglichen Situation. Bei der organisierten Suizidhilfe bestehe aber die große Gefahr, dass diese Komplexität nicht berücksichtigt wird.
Was sagen Vertreter der Kirchen?
Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Reinhard Kardinal Marx, appellierte an die Abgeordneten, sich gegen jede organisierte Suizidhilfe auszusprechen. Menschen sollten in Würde an der Hand von Mitmenschen sterben, nicht durch die Hand von Menschen. Ein erlaubter Suizid sei ein völlig falsches Signal und würde ältere und kranke Menschen unter Druck setzen.
Auch der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Heinrich Bedford-Strohm, forderte ein Verbot der organisierten Sterbehilfe. Er glaube, dass der Gesetzentwurf Brand/Griese der beste sei. Dieser Entwurf mache klar, dass öffentlich propagiertes geschäftsmäßiges Anbieten der Hilfe zum Suizid nicht hingenommen werden könne. Ansonsten würde Suizid ein normaler Weg, der unter mehreren Optionen am Lebensende gewählt werden könne. Zugleich lasse der Entwurf aber auch Gewissensspielräume im persönlichen Arzt-Patienten-Verhältnis, die der Tatsache Rechnung tragen, dass sich nicht jeder Einzelfall rechtlich regeln lässt, so Bedford-Strohm.
Was sagen Vertreter von Sterbehilfe-Organisationen?
In Deutschland begleitet der Verein "Sterbehilfe Deutschland" Menschen in den Tod. Im Jahr 2014 ließen sich nach Medieninformationen 44 Männer und Frauen von dem Verein ins Sterben begleiten, seit Jahresbeginn schon 73. Der Chef und ehemaliger Hamburger Justizsenator Roger Kusch führt den Anstieg auf die geplante Neuregelung von Sterbehilfe zurück. Offenbar wollten sich manche Sterbewillige noch vor einem möglichen Verbot von Sterbehilfevereinen in Deutschland das Leben nehmen.
Kusch droht mit einer Verfassungsbeschwerde, sollte sich der fraktionsübergreifende Entwurf der Abgeordneten Brand/Griese durchsetzen. Man könne nicht das Selbstbestimmungsrecht von 80 Millionen Deutschen einschränken, sagte Kusch in einem Interview.
Wie ist die Lage in den Nachbarländern?
In Luxemburg, den Niederlanden, Belgien, Schweden und der Schweiz ist die Beihilfe zur Selbsttötung genauso wie in Deutschland legal. In der Schweiz bieten mehrere Organisationen Beihilfe beim Suizid an. Aktive Sterbehilfe - die Tötung auf Verlangen - ist europaweit in den Niederlanden, Luxemburg und Belgien erlaubt.