Diskussion um "Transitzentren" Wie soll das funktionieren?
Die Union will "Transitzentren" für Migranten. Doch rechtlich und praktisch wirft diese Idee viele Fragen auf. Vor allem, wenn Flüchtlinge dort nur 48 Stunden bleiben sollen.
Ein wichtiger Baustein in der Einigung zwischen CDU und CSU im Asylstreit sind sogenannte Transitzentren. Einrichtungen also, aus denen heraus Asylsuchende, die bereits in einem anderen EU-Land registriert sind, in diese abgeschoben werden können.
In der ARD-Sendung "Farbe bekennen" konkretisierte Angela Merkel das Vorhaben. Innerhalb von maximal zwei Tagen soll in diesen Einrichtungen entschieden werden, ob ein Flüchtling direkt in einen anderen EU-Staat zurückgeschickt werden kann. "Man muss mit 48 Stunden hinkommen, das sagt das Grundgesetz", sagte die CDU-Vorsitzende.
Wieso eigentlich genau 48 Stunden?
Damit bezieht sich Merkel offenbar auf Artikel 104, Absatz 2 GG, wonach grundsätzlich niemand "länger als bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen in eigenem Gewahrsam" gehalten werden darf. Merkel begreift "Transitzentren" also offenbar als geschlossene Einrichtungen, aus denen niemand einfach so - zumindest nicht nach Deutschland - heraus darf. Eine geschlossene und damit bewachte Einrichtung bedeutet aber Freiheitsentzug. Und der ist, wie Artikel 104 außerdem sagt, nur auf richterliche Anordnung hin möglich und wenn diese nicht vorliegt, in Ausnahmefällen eben nach maximal 48 Stunden zu beenden. Sollte die Prüfung, ob und wohin ein Flüchtling zurückgeschickt werden kann, länger dauern, müsse er in eine normale Aufnahmeeinrichtung verlegt werden, so Merkel in der ARD.
Was muss geprüft werden?
Innerhalb dieser 48 Stunden soll also geklärt werden, ob ein bereits registrierter Flüchtling direkt in ein anderes Land abgeschoben werden kann. In jedem Fall ist nach Auffassung verschiedener Asylrechtsexperten dafür ein Verfahren notwendig, in dem festgestellt werden muss, welcher EU-Staat für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig ist. Zwar ist nach der Dublin-III-Verordnung im Regelfall das Land zuständig, das der Flüchtling innerhalb der EU zuerst betreten hat, doch kann es verschiedene Gründe geben, die dennoch die Zuständigkeit eines anderen Landes auslösen.
Wenn der Asylsuchende angibt, enge Familienangehörige in Deutschland zu haben, die hier bereits einen Asylantrag gestellt oder bewilligt bekommen haben, spricht das für die Zuständigkeit Deutschlands. Allein um das zu prüfen, dürften deutlich mehr als 48 Stunden notwendig sein.
Außerdem muss geprüft werden, ob es sich um einen Minderjährigen handelt. Denn Minderjährige dürfen nicht rücküberstellt werden. Solche Altersprüfungen sind sehr schwierig und langwierig. Und wenn man bedenkt, dass in etwa die Hälfte der Asylsuchenden in Deutschland Minderjährige sind, dürfte das gar nicht so selten vorkommen. Weitere Gründe, die die Rücküberstellung in einen anderen EU-Staat verhindern, sind beispielsweise besondere Bedürfnisse wegen Krankheit oder Traumatisierung.
Auch muss geklärt werden, ob der Flüchtling woanders einen legalen Aufenthaltstitel hat und ob eine Abschiebung in einen anderen EU-Staat zumutbar ist, wenn dort beispielsweise unmenschliche oder entwürdigende Behandlung droht. Für einige Länder, wie Ungarn und Griechenland, haben Verwaltungsgerichte das bereits verneint.
Wie soll das innerhalb von 48 Stunden gehen?
Schnell herausfinden lässt sich, ob ein Flüchtling bereits in einem anderen EU-Staat registriert ist. Auch, ob die Abschiebung in einen anderen EU-Staat zumutbar ist, könnte innerhalb von 48 Stunden möglich sein, sagt der Asylrechtsexperte Thomas Groß von der Uni Osnabrück. "Aber im Zweifel würde dann Schnelligkeit vor Gründlichkeit gehen."
Richtig kompliziert wird es, wenn abgewiesene Flüchtlinge Einspruch oder Klage erheben. Spätestens dann werden die 48 Stunden deutlich überschritten, so Groß.
Constantin Hruschka, Asylrechtsexperte vom Max-Planck-Institut für Sozialrecht und Sozialpolitik in München, sieht eine direkte Zurückweisung an der Grenze (auch nach 48 Stunden in einem "Transitzentrum") generell kritisch. "Nach meiner Auffassung steht einem Asylsuchenden umfassender Rechtsschutz zu." Demnach kann ein Asylsuchender einen Antrag auf aufschiebende Wirkung stellen, die Antragsfrist liegt bei einer Woche. "So lange müsste mindestens gewartet werden, bis ein Flüchtling in ein anderes Land zurückgeschickt werden kann."
In der Praxis dürfte eine Zurückweisung binnen 48 Stunden laut Hruschka nur in sehr wenigen Fällen praktikabel sein.
Reichen 48 Stunden denn an Flughäfen?
Das sogenannte Flughafenverfahren wird in der Debatte immer wieder als Vorbild genannt. Allerdings gibt es hier mehrere wesentliche Unterschiede. Zum einen handelt es sich bei Asylsuchenden an Flughäfen in der Regel nicht um Flüchtlinge, die über einen EU-Drittstaat gekommen sind, sondern aus dem außereuropäischen Ausland. Hier ist also nicht das Dublin-Verfahren anzuwenden, sondern es wird ein beschleunigtes Asylverfahren durchgeführt.
Da es sich hierbei rechtlich um eine EU-Außengrenze und nicht um eine Binnengrenze handelt, seien Zurückweisungen an der Grenze grundsätzlich möglich, meint Hruschka. Doch das funktioniere auch nicht innerhalb von 48 Stunden. "Asylsuchende dürfen längstens 23 Tage in den entsprechenden Unterkünften am Flughafen festgehalten werden." 2017 durften die Asylsuchenden in mehr als der Hälfte der Fälle einreisen, weil die Verfahren in dieser Zeit nicht abgeschlossen werden konnten, etwa weil der Schutzbedarf genauer abgeklärt werden musste.
Wohin dürften Asylsuchende überhaupt zurückgebracht werden?
Auch das ist kompliziert. Eine Zurückweisung aufgrund der Dublin-Regelung - egal ob mit oder ohne "Transitzentrum" - nach Österreich ist zumindest sehr schwierig, meint der Asylrechtsexperte Groß. In den allermeisten Fällen dürfte ein Staat mit EU-Außengrenzen wie Italien, Griechenland oder Bulgarien zuständig sein. Der Asylsuchende müsste also direkt in diesen Staat zurückgebracht werden, weil Österreich nicht zuständig ist, selbst wenn der Flüchtling über Österreich nach Deutschland gekommen ist.