CDU-Entwurf für "Grundwerte-Charta" Mit neuem Programm zu alter Stärke?
Die CDU will sich ein neues Grundsatzprogramm geben, um zu alter Stärke zurückzufinden. Der Entwurf einer "Grundwerte-Charta" wurde nun vorgestellt. Sie soll die Partei in der Mitte verorten.
"Wir müssen wieder mehr streiten - in der Sache": So stellt sich der Vorsitzende der CDU-Grundsatzkommission, Carsten Linnemann, den Weg zum neuen Grundsatzprogramm vor. Schließlich sollen die widerstrebenden Interessen in der Partei in einem Gesamtwerk münden - aus dem jedes Mitglied "wenn es nachts um drei geweckt wird, die wichtigsten drei Punkte zitieren kann".
Ein CDU-Basis-Mitglied ist sich nicht ganz sicher, ob er nun ausgerechnet das CDU-Grundsatzprogramm zitieren würde, wenn er nachts um drei geweckt würde; aber insgesamt ist die Stimmung unter den Mitgliedern im Konrad-Adenauer-Haus am Nachmittag gut. Die sogenannte Grundwerte-Charta wird vorgestellt, sozusagen der erste Teil des Grundsatzprogramms.
2024, rechtzeitig zur Europawahl, soll das neue Programm fertig sein. Es wäre erst das vierte, das sich die Partei gegeben hat, nach 1978, 1994 und 2007. Annegret Kramp-Karrenbauer hatte mit ihrer Zuhör-Tour 2019 einen Anlauf zu einem neuen Grundsatzprogramm gestartet, der aber verlief zwischen Personalquerelen und Corona dann im Sande.
Zu sehr auf Strahlkraft Merkels verlassen
Anders als die SPD hat sich die CDU immer weniger als Programm- denn als Regierungspartei verstanden. Pragmatisches Handeln war im Zweifel wichtiger als programmatische Schärfe, ganz besonders in der Regierungszeit Angela Merkels. Auf die Strahlkraft der Kanzlerin habe man sich in Wahlkämpfen zu sehr verlassen, das hat der Vorsitzende der Programmkommission, Carsten Linnemann, schon vor Jahren gesagt.
Heute betont er erneut, die CDU sei im Bundestagswahlkampf an drei Punkten gescheitert – "keine Köpfe, keine Inhalte, keine Geschlossenheit". Das müsse anders werden.
Die Grundwerte-Charta, die zunächst der CDU-Vorstand und dann der Parteitag beschließen soll, verortet die CDU in der Mitte. Diese will auch der Vorsitzende Friedrich Merz ganz klar für seine Partei besetzen. Die CDU sei die einzige politische Kraft, die Beständigkeit und Wandel nicht als unüberbrückbare Gegensätze verstehe. Die CDU dürfe nicht stehenbleiben, wenn die Welt im Wandel sei. Angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine werde deutlich, dass Freiheit und Sicherheit einander bedingen.
Klimaschutz als wichtiges Ziel
Im Entwurf der Charta betont die CDU einerseits ihre christlich-sozialen, liberalen und konservativen Wurzeln. Anderseits wird konsequenter Klimaschutz als wichtiges Ziel erwähnt, von einer "sozialen und ökologischen Marktwirtschaft" ist die Rede. Das kommt nicht überall in der Partei gut an.
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer konstatiert, bereits in der aktuellen Situation sehe man, dass beim Thema Energiewende der Regierung große Teile des Konzepts fehlten, das spüre die Wirtschaft, das sehe man an den Preisen, das müsse die Union berücksichtigen. Auch Mario Voigt, stellvertretender Chef der Programmkommission, pocht darauf, die CDU müsse vor allem im Osten die "Partei der kleinen Leute" bleiben. Die Bezahlbarkeit des Lebens sei hier ein wichtiges Thema, da viele im Niedriglohnsektor arbeiteten.
Eine klare Abgrenzung in Richtung AfD und Linkspartei findet sich auch in der "Grundwerte-Charta": Die CDU distanziert sich ausdrücklich "von einem libertären Individualismus, bei dem allein der individuelle Freiheitsanspruch im Vordergrund steht, wie von identitätspolitischem und sozialistischem, nationalsozialistischem und völkischem Denken, das Gruppen oder Ideologien den Vorrang vor einzelnen Menschen gibt." Bei Friedrich Merz klingt das dann so, an die Mitglieder gerichtet: "Sie sind Mitdenker, Weiterdenker, Vordenker. Nicht Querdenker."
Attraktiver werden für Frauen und Minderheiten
Nach den bisherigen Landtagswahlen in diesem Jahr ist für die CDU eine neue, solide Verortung wichtig. Zwar hat sie in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen deutlich gewonnen - doch bei ihrer jahrelangen Kernkompetenz, der Wirtschaftspolitik, liegt sie in Umfragen teils deutlich hinter der SPD. Auch ihre Kernwählerschaft, die älteren Wähler, sind teilweise zur SPD übergelaufen.
Attraktiver werden für Frauen, für Minderheiten, für Menschen mit Migrationshintergrund: Das ist nur ein Teil der Strategie, wie die CDU auch mit ihrem Grundsatzprogramm wieder zu alter Stärke zurückfinden will.