Eilanträge gegen Fiskalpakt und ESM Auf das Ja zu Euro-Verträgen folgen die Klagen
Trotz der Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat liegen der Fiskalpakt und der dauerhafte Rettungsschirm ESM vorerst auf Eis. Denn kurz nach den Abstimmungen gingen erste Klagen beim Bundesverfassungsgericht ein. Die Entscheidung der Richter wird das Inkrafttreten der Verträge zumindest verzögern.
Nach der Zustimmung von Bundestag und Bundesrat zum Fiskalpakt und dem dauerhaften Euro-Rettungsschirm ESM muss nun das Bundesverfassungsgericht über die zugrunde liegenden Verträge entscheiden. Binnen weniger Stunden gingen in Karlsruhe sechs Klagen ein. Deren Ziel ist es, die deutsche Ratifizierung des Fiskalvertrags und des ESM-Vertrags zu verhindern. Beide verstießen gegen das Grundgesetz, argumentieren die Kläger.
Die Verfassungsrichter müssen zunächst Eilanträge prüfen, die eine Ausfertigung der Gesetze durch Bundespräsident Joachim Gauck stoppen lassen wollen. Das Staatsoberhaupt hatte auf Bitten der Richter bereits angekündigt, die Unterzeichnung zu verschieben, um dem Bundesverfassungsgericht ausreichend Zeit zur Prüfung der Anträge zu geben. Der ESM kann damit nicht wie geplant zum 1. Juli in Kraft treten. Es wird damit gerechnet, dass die Entscheidung über die Eilanträge binnen weniger Wochen fällt.
Entscheidung über Eilantrag hat Signalwirkung
Falls die Richter eine einstweilige Anordnung erlassen sollten, wären die Gesetze über den Fiskalpakt und dem ESM-Vertrag in Deutschland zwar vorläufig gestoppt. Eine Entscheidung über den Erfolg der Klagen wäre damit allerdings noch nicht gefallen. Diese folgt erst mit dem Urteil im späteren Hauptsacheverfahren.
Allerdings wäre eine einstweilige Anordnung in diesem Fall ein starkes Indiz für Zweifel der Richter an der Vereinbarkeit von Fiskalpakt und ESM mit dem Grundgesetz. Denn wenn das Gericht die Unterzeichnung durch den Bundespräsidenten nicht unterbindet, könnten danach durch eine Unterschrift Gaucks Fakten geschaffen werden. Deutschland wäre dann bereits völkerrechtlich an Fiskalvertrag und ESM-Vertrag gebunden - unabhängig vom späteren Urteil.
Sechs Klagen eingereicht
Unmittelbar nach der nächtlichen Abstimmung im Bundesrat faxte die Bundestagsfraktion der Partei Die Linke ihre Klagen nach Karlsruhe. Sie reichte einerseits eine Organklage ein, weil sie ihre Rechte als Fraktion verletzt sieht. Zugleich legten die Bundestagsabgeordneten der Partei eine gemeinsame Verfassungsbeschwerde vor. Der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler ließ gegen Mitternacht eine weitere Verfassungsbeschwerde sowie eine Organklage wegen einer Verletzung seiner Rechte als Parlamentarier von einem Boten an der Pforte des Gerichts abgeben.
Der Verein "Mehr Demokratie" reichte eine Verfassungsbeschwerde ein, der sich nach Angaben der Organisatoren etwa 12.000 Bürger sowie der Bund der Steuerzahler angeschlossen haben. Diese Klage wird unter anderem von der SPD-Politikerin und früheren Justizministerin Herta Däubler-Gmelin vertreten. Eine weitere Verfassungsbeschwerde stammt von einer Gruppe um den Staatsrechtler Karl Albrecht Schachtschneider, der bereits gegen die Euro-Einführung geklagt hatte. Zudem liegen dem Bundesverfassungsgericht nach eigenen Angaben bereits Klagen von zwei Bürgern vor, deren Namen nicht genannt wurden.
Kläger monieren Eingriff in das Budgetrecht des Bundestags
Die Kläger kritisieren vor allem, dass durch Fiskalpakt und ESM tief in das Budgetrecht des Bundestages eingegriffen werde. Die EU-Institutionen erhalten durch den Fiskalvertrag deutliche Eingriffsrechte gegenüber den Mitgliedsstaaten. Der ESM, deren Entscheidungen in erster Linie ein Gouverneursrat mit Regierungsvertretern und eine schwer kontrollierbare neue Behörde treffen sollen, könnte über viele Milliarden der deutschen Steuerzahler entscheiden. Eine Kernfrage wird für die Verfassungsrichter daher in beiden Fällen sein, wie der Bundestag in die Entscheidungsfindung eingebunden ist.
Gauweiler betonte, Fiskalpakt wie ESM würden "in schwerwiegender Weise gegen das Demokratieprinzip verstoßen". Däubler-Gmelin sagte: "Wir klagen gegen die Verträge, weil sie einen Demokratieabbau im doppelten Sinne bedeuteten. Zum einen werden unwiederbringlich Haushaltskompetenzen und Souveränitätsrechte des Bundestages nach Brüssel abgegeben. Dadurch wird das Bundestags-Wahlrecht entwertet." Zum anderen laufe die Ratifizierung hektisch und an der Bevölkerung vorbei. Gregor Gysi, Fraktionschef der Partei Die Linke, sprach von einem "Sozial- und Demokratieabbau". Wenn die Regierung ESM und Fiskalpakt durchsetzen wolle, müsse sie eine Volksabstimmung zur Änderung des Grundgesetzes machen.
Zwei-Drittel-Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat
Bundestag und Bundesrat hatten den ESM-Vertrag und den Fiskalpakt jeweils mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit gebilligt. Dies könnte eine wichtige Rolle in der Frage spielen, ob die notwendigen Bedingungen für eine Abtretung der Kompetenzen nach Brüssel erfüllt sind.
Bei den ESM-Abstimmungen im Bundestag verfehlte die schwarz-gelbe Koalition allerdings die Kanzlermehrheit von 311 Stimmen. Die Zwei-Drittel-Mehrheit wurde nur erreicht, weil die meisten Abgeordneten von SPD und Grünen ebenfalls dafür stimmten. SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier sagte dem "Tagesspiegel am Sonntag", die Kanzlerin könne sich offenbar "in entscheidenden Fragen nicht auf ihre eigenen Reihen verlassen". Der Grünen-Fraktionsgeschäftsführer Volker Beck vertrat die Auffassung, dass die schwarz-gelbe Koalition aufgrund der verfehlten Kanzlermehrheit europapolitisch nicht mehr handlungsfähig sei. Regierungssprecher Steffen Seibert zeigte sich dagegen betont gelassen. "Die Bundesregierung will und bekommt immer die Mehrheit, die erforderlich ist", sagte er der "Bild am Sonntag".