Deutschland wegen Vorratsdatenspeicherung unter Zugzwang Ultimatum läuft ab - klagt jetzt die EU?
Mit Ansage lässt Deutschland die Frist der EU verstreichen, beim Thema Vorratsdatenspeicherung einen Gesetzentwurf vorzulegen. Der Grund: Union und FDP konnten ihren Dauerstreit noch immer nicht beilegen. Die EU-Kommission könnte die Bundesrepublik nun verklagen.
Von Martin Bohne, MDR-Hörfunkstudio Brüssel
Zumindest wurden die Brüsseler Beamten nicht bis zum bitteren Ende um Mitternacht auf die Folter gespannt. Die Bundesregierung hatte schon wissen lassen, dass da nichts kommen wird - jedenfalls nicht das, was die EU-Kommission forderte: "Wir erwarten eine klare Aussage, wie und wann das Gesetz, mit dem die europäische Richtlinie umgesetzt wird, verabschiedet werden wird", sagte der Sprecher der für den Fall zuständigen Innenkommissarin Cecilia Malmström, Michele Cercone.
Dauerzoff zwischen Friedrich und Leutheusser-Schnarrenberger
Stattdessen informiert Berlin nur darüber, dass sich der neue Gesetzentwurf derzeit in der Abstimmung zwischen den Ministerien befinde - eine schöne Umschreibung für den Koalitions-Dauerstreit zwischen einem Innenminister, der die EU-Vorgaben zur sechsmonatigen Speicherung sämtlicher Telekommunikationsdaten für richtig findet und einer Justizministerin, die ihren Widerstand gegen eine solche anlasslose und verdachtsunabhängige Massenspeicherung nicht aufgeben will.
Der CSU-Europaabgeordnete Manfred Weber hält die Berliner Handlungsunfähigkeit regelrecht für skandalös: "Berlin muss sich einigen, weil wir bestehendes europäisches Recht umzusetzen haben und da auch im europäischen Verbund vertragstreu sein müssen. Wir haben uns verpflichtet, europäisches Recht einzuhalten, das gilt auch für dieses schwierige Thema Vorratsdatenspeicherung."
Brüssels Geduld am Ende
Und dabei kann sich die Bundesregierung nicht über mangelnde Geduld in Brüssel beklagen. Seit 2006 gibt es die EU-Richtlinie über die Vorratsdatenspeicherung - verabschiedet auch mit der Stimme Berlins. Bis 2007 hätte sie in allen Mitgliedsstaaten in nationales Recht umgesetzt sein müssen. Die EU-Kommission mahnte immer wieder, schrieb Briefe - jetzt ist der Geduldsfaden gerissen. "Das neuerliche Mahnschreiben verweist ausdrücklich auf die Möglichkeit, beim Europäischen Gerichtshof die Verhängung einer Geldstrafe zu beantragen", sagte Kommissionssprecher Cercone vor einem Monat, als die Behörde die letzte Frist setzte.
Schon in der nächsten Woche könnte das Gremium der EU-Kommissare beschließen, die Klage gegen die Bundesrepublik in Luxemburg einzureichen. Dann drohen tägliche Zwangsgelder.
Das Bundesinnenministerium rechnet mit einer Summe von mehr als 30 Millionen Euro im Jahr. Aber das sei reine Spekulation, sagt Kommissionssprecher Olivier Bailly: "Es gibt da keine festgelegten Summen. Das hängt von der Schwere des Falls ab, wie lange der Rechtsverstoß schon andauert, welcher Schaden entsteht, wie viele Menschen betroffen sind - erst bei Einreichung der Klage nennen wir auch eine Summe. Die Entscheidung darüber liegt aber beim Europäischen Gerichtshof. Aber so weit sind wir noch nicht."
Ein jahrelanges Verfahren?
Das Verfahren vor dem EuGH kann sich über Jahre hinziehen, auch wenn die Faktenlage wie in diesem Fall recht eindeutig ist. Vertragsverletzungsverfahren sind in der EU Routine. Allein gegen Deutschland laufen derzeit 74 solche Verfahren. Nur in den wenigsten Fällen allerdings wird das Gericht eingeschaltet, meistens lenken die Mitgliedsstaaten vorher ein.
Ein Zwangsgeld droht Deutschland derzeit nur im Streit um das VW-Gesetz, das die EU-Kommission für europarechtswidrig hält. Nun also die Vorratsdatenspeicherung - und die Bundesregierung kann auch nicht darauf hoffen, dass sich die EU-Gesetzeslage verändert.
Zwar kündigte die EU-Kommission für den Sommer eine Reform des Gesetzes über die Vorratsdatenspeicherung an - aber die werde nicht weit genug gehen, um die Vorstellungen von Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger abzudecken, so die Einschätzung des grünen Europaabgeordnete Jan-Philipp Albrecht, selbst ein entschiedener Gegner der Vorratsdatenspeicherung: "Abzusehen als Vorschlag für die Revision ist derzeit nur eine Reduzierung der Speicherdauer und eine Erhöhung der Anforderungen für den Zugriff."
Und das wären eher kleinere Änderungen, die nichts am Prinzip der verdachtslosen Massenspeicherung ändern. Die deutsche Justizministerin will aber lediglich ein schnelles Einfrieren von Telekommunikationsdaten im Falle eines konkreten Verdachts auf eine schwere Straftat zugestehen.