Wahlen in Ostdeutschland "Die Menschen verschließen sich"
Kanzlerin Merkel berät sich heute mit den Ost-Ministerpräsidenten. Dabei wird es wohl auch um die Wahlen in drei Ländern gehen. MDR-Korrespondent Tim Herden erklärt, warum alle drei Landeschefs im Herbst ihr Amt verlieren könnten.
tagesschau.de: Drei Landtagswahlen stehen im Herbst in den neuen Bundesländern an, drei Ministerpräsidenten müssen um ihr Amt fürchten: Welcher von ihnen dürfte die größten Probleme haben?
Tim Herden: Alle drei sind gefährdet, ihr Amt als Ministerpräsident zu verlieren. In Brandenburg könnte sich Dietmar Woidke mit seiner SPD nach den jetzigen Umfragen eventuell in ein Dreierbündnis mit der CDU und den Grünen retten. Aber bei Bodo Ramelow (Linkspartei) in Thüringen und Michael Kretschmer (CDU) in Sachsen ist momentan das Problem, dass es eigentlich nicht für ein Dreierbündnis reicht. Das heißt, die Gefährdung für Kretschmer und Ramelow ist deutlich größer, denn Vier-Parteien-Koalitionen sind dem Bürger schwer zu vermitteln. Das hat dann zu stark den Charakter: alle gegen die AfD.
tagesschau.de: Gerade in Sachsen ist die AfD besonders stark. Was bedeutet das für Kretschmer?
Herden: Kretschmer kämpft gegen eine schlechte Stimmung im Land. Und die innerhalb eines halben Jahres zu drehen, ist ganz schwer. Er hat eine klare Messlatte: Er muss weit über dem Ergebnis der CDU bei den Bundestagswahlen abschließen. Damals lag ja die CDU knapp hinter der AfD. Für ihn geht es vor allem darum, den ländlichen Raum wieder zurückgewinnen. Der wurde lange durch die Sachsen-CDU und die Landesregierung vernachlässigt. Es gab einen massiven Abbau der sozialen Infrastruktur und das kann er nicht so schnell wieder rückgängig machen.
"Manche sagen: Dann wählen wir lieber AfD"
tagesschau.de: Welche Schwierigkeiten hat Woidke in Brandenburg?
Herden: Das größte Risiko für Woidke ist der Kohleausstieg. Da wurden sehr viele Versprechungen gemacht und Erwartungen geschürt, die er nicht bis zum Ende des Jahres erfüllen kann. Denn die Prozesse in der Bundespolitik beim Kohleausstieg dauern viel länger. Er hat aber einen Vorteil: Der Speckgürtel um Berlin und Brandenburg wird immer größer und damit gewinnt er urbane Wähler hinzu, die eher zu SPD, CDU und Grünen tendieren. Die können sich auch eher eine Drei-Parteien-Konstellation vorstellen, was eine Regierungsbildung erleichtern könnte.
tagesschau.de: Wo liegt die besondere Herausforderung für Ramelow in Thüringen?
Herden: Ich glaube Ramelow kann noch einiges gut machen durch sein Landesvater-Image. Vor allem, wenn der Wahlkampf auf ein Duell zwischen Ramelow und Björn Höcke hinausläuft. Der Pferdefuß für ihn ist aber der Abgang von Sahra Wagenknecht. Nach Ansicht vieler Linkspartei-Wähler im Osten hat vor allem sie realistische Positionen in der Flüchtlingspolitik vertreten. Und manche sagen sich jetzt: Dann wählen wir lieber AfD.
"Viel beim Bürger sein"
tagesschau.de: Welche Strategien haben die drei Ministerpräsidenten gegen die starke Konkurrenz durch die AfD?
Herden: Alle drei versuchen jetzt sehr viel beim Bürger zu sein - in unterschiedlichen Formaten und Bürgergesprächen versuchen sie vor Ort zu sein, in den Gemeinden und auch auf dem Land. Doch daraus ergibt sich auch ein Problem: In diesen Gesprächen werden sehr viele Lösungen versprochen. Die aber am Ende auch einzuhalten, wird schwierig. Beispiel Breitbandausbau: Da wird versprochen, dass möglichst schnell auch der ländliche Raum angeschlossen wird. Andererseits zeigen die Zahlen vom Wirtschaftsministerium, dass die Fördermittel durch diese drei Länder nur zu einem geringen Teil abgerufen werden. Das hat zum einen mit dem hohen Bürokratieaufwand zu tun und zum anderen mit der angespannten Lage in der Baubranche.
Und wenn die Politik dann diese Versprechen nicht einlösen kann, ist das genau dieses Momentum, das die Bürger in den letzten Jahren gerade in diesen drei Ländern immer wieder erlebt haben. Und das schafft weiteres Misstrauen gegen die Politik und ist ein großes Risiko für alle drei.
"Bürger würdigen, dass sie wahrgenommen werden"
tagesschau.de: Trägt diese Strategie der Bürgernähe denn schon erste Früchte?
Herden: Die Bürger würdigen durchaus, dass sie jetzt wieder wahrgenommen werden und dass sie die Möglichkeit haben mit "denen da oben" offen über ihre Probleme zu sprechen. Das ist schon sehr wichtig. Die Politik war ja durch die Gebietsreformen in Brandenburg und Sachsen - dadurch, dass die Verwaltungseinheiten immer größer wurden - immer weiter vom Bürger weggerückt.
Andererseits wurde der Abbau der sozialen Infrastruktur im ländlichen Bereich gestoppt. Allerdings haben die Bürger das so erlebt, dass erst die Flüchtlinge kommen mussten, damit sich etwas tut. Dass Schulen nicht geschlossen wurden, dass Busse wieder fahren. Und diese Erfahrung hat sich tief eingebrannt.
"Ich sehe insgesamt nicht, dass die Stimmung sich verbessert."
tagesschau.de: Hat sich die Lage in den neuen Bundesländern - nach den Ausschreitungen von Chemnitz und Cottbus - inzwischen womöglich wieder etwas beruhigt?
Herden: Wir nehmen immer Chemnitz und Cottbus und stellen das pars pro toto für Ostdeutschland. Ich glaube, die Leute sind es Leid, für solche rechtsradikalen Ausschreitungen in Mithaft genommen zu werden. Ich sehe insgesamt nicht, dass die Stimmung sich verbessert. Ich sehe eher das Problem, dass sich Menschen, die dieser Gesellschaft mal offen gegenüberstanden, mehr und mehr verschließen. Und dass das Gefühl, ausgegrenzt zu werden, bei den Ostdeutschen eher zunimmt.
tagesschau.de: Wird der Osten jetzt insgesamt ernster genommen von der Politik?
Herden: Momentan schon. Die Frage ist nur, wie lange? Diese drei wichtigen Landtagswahlen in diesem Jahr sind ja so etwas wie ein Plebiszit des Ostens über die politische Situation im Land. Fatal wäre es, wenn man danach den Osten wieder vergisst. Nach dem letzten AfD-Schock bei den Wahlen vor fünf Jahren hat man die Probleme ja gesehen: Innere Sicherheit, Grenzkriminalität, Lehrermangel, lange Schulwege. Aber es ist nicht viel passiert seitdem. Jetzt ist es fünf vor zwölf. Die Politik hat inzwischen begriffen, dass sie mehr tun muss, aber es wäre fatal, wenn man das nicht fortführt.