Debatte über Dienstpflicht Für Pflege und Vaterland?
Die CDU hat eine Debatte über die Rückkehr zur Wehrpflicht wiederbelebt und bringt eine allgemeine Dienstpflicht ins Gespräch. Doch sowohl Militärs als auch Hilfsorganisationen sind skeptisch.
Muffige Umkleideräume mit spartanischer Möblierung und einem Geruch von Schweiß und Unmut - Generationen von jungen Männern haben diese Erfahrung hinter sich. Doch mit den Musterungen im Kreiswehrersatzamt war im März 2011 Schluss. Die Wehrpflicht wurde ausgesetzt, die Bundeswehr wurde zur Freiwilligenarmee.
Nun will so mancher in der Union den Pflichtdienst an der Waffe wiederbeleben - auch mit Blick auf den Ersatzdienst im Sozialsektor, zum Beispiel in der Pflege. Denn dort fehlt Personal. Für die Überlegungen, die auch eine allgemeine Dienstpflicht umfassen, gibt es neben Kritik auch Zuspruch - etwa aus der AfD.
Grundgesetz verbietet Zwangsdienste
So interessant der Gedanke an eine verpflichtende Dienstzeit für die Gesellschaft manchem erscheinen mag, rein verfassungsrechtlich dürfte die Dienstpflicht nur schwer umsetzbar sein. Denn das Grundgesetz verbietet Zwangsdienste. Die erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Verfassungsänderung ist aktuell nicht absehbar. Bliebe also nur die Wehrpflicht und damit der Ersatzdienst, der dann in sozialen Einrichtungen abgeleistet werden könnte - wie früher.
Doch wie sinnvoll wäre die Wiederbelebung der Wehrpflicht überhaupt? Hans-Lothar Domröse, ehemaliger Vier-Sterne-General in führender NATO-Funktion, hat da seine Zweifel. Er argumentiert: Die Wehrpflichtigen hätten viele Ressourcen in Ausbildung und Ausrüstung gebunden, wären aber - etwa bei Auslandsmissionen - gar nicht einsetzbar gewesen.
"Rein mathematisch betrachtet haben wir da sehr viel Geld für ziemlich wenig Ergebnis eingesetzt", sagt Domröse im Gespräch mit dem ARD-Hauptstadtstudio rückblickend. Zumal sei die zuletzt vergleichsweise kurze Dienstzeit nach Aussage von Bundeswehr-Ausbildern kaum noch ausreichend gewesen, um die Rekruten fundiert zu trainieren. Vom "Schnupperkurs in Uniform" war die Rede. Für Domröse sind Wehrpflichtige aktuell nicht notwendig, um das Land zu verteidigen: "Die Bedrohungslage gibt das nicht her."
Trotzdem sieht er auch Vorteile der Wehrpflicht. Sie habe die Verbindung der Streitkräfte mit der Gesellschaft sichergestellt und für den Nachwuchs in den Streitkräften gesorgt. "Heute ist die Bundeswehr ein unbekanntes Wesen für viele", so der General im Ruhestand.
"Auf dem Weg zur Profi-Armee"
Der Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages, der SPD-Politiker Hans-Peter Bartels, sieht weitere Probleme. "Die Bundeswehr ist auf dem Weg zur Profi-Armee mit zwei Dritteln Berufssoldaten und einem Drittel Zeitsoldaten."
Pro Jahr würden rund 25.000 neue Männer und Frauen für die Streitkräfte rekrutiert, während des Kalten Krieges sei die Zahl der Wehrpflichtigen etwa zehn Mal so hoch gewesen. Für solche Größenordnungen fehlten inzwischen schlicht die Unterkünfte, so Bartels - ganz unabhängig davon, dass auch nicht genügend Ausbilder existierten. Und die Wehrpflicht würde zusätzlich Geld kosten. Geld, das die Streitkräfte dringend für die Modernisierung der vorhandenen Ausrüstung benötigen.
Auch organisatorisch wäre die Wiedereinführung der Wehrpflicht mit erheblichem Aufwand verbunden. Die gesamte Verwaltung der Wehrdienstleistenden wurde abgebaut, die Kreiswehrersatzämter Ende 2012 geschlossen. Stattdessen konzentrierten sich die Streitkräfte auf die Anwerbung Freiwilliger. Alle Strukturen nun wieder aufzubauen, wäre eine Herkulesaufgabe, die der militärischen Schlagkraft der Bundeswehr erst einmal wenig nützen würde.
Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Bundestages, sieht ein Gerechtigkeitsproblem.
Zu viele Taugliche
Und dann wäre da noch die Frage der Wehrgerechtigkeit. Eine kleinere Bundeswehr benötigt nur einen Bruchteil der Wehrpflichtigen, die man vor dem Mauerfall eingezogen hat, und nur einen Bruchteil der theoretisch pro Jahrgang verfügbaren jungen Menschen. 2010, im letzten Jahr der Wehrpflicht, wurden laut Zentralstelle Kriegsdienstverweigerung nur noch gut 56.000 junge Männer eingezogen - verfügbar, tauglich und bereit zu dienen waren aber aus dem gleichen Jahrgang gut 104.000.
Was wird also mit den Zehntausenden, die für den Wehrdienst tauglich sind, ihn auch nicht verweigern, aber dann nicht eingezogen werden? Manche würden möglicherweise erst Jahre später ihren Dienst antreten, viele auch nie. Genau an diesem Gerechtigkeitsproblem machten schon vor der Aussetzung der Wehrpflicht vor sieben Jahren viele Gegner des Pflichtdienstes ihre Kritik fest. Mit der Wiederbelebung der Wehrpflicht würde höchstwahrscheinlich auch diese Debatte zurückkehren.
Bundesregierung reagiert zurückhaltend
So ist es auch nicht verwunderlich, dass die Bundesregierung die Vorschläge eher zurückhaltend kommentiert. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht stehe nicht zur Debatte, sagt die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer. Und Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen begrüße zwar die "sehr hilfreiche und gute Debatte", erklärt ihr Sprecher Jens Flosdorff. Aber es gehe nicht um die "Wiedereinführung der Wehrpflicht alten Stils, wie wir sie ja gehabt haben."
Auch viele Hilfsorganisationen sind nicht besonders euphorisch. Sie haben sich nach der Aussetzung der Wehrpflicht auf die Freiwilligkeit konzentriert und ihre Strukturen entsprechend angepasst - etwa auf Bewerber aus dem Bundesfreiwilligendienst und dem Freiwilligen Sozialen Jahr. "Wir haben da deutlich mehr Bewerber als Stellen", sagt etwa Dieter Schütz vom Deutschen Roten Kreuz. Aus seiner Sicht geht es vor allem darum, bürgerschaftliches Engagement attraktiver zu machen: "Ob man das über einen Pflichtdienst macht oder auf anderem Wege, das ist eher zweitrangig."