Fragen und Antworten Wie geht es im Fall Wulff weiter?
Für den Vorwurf der Bestechlichkeit hat das Landgericht Hannover keinen "hinreichenden Tatverdacht" gesehen, wohl aber für den der Vorteilsannahme im Amt. Aus diesem Grund wurde das Hauptverfahren gegen Ex-Bundespräsident Wulff und Filmproduzent Groenewold zugelassen. Es soll am 1. November beginnen. ARD-Rechtsexperte Frank Bräutigam beantwortet die wichtigsten Fragen zum Prozess und wie er ausgehen könnte.
Was wird Wulff und Groenewold vorgeworfen?
Von zahlreichen Vorwürfen ist aus strafrechtlicher Sicht einer übrig geblieben: Filmproduzent David Groenewold soll eine Hotelrechnung von Christian Wulff in München über eine Summe zwischen 400 und 770 Euro übernommen haben. Im Gegenzug habe sich Wulff beim Siemens-Chef Peter Löscher für die finanzielle Förderung eines Groenewold-Filmprojekts eingesetzt. Wulff und Groenewold beteuern ihre Unschuld. Der ehemalige Bundespräsident bestreitet, von der Zahlung Groenewolds gewusst zu haben. Außerdem habe er die Kosten ohnehin als Dienstreise abrechnen können.
Um welche Delikte geht es?
Die Staatsanwaltschaft wertet dies juristisch bei Wulff als "Bestechlichkeit" (§ 332 Strafgesetzbuch), bei Groenewold - quasi spiegelbildlich - als "Bestechung" (§ 334 Strafgesetzbuch). "Bestechlichkeit" bedeutet, Geld als Gegenleistung für eine bestimmte, pflichtwidrige Amtshandlung anzunehmen. Ursprünglich hatte der Vorwurf der Staatsanwälte nur "Vorteilsannahme" bzw. "Vorteilsgewährung" gelautet. Dafür reicht eine Zahlung an einen Amtsträger zur "allgemeinen Klimapflege". "Bestechlichkeit" ist also eine Stufe schärfer. Das Landgericht hat nun deutlich zwischen beiden Delikten unterschieden und die Anklage nur wegen Vorteilsannahme (Wulff) und Vorteilsgewährung (Groenewold) zugelassen. Übrigens: Die korrekte Formulierung lautet Vorteilsannahme, nicht Vorteilsnahme.
Warum hat das Landgericht den Vorwurf herabgestuft?
Eine genaue Begründung hat das Landgericht bislang für die Öffentlichkeit nicht geliefert. Es weist in der Pressemitteilung nur auf die allgemeinen Voraussetzungen für eine "Vorteilsannahme" hin. Es sei "ausreichend, dass der Vorteil allgemein mit der Dienstausübung des Amtsträgers verknüpft und damit geeignet ist, den bloßen Anschein der 'Käuflichkeit' zu erwecken". Es sei unerheblich, ob die Dienstausübung pflichtwidrig gewesen sei oder nicht. Wohlgemerkt: Es geht um den "hinreichenden Tatverdacht", nicht das abschließende Ergebnis des Verfahrens.
Was bedeutet die Zulassung der Anklage durch das Landgericht?
Wenn die Staatsanwaltschaft Anklage erhoben hat, prüft das zuständige Gericht zunächst im "Zwischenverfahren", ob aus seiner Sicht nach Aktenlage ebenfalls ein "hinreichender Tatverdacht" besteht. Das bedeutet - vereinfacht gesagt - die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung von mehr als 50 Prozent. Bejaht das Gericht dies, nachdem der Betroffene Stellung nehmen konnte, lässt es die Anklage zu. Diesen "hinreichenden Tatverdacht" hat das Landgericht Hannover bezüglich des Delikts der "Vorteilsannahme" bejaht und insoweit das "Hauptverfahren" eröffnet. Beim Anklagevorwurf "Bestechlichkeit" hat es den hinreichenden Tatverdacht nicht gesehen, das Hauptverfahren nicht eröffnet und den Vorwurf damit von der Schwere her etwas heruntergestuft.
Heißt die Zulassung der Anklage, dass es auch zu einer Verurteilung kommt?
Nein. Das Gericht entscheidet über die Wahrscheinlichkeit rein nach Aktenlage. Es hat noch keinen einzigen Zeugen selbst gehört. In der Beweisaufnahme vor Gericht können die Vorwürfe auch in sich zusammenfallen, gerade wenn es - wie hier - um schwierige Fragen der inneren Motivation der Angeklagten geht. Auch kann man sich im Gerichtssaal am besten ein Bild davon machen, ob die möglichen Indizien ein Gesamtbild ergeben oder nicht. Tendenziell lassen Gerichte die Anklage eher mal zu, gerade um sich diesen eigenen Eindruck verschaffen zu können. Am Ende kann also sowohl ein Freispruch als auch eine Verurteilung stehen.
Ist die massive Kritik an der Staatsanwaltschaft wegen der Anklage nun erledigt?
Der Wandel in der öffentlichen Meinung war interessant zu beobachten. Als die Affäre Wulff Ende 2011 "hochkochte", forderten viele vehement die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen gegen Wulff auf, er dürfe nicht geschont werden. Bei Anklageerhebung standen die Staatsanwälte dann aber vielfach als "Buhmänner" da, die maßlos übertrieben haben sollen. Was ist nun richtig? Für den Beginn eines Ermittlungsverfahrens reicht ein "Anfangsverdacht". Zumindest "Ungereimtheiten" gab es damals bei mehreren Reisen Wulffs. Auch dass die Ermittlungen sehr intensiv geführt wurden, ist grundsätzlich nachvollziehbar. Es prallen unterschiedliche rechtliche Bewertungen aufeinander, und die Beweislage ist schwierig. Nun hat mit dem Landgericht zumindest eine zweite Justizbehörde nach Aktenlage den "hinreichenden Tatverdacht" bezüglich eines Delikts bejaht. Letzte Aufklärung kann nur der Prozess bringen.
Geht es bei rund 700 Euro nicht um eine Lappalie?
Der niedrige Betrag wird häufig als Argument für die vermeintliche Absurdität des Verfahrens gegen Wulff angeführt. Für die Grundfrage, ob das Verhalten strafbar war oder nicht, spielt die Höhe des Betrags erst einmal keine Rolle. Und nur weil es am Anfang eine Reihe weiterer Vorwürfe gab, muss nicht allein deswegen der verbliebene Vorwurf absurd sein. Sieht die Justiz einen Verdacht oder ist später von der Schuld überzeugt, kann sie die Höhe der Summe zum Beispiel bei der Strafhöhe berücksichtigen oder eine Einstellung gegen Geldauflage anbieten.
Was ist und bleibt der rechtliche Hauptstreitpunkt?
In vielen Berichten hieß es, die Beweislage gegen Wulff und Groenewold sei sehr dünn. Vor allem die Situation beim Bezahlen der Hotelrechnung in München scheint schwer aufklärbar zu sein. Dass Groenewold Zahlungen für Wulff übernommen hat, also die objektive Seite, ist unstrittig. Der Streit zwischen Staatsanwaltschaft und Verteidigung dreht sich um die subjektive Seite. Gab es eine "Unrechtsvereinbarung" zwischen Wulff und Groenewold, und wusste Wulff von den Zahlungen? Auch solche subjektiven Dinge müssen vor Gericht bewiesen werden. Da kein Richter oder Staatsanwalt in den Kopf der Angeklagten schauen kann, wird die subjektive Seite regelmäßig anhand von Indizien hergeleitet. Das sind am Ende schwierige Wertungsfragen.
Was bedeutete das Angebot, das Verfahren gegen Geldauflage einzustellen?
Das Gesetz ermöglicht noch eine Art Mittelweg: die Einstellung der Verfahrens gegen Zahlung einer Geldauflage nach § 153a Strafprozessordnung (der Begriff "Geldbuße" ist hier übrigens nicht korrekt). Diesen Vorschlag hatte die Staatsanwaltschaft vor Erhebung der Anklage gemacht, aber Wulff hatte abgelehnt. Voraussetzung für eine solche Einstellung ist unter anderem, dass der Beschuldigte sowie das zuständige Gericht zustimmen, und dass "die Schwere der Schuld nicht entgegensteht". Aus Sicht von Staatsanwaltschaft oder Gericht muss ein "hinreichender Tatverdacht" bestehen. Eine Einstellung nach § 153a Strafprozessordnung ist also kein "Freispruch" im klassischen Sinne. Andererseits hat kein Gericht den Beschuldigten rechtskräftig verurteilt. Deshalb gilt er nach der Einstellung, wie im gesamten Verfahren, weiter als unschuldig. Auch wenn die Anklage erhoben ist, kann das Gericht eine solche Einstellung anbieten. Staatsanwaltschaft und Angeklagte müssten einverstanden sein. Sie ist auch während des ganzen Verfahrens weiter als Option auf dem Tisch. Wulff scheint diese Variante aber nicht wählen zu wollen.
Kommen Einstellungen gegen Geldauflage häufig vor?
Ja, sie gehören zum Justizalltag in Deutschland. § 153a wurde 1974 geschaffen; ursprünglich, um kleinere Fälle ohne den großen Aufwand eines Prozesses zu erledigen. Inzwischen kommen immer wieder auch Prominente auf diese Weise um einen Prozess herum, zum Beispiel Helmut Kohl, Josef Ackermann oder Karl-Theodor zu Guttenberg. Häufig gibt es dann Kritik an der vermeintlichen Möglichkeit, sich "freizukaufen". Andererseits sind auch die Beschuldigten oft in einer schwierigen Situation. Bevor sie einen langen Prozess riskieren, zahlen viele lieber, auch wenn sie damit zumindest auf die Möglichkeit eines "richtigen" Freispruchs verzichten
Was ist der Unterschied zum "Deal", über den kürzlich das Bundesverfassungsgericht entschieden hat?
Im Fall Wulff wird häufig von einem "Deal" gesprochen. Umgangssprachlich kann man das so nennen. Im Strafrecht bezeichnet man mit "Deal" aber üblicherweise eine Absprache in einem laufenden Strafprozess vor Gericht. Das Prinzip lautet: Geständnis gegen mildere Strafe. Am Ende kommt es dann zu einer rechtskräftigen Verurteilung. Karlsruhe hatte die Justiz aufgefordert, die strengen Voraussetzungen zu beachten und solche "Deals" nicht im Hinterzimmer abzuschließen.
Welche Strafe steht auf Vorteilsannahme?
Eine Verurteilung einmal vorausgesetzt: § 331 Strafgesetzbuch sieht Freiheitsstrafen von bis zu drei Jahren oder Geldstrafe vor. Das bloße Zitieren der gesetzlichen Strafen erweckt aber häufig einen falschen Eindruck. Denn selten wird ein Strafrahmen ausgereizt, und bei Freiheitsstrafen kommt ohnehin immer Bewährung in Betracht. Außerdem geht es um einen eher geringen Betrag. Deshalb erscheint eine Geldstrafe als wahrscheinlich. Bei Fragen der Strafzumessung ist im Vorfeld aber stets größte Vorsicht angebracht. Ein Urteil des Landgerichts Hannover würde wohl ohnehin vom Bundesgerichtshof auf Rechtsfehler überprüft werden.