Der Bundestag am 13. Mai 2020
Hintergrund

Bundestag zu Corona-Krise "Pandemie-Gesetz" - was sich ändert

Stand: 14.05.2020 02:30 Uhr

Mehr Tests, erweiterte Meldepflichten und ein Pflege-Bonus: Der Bundestag hat zudem ein zweites Maßnahmenpaket zur Bekämpfung der Pandemie beschlossen. Doch Kritikern reicht das nicht.

Von Sandra Stalinski, ARD-aktuell

"Zweites Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite" lautet der komplizierte Titel des neuen Gesetzes. Von Medien wird es kurz als "neues Infektionsschutzgesetz", "Pandemie-" oder "Epidemie-Schutz-Gesetz" bezeichnet. Darin vorgesehen sind Änderungen an unterschiedlichen bestehenden Gesetzen und Verordnungen, die zur besseren Bekämpfung der Pandemie beitragen sollen.

Corona-Tests jetzt auch präventiv

Von Kritikern als "überfällig" bezeichnet wird die künftige Kostenübernahme von präventiven Corona-Tests: Das Bundesgesundheitsministerium kann die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) per Verordnung verpflichten, Tests auf das Coronavirus grundsätzlich zu bezahlen - zum Beispiel auch dann, wenn jemand keine Symptome zeigt. Zudem soll künftig im Umfeld besonders gefährdeter Menschen - etwa in Pflegeheimen oder Krankenhäusern - verstärkt auf das Virus getestet werden.

Die Einzelheiten, beispielsweise wann solche Reihentests durchgeführt werden sollen, wird eine Verordnung festlegen, an der das Ministerium bereits arbeitet. Sie soll möglichst zeitnah zum Inkrafttreten des Gesetzes vorliegen.

Der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach begrüßt diesen Vorstoß als "richtig und dringend notwendig". Kritisch bewertet er, dass er so spät komme, denn "eigentlich bräuchte man diese Tests schon jetzt", sagt Lauterbach im Gespräch mit tagesschau.de.

Bonus für Pflegekräfte

Die Kassen zahlen den Beschäftigten in der Pflege wegen der Corona-Belastungen eine Prämie von bis zu 1000 Euro. Die volle Prämie erhalten Beschäftigte, die hauptsächlich in der direkten Pflege und Betreuung arbeiten. Wer dafür mindestens ein Viertel seiner Arbeitszeit aufwendet, bekommt 676 Euro. Die Kassen bekommen dafür einen Zuschuss vom Bund.

Die Gesamtkosten für die Prämie von bis zu 1000 Euro beziffert Spahn auf eine Milliarde Euro. Die Länder und die Arbeitgeber in der Pflege können die steuerfreie Corona-Prämie um bis zu 500 Euro aufstocken. Spahn verwies darauf, dass einige Bundesländer bereits eine Beteiligung angekündigt hätten. Auch die Arbeitgeber sollten ihren Beitrag leisten. Dagegen wehren sich die gemeinnützigen Träger allerdings.

Kritiker wünschen sich hingegen eine dauerhafte Erhöhung der der Gehälter für Pflegekräfte. Die Grünen-Fraktion beispielsweise fordert, dass "die vorgesehenen Prämien auch auf andere Berufsgruppen in Gesundheitseinrichtungen ausgeweitet werden, die ein erhöhtes Risiko tragen". Zudem der "kaputtgesparte öffentliche Gesundheitsdienst braucht unbedingt eine langfristige Stärkung", schreibt die Erste Parlamentarische Geschäftsführerin Britta Haßelmann auf Anfrage.

Meldepflicht erweitert

Die Labore müssen den Gesundheitsämtern künftig auch negative Testergebnisse melden. Zudem müssen Gesundheitsämter es fortan mitteilen, wenn jemand als geheilt gilt.

Teil des Meldewesens ist künftig auch die Information, wo sich jemand wahrscheinlich angesteckt hat. Die Daten werden pseudonymisiert an das Robert Koch-Institut übermittelt. So will sich die Regierung einen besseren Überblick über die Entwicklung der Pandemie verschaffen.

Geld für Gesundheitsämter

Die Regierung will ein "Update" für die 375 Gesundheitsämter und unterstützt sie daher mit 50 Millionen Euro. Das Geld ist für Investitionen insbesondere in die Digitalisierung der Behörden gedacht. In der jüngsten Vergangenheit war immer wieder kritisiert worden, dass die Behörden ihre Infiziertenzahlen teilweise noch per Fax übermitteln. Zudem wird beim Robert Koch-Institut dauerhaft eine Kontaktstelle für den Öffentlichen Gesundheitsdienst eingerichtet.

Doch wenn man das auf die einzelnen Landkreise herunterrechnet, ergebe sich gerade mal eine Summe von 80.000 bis 100.000 Euro pro Landkreis mit 100.000 Einwohnern, sagt Lauterbach. Das sei eigentlich zu wenig für die Infrastruktur der Gesundheitsämter. Andererseits sei das auch Aufgabe der Länder.

Mehr Vorräte für Grippeimpfung

Die Regierung will erreichen, dass mehr Menschen gegen die Grippe geimpft werden, damit das Gesundheitswesen nicht zusätzlich durch eine neuerliche Grippewelle belastet wird. Bisher übernehmen die Krankenkassen nur die Kosten für eine begrenzte Menge an Grippeimpfstoff-Vorräten. Künftig sollen Ärzte mehr Grippeimpfstoff bestellen können, ohne Regressforderungen der Krankenkassen befürchten zu müssen.

Fristverlängerung für Arbeitnehmer

Wenn jemand wegen einer Quarantäneanordnung Anspruch auf Erstattung seines Verdienstausfalls hat, kann er dies künftig zwölf statt drei Monate lang beantragen. Dadurch werden Betroffene und Verwaltung entlastet.

Erleichterungen bei Privatversicherten

Privat Krankenversicherte, die vorübergehend hilfebedürftig werden und in den Basistarif wechseln, können ohne erneute Gesundheitsprüfung in ihren Ursprungstarif zurückwechseln.

Immunitäts-Pass vorerst vom Tisch

In dem Ende April vom Kabinett gebilligten Gesetzentwurf war noch vorgesehen, all jenen einen Immunitäts-Pass auszustellen, die ihre Corona-Krankheit hinter sich haben. Voraussetzung dafür sollte allerdings sein, dass die Immunität nach erfolgter Ansteckung auch wissenschaftlich bewiesen ist - was bislang noch nicht der Fall ist.

Kritiker bemängelten, ein solches Dokument könne eine falsche Sicherheit erzeugen. Eine andere Befürchtung war, dass Menschen eine Ansteckung provozieren könnten, um Immunität zu erlangen - was für sie und ihre Umgebung gefährlich sein könnte. Deshalb wurde das Vorhaben aus dem aktuellen Gesetzentwurf gestrichen.

Gesundheitsminister Jens Spahn hat die Idee eines solchen Immunitätsnachweises allerdings dem Deutschen Ethikrat zur Beratung übergeben. Bis zu dessen Stellungnahme soll es keine gesetzlichen Regelungen zu dieser Frage geben, so Spahn. Das sei in der Koalition so vereinbart worden.

Was sagen die anderen Parteien dazu?

Die FDP-Fraktion hat bereits angekündigt, dem Gesetzentwurf wegen verfassungs- und datenschutzrechtlicher Bedenken nicht zuzustimmen. "Die Beteiligungs- und Kontrollrechte des Parlaments bleiben auf der Strecke", sagt die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus im Gespräch mit tagesschau.de.

Denn der Inhalt der Verordnungen, zu denen dieses Gesetz den Gesundheitsminister ermächtige, stünden im Detail noch gar nicht fest. Spahn könne beispielsweise die Einzelheiten zur Kostenübernahme bei den Tests regeln, ohne dass der Bundesrat dem noch einmal zustimmen müsse. "Das wäre wie ein Blankoscheck, bei dem wir unserer staatsrechtlichen Verantwortung nicht gerecht würden", sagt Aschenberg-Dugnus.

Ähnlich sehen das die Grünen und auch die Kritik der Linkspartei geht in diese Richtung: "Der Gesetzentwurf der Bundesregierung enthält zahlreiche vage formulierte Ermächtigungen für den Bundesgesundheitsminister, die deutlich über die Corona-Bekämpfung hinausgehen", sagt Linksparteichefin Katja Kipping gegenüber tagesschau.de. Diesen Ermächtigungsvorstößen von Spahn muss ein Riegel vorgeschoben werden."

Die Finanzierung wichtiger Maßnahmen wie der Corona-Test und der Prämien für Pflegekräfte gehe zudem nach dem Willen der Bundesregierung voll zu Lasten der Krankenkassen. "Wenn da nicht nachgebessert wird, wird das dramatische Erhöhungen der Zusatzbeiträge zur Folge haben", so Kipping.

Auch die AfD lehnt das Gesetz ab, übt Kritik an seiner Grundannahme und plädiert - vor dem Hintergrund der Infektionszahlen und der Stabilität des Gesundheitssystems - dafür vollständig aus dem 'Lockdown' auszusteigen. Stattdessen werde "die Wirtschaft und Gesellschaft erst mit unnötigen Schutzmaßnahmen geschädigt, um dann mit Steuermitteln, umständlicher und überstürzter Flexibilisierung beziehungsweise Umgestaltung von Prüfungsordnungen oder Entschädigungsregelungen als Retter in der Not aufzutreten", schreibt die AfD-Bundestagsfraktion auf Anfrage.

Wann treten die Änderungen in Kraft?

Nach dem Beschluss des Bundestages wird aller Wahrscheinlichkeit nach auch der Bundesrat das Gesetz schon am Freitag billigen. Bis zum Inkrafttreten der Änderungen soll dann nicht viel Zeit verstreichen, heißt es aus dem Bundesgesundheitsministerium. Eine konkreter Zeitrahmen wurde nicht genannt.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 14. Mai 2020 um 09:00 Uhr.