Angriff auf Kreml-nahe Journalisten Russischer Dissident in Berlin angeklagt
Ein russischer Oppositioneller wird verdächtigt, einen Anschlag auf ein Haus in Berlin geplant zu haben, in dem Mitarbeitende einer Kreml-nahen Nachrichtenagentur leben sollen. Die Generalstaatsanwaltschaft Berlin erhebt nun Anklage.
Am 6. Mai 2022, wenige Wochen nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, wurde die Polizei in ein Wohn- und Bürogebäude in der Lepsiusstraße in Berlin-Steglitz gerufen. Eine Bewohnerin berichtete den Beamten von einem Flaschenwurf auf das Haus. Die Polizei stellte eine zerstörte Fensterscheibe fest. Bei der Begehung des Grundstücks fanden die Polizisten in einem Lichtschacht einen selbstgebauten Brandsatz.
Die "unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtung", kurz USBV, wurde von der Berliner Polizei entschärft. Ein Jahr lang ermittelte das Landeskriminalamt im Auftrag der Berliner Generalstaatsanwaltschaft. Zwar war niemand zu Schaden gekommen, dennoch war von Anfang an klar, dass die Ermittlungen politisch höchst sensibel waren: Das Haus nutzen Mitarbeitende der staatlichen russischen Nachrichtenagentur RIA Novosti, es gehört dem russischen Staat. Jetzt wird gegen einen Beschuldigten Anklage erhoben.
Scharfe Kritik an Putin
Im Zuge der Ermittlungen geriet nach Informationen von ARD-Hauptstadtstudio, SWR, rbb und tagesschau.de ein Mann in den Fokus, der nach Überzeugung der Ermittler für die Tat verantwortlich sein soll: Dimitrij B., ein russischer Staatsangehöriger, der seit den 1990er-Jahren in Deutschland lebt.
Er sitzt seit einem halben Jahr in Untersuchungshaft. B. ist kein unbeschriebenes Blatt: Er gilt als russischer Oppositioneller, der in der Vergangenheit immer wieder öffentlich den Kreml und namentlich Präsident Wladimir Putin scharf kritisierte. B. gründete mit anderen russischen Oppositionellen in Deutschland einen Verein namens UnKremlin e.V., dessen Vorsitzender er ist.
Er organisierte Protestveranstaltungen gegen Putin und Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine vor dem Kanzleramt und der russischen Botschaft in Berlin. Vor dem Krieg hatte er mit einer Kundgebung gegen die Inhaftierung des russischen Regimekritikers Alexej Nawalny protestiert.
Anklage wegen versuchten Tötungsdelikts
B. wird nun nach Informationen von ARD-Hauptstadtstudio, SWR, rbb und tagesschau.de als Tatverdächtiger von der Berliner Generalstaatsanwaltschaft wegen eines versuchten Tötungsdelikts angeklagt. Die Anklage stützt sich auf eine Kette von Indizien: So soll B.s Handy wie auch die SIM-Karte seines Autos mittels einer Funkzellenauswertung mehrfach in der Nähe des Tatorts festgestellt worden sein. Allerdings ist unklar, wie lange die Sprengvorrichtung in dem Haus lag, bevor sie entdeckt wurde - möglicherweise wochenlang.
Die Ermittler gehen davon aus, dass sie im April dort platziert wurde und meinen auch zu wissen, in welcher Nacht. An der Sprengvorrichtung sollen DNA-Spuren von B. nachgewiesen worden sein. Material, das zum Bau des Sprengsatzes verwendet wurde, sollen die Ermittler bei einer Durchsuchung in B.s Wohnung sichergestellt haben.
Opfer einer Geheimdienstoperation?
B. bestreitet die Vorwürfe. Sein Anwalt bestätigte ARD-Hauptstadtstudio, SWR, rbb und tagesschau.de, das Handy und das Auto gehörten seinem Mandanten. Er habe sie aber regelmäßig Flüchtlingen aus der Ukraine bereitgestellt, die er in seiner Wohnung habe übernachten lassen. Unter ihnen habe sich offenbar ein Provokateur befunden, der ihm die Tat in die Schuhe schieben wollte. B. sehe sich als Opfer einer russischen Geheimdienstoperation.
Konkrete Hinweise darauf konnten im Zuge der Ermittlungen jedoch nicht festgestellt werden. Unklar ist, warum der Sprengsatz nicht zündete. Die USBV wurde bei der Entschärfung mit Wasser beschossen und beschädigt. Die Ermittler sind jedoch überzeugt, dass es sich nicht um eine Attrappe handelte.
Strenge Geheimhaltung
Die Ermittlungen wurden aufgrund des sensiblen politischen Hintergrunds unter strenger Geheimhaltung geführt. Dem Vernehmen nach befürchten die Ermittler, dass B. Ziel von Racheakten werden könnte.
Seitdem 2019 ein tschetschenisch-stämmiger Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin von einem Killer im Auftrag des russischen Staates erschossen wurde, halten die Sicherheitsbehörden von Moskau angeordnete gezielte Tötungen durchaus für denkbar.
"Die Anklageerhebung zeigt: Hier in Berlin, der Bundeshauptstadt, reagieren wir auf Entwicklungen, die der Angriffskrieg auf die Ukraine mit sich bringt, auf allen Feldern, auch im Bereich der Strafverfolgung", erklärte die Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg auf Anfrage. "Wie im Fall des Mordes im Kleinen Tiergarten ist engagierte und professionelle Ermittlungsarbeit der Schlüssel dazu, Taten aufzuklären, zu verfolgen und Menschen von der Begehung gleichartiger Taten abzuschrecken."