Eine Teilnehmerin einer Protestkundgebung der Initiative "Querdenker" trägt auf dem Cannstatter Wasen ein Schild gegen Impfungen auf ihrem Rücken.

Proteste gegen Corona-Maßnahmen Einfache Erklärungen, klare Feindbilder

Stand: 11.05.2020 12:55 Uhr

Bei den Protesten gegen die Corona-Maßnahmen in Deutschland kommen sehr unterschiedliche politische Milieus zusammen. Viele Redner bieten dabei einfache Erklärungsmuster und klare Feindbilder.

Von Patrick Gensing, ARD-aktuell

Die größte Demonstration hat am Wochenende erneut in Stuttgart stattgefunden. Eine SWR-Reporterin berichtete, es habe politisch eine breite Mischung gegeben. Sie sei aber erstaunt gewesen, wie viele Teilnehmer offenkundig an Verschwörungstheorien glauben. So sei immer wieder die Rede gewesen von Legenden, wonach Bill Gates die Weltpolitik lenkt, um Impfstoffe zu verkaufen.

Vergleiche zur NS-Zeit

Obwohl die Politik viele Maßnahmen gegen die Pandemie wieder aufhebt, war auf Plakaten von einer "Corona-Diktatur" zu lesen, ein Redner brachte die derzeitigen Einschränkungen mit der Machtergreifung Adolf Hitlers in Verbindung. Der ehemalige rbb-Moderator Ken Jebsen, der seit Jahren Verschwörungslegenden verbreitet, erhielt tosenden Applaus für seinen Auftritt. Er sprach von einem "Merkel-Regime" und von Ärzten, die "damals wie heute" definierten, wer gesund sei und "Rassegesetze", beschlossen hätten.

Jebsen verglich auch die aktuelle Berichterstattung mit den Methoden von "damals". Ohnehin gebe es seit 1949 keine echte Demokratie, sondern lediglich eine Simulation, sagte Jebsen.

"Widerstand!"

Bei einer Kundgebung in Berlin herrschte teilweise aggressive Stimmung. "Widerstand" und "Wir sind das Volk!" skandierten Teilnehmer - und trieben Polizisten vor sich her. Mehrere Personen wurden festgenommen. Mindestens ein Mann trug eine Armbinde mit dem "Judenstern", mit dem die Nationalsozialisten einst jüdische Mitbürger stigmatisierten. Auch im Netz nutzen User solche Motive als Profilbild. Mit Vergleichen als "Juden von heute" wollen sich verschiedene politische Milieus als vermeintlich verfolgte Dissidenten inszenieren - verharmlosen damit aber den NS-Terror.

Augenzeugen berichten aus Berlin von einer Mischung aus Rechtsextremen, Esoterikern und älteren Linksradikalen, aber auch Bürgerinnen und Bürger, die sich keinem Milieu zuordnen ließen. Der Reporter Lutz Jäkel beobachtete teilweise "blinden Hass", der ihn fassungslos gemacht habe. Es zeige sich "ein großes Problem, das den Sicherheitsbehörden zunehmend Sorge bereitet und das auch auf den Fotos zu sehen ist: Dass Links- und Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen sich die Unsicherheit zunutze machen, die offenbar viele Bürgerinnen und Bürger durch die globale Corona-Pandemie verspüren, oftmals einhergehend mit dem Gefühl des Kontrollverlusts. Damit werden auch normale Bürger angesprochen, viele lassen sich da unreflektiert hineinziehen."

In Dortmund versammelten sich unangemeldet rund 150 Menschen, unter ihnen eine Gruppe Rechtsextremer. Einer von ihnen griff ein Kamerateam des WDR an. Zuvor hatte er der Polizei zufolge einen Medienvertreter beleidigt. Auch unter anderem in Düsseldorf und Hamburg nahmen Neonazis an Kundgebungen teil, wie Fotos zeigen.

Von der Reichsbürger- bis zur Regenbogenflagge

Die Politik will derweil die Proteste einerseits als selbstverständlich demokratisch legitim ernst nehmen, viele warnen aber auch vor einer Instrumentalisierung durch Fanatiker. Das breite Spektrum macht es allerdings schwierig, klare politische Botschaften aufzunehmen.

Schon die Symbole und Parolen auf den Demonstrationen dokumentieren die gesamte Bandbreite: von Flaggen aus der "Reichsbürger"-Bewegung über Deutschland- bis zu Regenbogen-Fahnen mit der Aufschrift "Frieden" ist alles dabei. Auf Schildern ist von einer "Neuen Weltordnung" die Rede, andere Demonstranten hielten das Grundgesetz in die Höhe. Während einige offenbar getrieben sind aus echter Sorge um die Grundrechte in Deutschland, versuchen politische Fanatiker und professionelle Vermarkter von Verschwörungsmythen neue Anhänger zu gewinnen.

Klare Feindbilder, widersprüchliche Legenden

Trotz der Unterschiede zeichnet sich aber eine Gemeinsamkeit ab: Einfache Erklärungsmuster, die ein klares Feindbild liefern, dominieren viele Reden und Äußerungen auf den Demonstrationen. Die Komplexität der Pandemie wird größtenteils ignoriert, Sündenböcke sollen für die derzeitige weltweite Krise verantwortlich sein. Einzelne Zahlen sollen beweisen, dass die Maßnahmen gegen Corona sinnlos seien.

Allerdings sind die Behauptungen zu Corona sehr widersprüchlich: So heißt es einerseits oft, das Virus sei in Laboren als biologische Waffe gezüchtet worden, um die Menschheit zu knechten; andererseits ist von einem Corona-Schwindel die Rede, demzufolge Covid-19 nicht gefährlicher sei als die Grippe.

Irrationale Erklärungsmuster

Es handelt sich also oft um irrationale Erklärungsmuster. Sie bieten die Basis für Verschwörungslegenden, die stets nach einem Schema funktionieren: Eine kleine Elite betreibe geheime Machenschaften, belüge mit Hilfe der Medien das Volk, um alle Menschen zu kontrollieren oder sogar auszurotten, wie es in besonders radikalen Legenden von Rechtsextremen heißt.

Wer erst einmal dieses Erklärungsmuster akzeptiert hat, radikalisiert sich bisweilen schnell, wie das Beispiel des Kochbuch-Autoren Attila Hildmann zeigt, der mittlerweile vor "Reichsbürgern" auftritt und behauptet, die Weltbevölkerung solle auf 500 Millionen Menschen dezimiert werden. Hintergrund ist, dass es in den USA eine entsprechende Inschrift auf einem Monument gebe. Warum die angeblichen Strippenzieher solcher weltweiten Verschwörungen ihre Pläne allerdings vorab veröffentlichen sollten, bleibt unklar.

Solche Legenden kursieren seit Jahrhunderten - zumeist wurden Juden als vermeintliche Strippenzieher beschuldigt. Das Beispiel Hildmann zeigt zudem, wie gefährlich solche Denkmuster sind: Der Kochbuch-Autor wähnt sich offenkundig in einer Art Bürgerkrieg und spricht von einer "Neuen Weltordnung", gegen die man mit Waffen kämpfen müsse. Dies erinnert an die Ausführungen von Attentätern, die ihre Anschläge mit Verschwörungslegenden begründeten.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 09. Mai 2020 um 20:00 Uhr.