Gerichtsprozess gegen Russen In eine Falle gelockt?
In Berlin hat der Prozess gegen einen Russen begonnen, dem die Staatsanwaltschaft einen Anschlagsversuch auf russische Journalisten vorwirft. Er sieht sich als Opfer einer Geheimdienstoperation.
Der Angeklagte zeigte keine Scheu. Er ließ sich filmen und fotografieren, bestand auch nicht darauf, dass sein Gesicht bei Veröffentlichung unkenntlich gemacht wird. Die anwesenden russischen Journalisten machten davon ausführlich Gebrauch, bevor der Gerichtsprozess gegen den Russen Dmitry B. mit der Verlesung der Anklage begann.
Einer von vier Anklagepunkten gegen den 55-Jährigen im Gerichtsprozess vor der 22. Strafkammer des Berliner Landgerichts: der Versuch, "mit gemeingefährlichen Mitteln einen Menschen zu töten".
Dazu habe er allein oder mit andern eine "unkonventionelle Spreng-/Brandvorrichting" (USBV) gebaut und in einem Kellerschacht eines Mehrfamilienhauses in Berlin-Steglitz platziert, führte Oberstaatsanwalt Klaus-Michael Wachs aus. Dabei soll es sich um einen Kanister mit einem Gemisch aus Altöl und Kraftstoff, verbunden mit einer Zündvorrichtung und einer Gaskartusche gehandelt haben.
Diese USBV explodierte jedoch nicht. Sie wurde am späten Nachmittag des 6. Mai 2022 entdeckt. An diesem Tag riefen die Nutzer des Hauses, das dem russischen Staat gehört, die Polizei. Anlass war ein Flaschenwurf auf ein Fenster.
Die russische Botschaft hatte danach von einem "möglichen Terroranschlag gegen russische Journalisten und ihre Familienangehörigen" gesprochen. Der Flaschenwurf findet in der Anklage jedoch keine Erwähnung.
Berichterstatter im eigenen Fall
Die Journalisten, die in dem Haus gelebt und gearbeitet haben sollen und demnach Ziel des angeblichen Anschlagversuchs waren, treten nicht als Nebenkläger auf. Zu erwarten ist, dass eine oder mehrere als Zeugen vorgeladen werden. Ansonsten betätigen sie sich als Berichterstatter in ihrem Fall, so auch zum gut besuchten Prozessauftakt in Saal 700 des Kriminalgerichts in Berlin-Moabit.
Dmitry B.s Verteidiger Elvis Jochmann verwies auf die Berichterstattung der Kreml-nahen Medien, als er nach Ende des Verhandlungstages auf Nachfragen deutscher Journalisten zu seinem Mandanten antwortete. Dmitry B., der als Berufe Journalist und Ingenieur angab, sei mit seinen Aktionen in Berlin offensichtlich unbequem gewesen.
Anfeindungen russischer Medien
Der Angeklagte hatte unter anderem 2021 zu den Organisatoren eines mehrwöchigen Protestcamps am Brandenburger Tor gehört. Auf 21 Plakaten zeigten sie Gegner Wladimir Putins, die ermordet, vergiftet oder eingesperrt wurden.
Unter ihnen waren die 2006 erschossene Journalistin Anna Politkowskaja, der Oppositionelle Wladimir Kara-Mursa, aber auch der tschetschenisch-stämmige Georgier Selimchan Changoschwili - vor vier Jahren von einem Russen erschossen, der just auf jener Anklagebank in Saal 700 des Kriminalgerichts zu lebenslanger Haft verurteilt worden war.
So wie das Urteil im "Tiergartenmord" von Seiten des russischen Staates als "politisch motiviert" angegriffen wurde, erlebten auch Dmitry B. und seine Mitstreiter für ihre Aktionen Anfeindungen russischer Medien.
Besonders angespannt war die Lage in Berlin um jene Zeit, als die Sprengvorrichtung am Haus der Journalisten gefunden wurde. Es war kurz vor dem Tag der Befreiung und dem Tag des Sieges am 9. Mai 2022, an denen zahlreiche Gedenkveranstaltungen stattfinden sollten, dies im Lichte des russischen Angriffs auf die Ukraine kaum drei Monate zuvor.
Wenige Tage zuvor hatte das russische Staatsmedium RT Deutsch einen Artikel veröffentlicht, in dem über angebliche Angriffspläne von Ukrainern auf russische Staatsbürger in Deutschland berichtet wurde. Der Bundesverfassungsschutz warnte vor den Gedenktagen vor russischen Aktionen unter "Falscher Flagge".
Opfer einer Geheimdienstoperation?
B. bestreitet die Vorwürfe. Er sehe sich als Opfer einer russischen Geheimdienstoperation, hatte Piet Mumm, sein zweiter Verteidiger, tagesschau.de mitgeteilt. Auch Jochmann deutete nach dem ersten Verhandlungstag an, dass die Verteidigung in den bislang bis Dezember festgelegten Terminen in diese Richtung gegen die Anklage argumentieren könnte.
Für den nächsten Verhandlungstag am 13. September kündigte Jochmann eine Erklärung an. Sein Mandant selbst werde sich zunächst nicht einlassen. Angeklagt ist er in drei weiteren Punkten, die nichts mit dem Vorfall in Berlin-Steglitz zu tun haben. Es geht um eine mutmaßliche Erschleichung von Corona-Hilfen sowie das Anzapfen der Strom- und Gasleitungen in dem Mehrfamilienhaus, das er bewohnte.
In Isolation
B. sitzt seit dem 14. Dezember in Untersuchungshaft. Er sei praktisch in Isolation ohne Kontakt zu anderen Personen untergebracht, sagte Jochmann. Es gehe seinem Mandanten sehr schlecht, auch aufgrund von Anfeindungen anderer Gefangener.
Beim Gerichtstermin machte B. mit einem Dreitagebart einen erschöpften Eindruck, kurz winkte er jemandem im Publikum zu. Eines machte er zum Auftakt auch ohne Worte klar: Er will sich nicht verstecken, auch nicht vor den russischen Medien.