Clan-Kämpfe in Deutschland Eskalation mit Ansage
Schlägereien und Stichwaffen-Angriffe - nach Kontraste-Recherchen sind Rivalitäten zwischen syrischen und türkisch-libanesischen Familienverbünden Grund für diese Kämpfe in NRW. Dabei könnte es auch um kriminelle Netzwerke gehen.
Ein Hochzeitssaal in einem kleinen Duisburger Gewerbegebiet: Vergangenen Donnerstag treffen sich hier Oberhäupter syrischer Großfamilien und Angehörige libanesisch-türkischer Clans. Sie sind aus dem ganzen Bundesgebiet angereist. Die Männer - Frauen sind nicht darunter - treffen sich zu "Friedensverhandlungen".
Vorausgegangen waren Mitte Juni Massenschlägereien und Kämpfe mit Messern und Macheten, zunächst in Castrop-Rauxel, dann in Essen. Bilanz der Auseinandersetzung: mindestens ein Dutzend Verletzte, darunter ein lebensgefährlich verletzter Syrer, der notoperiert werden musste, sowie sieben verletzte Polizeibeamte.
Das ARD-Politikmagazin Kontraste war exklusiv bei dem einberufenen Friedensgipfel vor Ort in Duisburg. Vor der Kamera gaben sich die Beteiligten betont gesetzestreu. "Wir entschuldigen uns bei der deutschen Polizei", sagte etwa Nihat G., der für die libanesische Seite sprach. "Diese Probleme werden hoffentlich nicht wieder vorkommen."
Friedensschluss "nur Show"
G. stand bei den Auseinandersetzungen selbst in vorderster Reihe - das belegen Videoaufnahmen. G. führt auch einen arabischen Namen: Al-Zein. Er gehört zu einer weitverzweigten Großfamilie, die in Deutschland vor allem in Berlin und Nordrhein-Westfalen bekannt ist. Einzelne Angehörige wurden mehrfach wegen schwerer Straftaten verurteilt.
Der Migrationsforscher und Experte für Clan-Kriminalität Ralph Ghadban traut der in Duisburg bekundeten Friedensliebe nicht: "Das Ganze betrachte ich als Show, um die Behörden zu beruhigen. Der Konflikt kann jederzeit wieder ausbrechen."
Auslöser: ein Familienstreit
Was aber steht hinter diesem Konflikt? Konkreter Auslöser war wohl ein Nachbarschaftsstreit. Kontraste ist es gelungen, mit den beteiligten Familien zu sprechen. Die Omars kommen aus Syrien, in Castrop-Rauxel lebten sie bis vor wenigen Tagen im gleichen Haus wie die Familie O. Die wiederum hat türkisch-libanesische Wurzeln.
Ihr Nachname ist in Nordrhein-Westfalen berüchtigt: Im aktuellen Lagebild Clan-Kriminalität der Polizei nimmt er einen Spitzenplatz ein. Keinem anderen Clan-Namen werden so viele Straftäter und Straftaten zugerechnet. Um in der Statistik aufzutauchen, reicht allerdings schon ein "clanrelevanter Familienname" des Straftäters - nach Delikt wird nicht unterschieden. Gegenüber Kontraste sagt Familie O., sie habe mit kriminellen Clans nichts zu tun, will sich weiter aber nicht äußern.
Nach Darstellung der syrischen Familie sind zunächst Kinder aneinandergeraten, dann sei der Streit eskaliert. "Es sind 13 Männer gekommen, sie haben direkt auf meinen Vater eingeschlagen, richtig hart auf den Kopf", sagt eine Tochter der syrischen Familie Omar. Wir treffen sie an einem Ort, der geheim bleiben muss, aus Angst hat die Familie Castrop-Rauxel verlassen. Ihr Vater verliert bei der Prügelei einen Zahn, auch die Tochter wird verletzt: Videos, die unmittelbar nach der Tat aufgenommen werden, zeigen sie mit einer großen Platzwunde über der Stirn.
Es sind diese Bilder, die sich im Internet verbreiten, und bis in den Nahen Osten Wirkung entfalten. Auf Tiktok ruft ein Mann im Gewand eines Scheichs zur Selbstjustiz auf: "Allah sagt im Koran: Greift diejenigen, die euch angreifen, genauso stark an, wie sie euch angegriffen haben."
Der Mann gehört offenbar zum Stamm Al-Busarayah - genau wie die Familie Omar. Ursprünglich kommt er aus dem nomadisch geprägten Nordosten Syriens. Die Flucht vor dem syrischen Bürgerkrieg aber hat viele Angehörige nach Deutschland gebracht - und mit ihnen ein Stammesdenken: "Nachdem sie in Deutschland angekommen sind, haben einige Syrer aus dem Nordosten angefangen, parallele Strukturen zum deutschen Staat aufzubauen. Alle Streitigkeiten sollten intern gelöst werden." Das sagt ein syrisch-stämmiger Analyst zu Kontraste, der für verschiedene Bundesbehörden tätig ist, und anonym bleiben möchte.
Verwicklung in Drogenhandel und Geldwäsche
Seinen Angaben zufolge gibt es Hinweise, dass einige Al-Busarayah-Angehörige in Drogenhandel und Geldwäsche involviert sind. Eine bedeutende Einnahmequelle soll für diese der Menschenschmuggel nach Europa sein. In Videos im Netz werden diese Dienste ganz offen angeboten.
Mit dem Vordringen der Syrer gerieten die bislang dominierenden kriminellen Strukturen unter Druck, sagt Ralf Ghadban: "Die libanesischen Clans haben Jahrzehnte gebraucht, um ihr Netzwerk aufzubauen. Die Syrer haben von diesen Erfahrungen profitiert und sind sofort eingestiegen. Sie verdrängen die Libanesen im Bereich Drogen und Schlepperdienste."
"Es geht um Millionen"
Diese Rivalität sei auch der eigentliche Grund, warum ein Nachbarschaftsstreit derartig eskalieren konnte. Angereiste Syrer gingen in Castrop-Rauxel unter Al-Busarayah-Rufen auf mutmaßliche Mitglieder türkisch-libanesischer Clans los. Die stürmten daraufhin zu Dutzenden ein populäres syrisches Restaurant in Essen und verbreiteten Videos davon im Netz - eine Machtdemonstration. "Es geht da im Hintergrund um Millionen", sagt Ghadban.
Hinzu kommt eine weitere, politische Ebene des Konflikts, auf die der Islamwissenschaftler Ahmad A. Omeirate hinweist. Viele der nach Deutschland geflüchteten Syrer stünden in Opposition zum Regime des syrischen Machthabers Baschar al-Assad. "Mit der Hisbollah findet sich im Syrienkrieg aber eine libanesisch-iranische Miliz auf der Seite des Diktators Baschar al Assad wieder."
Eine Feindschaft, die auch nach Ansicht des bereits erwähnten syrisch-stämmigen Analysten aktuell eine Rolle spielt. Seinen Informationen zufolge befanden sich unter den Angreifern in Essen Hisbollah-Unterstützer. Er vermutet, das Assad-Regime wolle gezielt syrische Flüchtlinge in Konflikte verwickeln. "In der deutschen Gesellschaft sollen so Forderungen nach Abschiebungen provoziert werden. Wenn man aber nach Syrien abschieben will, muss man Assad als Verhandlungspartner akzeptieren."
Deutsche Politik ist alarmiert
Eine Gemengelage, die der Politik zunehmend Sorgen bereitet. Der nordrhein-westfälische Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich den Kampf gegen die Clankriminalität auf die Fahnen geschrieben. Gegenüber Kontraste spricht er nun von einer "Herausforderung, dass möglicherweise die Syrer nicht mehr nur Handlanger sein wollen, sondern eigene Strukturen aufbauen".
Auch in Berlin beobachtet man die Entwicklung genau. Bislang haben die Behörden nach Kontraste-Informationen hier aber noch keine Informationen über ausgeprägte kriminelle Strukturen unter Syrern. Die neue Justizsenatorin Felor Badenberg (parteilos) setzt bei der Bekämpfung der Clankriminalität vor allem auf eine umfassendere Abschöpfung illegal erworbener Vermögen.
In den zuständigen Staatsanwaltschaften solle dafür nun das Personal "um ein Vielfaches erhöht" werden, wie sie Kontraste sagte. Mit dem Regierenden Bürgermeister Kai Wegener (CDU) habe sie vereinbart, dass ein Teil der abgeschöpften Gelder direkt wieder in die Justiz fließe. Die Idee dahinter: Kriminell erworbenes Clan-Geld soll zur Bekämpfung von Clankriminalität eingesetzt werden.