Verordnung nicht umgesetzt Kein Ende der Warenvernichtung in Sicht?
Das Kreislaufwirtschaftsgesetz sollte die Vernichtung neuwertiger Ware eigentlich beenden. Kontraste-Recherchen zeigen: Knapp zwei Jahre nach der Ankündigung sind die Rechtsverordnungen noch nicht umgesetzt.
Ein schnelles Ende des Lockdowns ist nicht in Sicht. Einzelhändlern macht das in mehrfacher Hinsicht Sorgen. Nicht nur setzen ihnen die sinkenden Umsätze zu, sie bleiben auch auf ihrer unverkauften Ware sitzen. Nach Schätzungen der Handelsverbände Textil (BTE), Schuhe (BDSE) und Lederwaren (BLE) sind das bis zu 500 Millionen Kleidungsstücke allein aus der Herbst-/Winter-Kollektion. Von diesen Zahlen geht auch das Bundesumweltministerium (BMU) aus.
Hunderte Millionen Kleidungsstücke vernichtet
Einen großen Teil der Ware vermutet das BMU eingelagert an Häfen und Flughäfen, zum Teil sogar in noch nicht gelöschten Containern. Selbst zu "nicht-pandemischen" Zeiten werden einer Marktanalyse von Euromonitor zufolge jährlich 230 Millionen neuwertige Bekleidungsstücke geschreddert. Angesichts der schieren Mengen werden die Sorgen der Einzelhändler somit auch zu einem gesellschaftlichen Problem und zu einer Umweltfrage: Wohin damit?
Zu dem Kleiderberg kommen auch noch Waren aus den zahlreichen (Online-)Retouren hinzu. Laut einer Schätzung der Universität Bamberg waren das im vergangenen Jahr 315 Millionen Pakete, 4,6 Prozent mehr als im Vorjahr (2019: 301 Mio. Retourenpakete) - jedes Paket mit jeweils einem oder mehreren Artikeln.
Wie viele davon 2020 vernichtet wurden, ist bislang nicht erfasst. Um welche Größenordnungen es geht, lässt sich aber schätzen: 2018 wurden nach Angaben der Bamberger Forscher annähernd 20 Millionen Artikel vernichtet. In etwa 40 Prozent der Fälle wäre auch eine Spende zumindest theoretisch möglich gewesen. Aus wirtschaftlichen Gründen habe man sich aber dagegen entschieden - 7,5 Millionen technisch einwandfreie Produkte landeten so auf dem Müll.
Obhutspflicht sollte gesetzlich verankert werden
Damit diese sogenannten "gebrauchsfertigen Güter" nicht einfach vernichtet werden, hatte Bundesumweltministerin Svenja Schulze bereits im Juni 2019 eine Gesetzesänderung angekündigt, um rechtlich gegen die unmittelbare Vernichtung von Retouren oder sonstiger Neuwaren vorgehen zu können. Die SPD-Politikern sagte damals, dass eine "Obhutspflicht" gesetzlich verankert werden solle.
Grünen-Expertin: "Reine Shownummer"
Seit Oktober 2020 ist das neue Kreislaufwirtschaftsgesetz in Kraft, eine entsprechende Rechtsverordnung liegt allerdings noch immer nicht vor.
Bettina Hoffmann, Sprecherin der Grünen für Umweltpolitik im Bundestag, spricht daher von einer "reinen Shownummer" der Ministerin: "Es fehlt bis heute jegliche rechtliche Handhabe, um die Vernichtung von Waren zu stoppen. Die Umweltministerin rühmt sich mit einem Paragraphen, der nicht mehr ist als eine freundliche Erinnerung an die Hersteller, ihrer Produktverantwortung gerecht zu werden."
Vertrauliche "Transparenzdialoge"
In einer Antwort des BMU auf eine Anfrage der Abgeordneten, die dem ARD-Magazin Kontraste exklusiv vorliegt, räumt das Ministerium ein: "Soweit es um erzwingbare Rechtspflichten geht, muss die Obhutspflicht jedoch durch Rechtsverordnungen umgesetzt werden."
Zur Vorbereitung einer solchen Rechtsverordnung sei zunächst die Herstellung von Transparenz bei den Herstellern und Vertreibern notwendig, "damit der konkrete Handlungsbedarf deutlich wird". Zunächst solle deshalb "in einem ersten Schritt" ein Transparenzbericht erstellt werden. Die Eckpunkte für eine entsprechende Transparenzverordnung würden derzeit erarbeitet und dazu Transparenzdialoge mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden geführt.
Für Hoffmann war diese Entwicklung absehbar: "Hätte die Umweltministerin gleich mit dem Gesetz auch einen Verordnungsentwurf vorgelegt, wäre sie damit besser gefahren. Im parlamentarischen Beratungsverfahren wäre dann immer noch Zeit für Verbesserungen gewesen." Ihr dränge sich der Eindruck auf, dass Schulze "in endlosen Gesprächen mit Lobbyverbänden" ihr Ziel aus den Augen verloren habe.
Ministerium: Umsetzung "schwierig abzusehen"
Das Ministerium sieht sich indes auf Kurs. Der vorerst letzte Transparenzdialog habe im Januar stattgefunden. Man warte nun auf Rückmeldung aus den Verbänden. Auf deren Grundlage werde dann ein Transparenzbericht und schließlich ein "Obhutskonzept" erarbeitet.
"Das BMU arbeitet mit Hochdruck an der Verordnung", betont ein Ministeriumssprecher, gibt aber zu bedenken: "Ob die Transparenzverordnung noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden kann, ist derzeit schwierig abzusehen, zumal Bundestag und Bundesrat in ihrer Zeitplanung eigenständig sind."
Ohne eine solche Rechtsverordnung hätte die Bundesregierung "keinerlei rechtliche Handhabe", um eine massenhafte Vernichtung von Waren zu stoppen, die sich wegen der Corona-Krise in den Lagern türmten, sagt Grünen-Politikerin Hoffmann. "Was überhaupt nicht geht, ist vorsorglich die Schuld beim Bundestag und Bundesrat abzuladen. Dass die Legislaturperiode in diesem Sommer endet, sollte auch für die Umweltministerin keine Überraschung sein."
Spenden statt Vernichten
Auch Schulzes Ministerium stellt grundsätzlich fest, dass die Vernichtung gebrauchsfähiger Ware "aus Umweltschutzsicht nicht akzeptabel" sei und verweist auf die Möglichkeit für Unternehmen ihre Waren zu spenden. Tatsächlich sind Sachspenden an gemeinnützige Organisationen "aus Billigkeitsgründen" seit kurzem von der Umsatzsteuer befreit. Die Initiative #SpendenStattVernichten hatte sich zuvor dafür eingesetzt.
Man wolle einen Anreiz setzen, gebrauchsfertige Waren lieber zu spenden als zu vernichten, erklärt dazu die Bundesregierung. Ein Vernichtungsverbot sei jedoch vorerst nicht geplant. Die Regelung gelte bis Ende des Jahres.
Blick nach Frankreich
Dass es auch anders geht, zeigt ein Blick nach Frankreich. Bereits seit Februar 2020 sind dort Händler "neuwertiger Non-Food-Produkte, die zum Verkauf bestimmt sind" verpflichtet, ihre unverkauften Waren "wiederzuverwenden oder zu recyceln, insbesondere durch das Spenden von Gütern des Grundbedarfs".
Ein generelles Retouren-Vernichtungsverbot gibt es auch in Frankreich nicht, das Gesetz bezieht sich nur auf neuwertige Waren. Zudem sind die Strafen mit Beträgen zwischen 3000 und 15.000 Euro verhältnismäßig niedrig. Allerdings können Gesetzesverstöße darüber hinaus auch veröffentlicht werden. Für viele Unternehmen dürfte allein das abschreckende Wirkung haben.