Geldwäsche in Deutschland Schwarze Millionen
70 Millionen Euro in bar und Spuren zur Mafia: Deutsche und italienische Ermittler haben im Raum München ein mutmaßliches Geldwäschenetzwerk aufgedeckt. Das Verfahren "Black Steel" zeigt, wie Kriminelle die fehlende Bargeldobergrenze nutzen.
Es gibt viele Gründe, nach Deutschland zu reisen. Doch bei Kriminellen steht oft ein bestimmter im Fokus: Die Möglichkeit, große Summen Bargeld abzuheben, ohne besonders verdächtig zu wirken. So war es auch bei Maurizio Rullo. Über einen Zeitraum von rund dreieinhalb Jahren ließen sich der italienische Geschäftsmann und seine Komplizen rund 70 Millionen Euro von zwei Banken in München auszahlen. Allein an einem Tag sollen 900.000 Euro abgehoben worden sein.
Ermittler der Staatsanwaltschaft Mailand gehen davon aus, dass das Geld zum Großteil aus illegalen Aktivitäten stammte. Mitte Februar ließen sie Rullo und 13 mutmaßliche Komplizen im Rahmen des Verfahrens "Black Steel" in Italien und in Deutschland verhaften. An den Ermittlungen waren auch die Staatsanwaltschaft Reggio Calabria und die Staatsanwaltschaft München I beteiligt, gemeinsam mit den italienischen Carabinieri und dem Bundeskriminalamt (BKA).
Der Hauptvorwurf: Rullo soll offenbar der Chef einer kriminellen Gruppierung gewesen sein, die mit Eisenschrott handelte. Die Einnahmen soll er über ein komplexes Firmenkonstrukt in Deutschland und Ungarn gewaschen haben. Inzwischen kooperiert Rullo mit der Justiz und bestätigte die Vorwürfe teilweise. Ein Team von report München, MDR, dem ARD-Studio Rom und der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat Rullos Fall rekonstruiert. Er zeigt exemplarisch, wie sich Kriminelle die fehlende Bargeldobergrenze in Deutschland zu Nutze machen.
Auch Europol war an den Ermittlungen im Rahmen des Verfahrens "Black Steel" beteiligt.
Billigen Schrott teuer verkauft
Der 55-jährige Rullo stammt aus der kalabrischen Kleinstadt Locri und ist ein umtriebiger Geschäftsmann. Über die Jahre baute er seine Karriere in zwei Bereichen auf: Immobilien und Handel mit Schrott. Bei letzterem spielten sich offenbar seine kriminellen Aktivitäten ab. So soll sein System funktioniert haben: Der Geschäftsmann kaufte offenbar über Jahre viele Tonnen an Eisenschrott schwarz, unter anderem von Schrottplätzen. Über eine Firma in Mailand verkaufte er den Schrott weiter an Gießereien. Mittels gefälschter Papiere gab er offenbar vor, dass es sich um angeblich ordentlich recyceltes Altmetall handelte. So soll Rullo Eisenschrott billig gekauft und diesen dann teuer als verwertetes Material weiterverkauft haben.
Weil Rullo den Schrott offiziell durch seine Firma auf legalem Wege weiterverkaufte, musste er dessen illegale Herkunft verschleiern. Dafür soll er angeblich ein komplexes Firmenkonstrukt in Deutschland, Ungarn, Kroatien und Bulgarien aufgebaut haben. Ein Schlüsselunternehmen hatte seinen Sitz in München, direkt im Zentrum der Stadt. Ermittler stufen es als reine Scheinfirma ein. Rullos Anwalt erklärte auf Anfrage, dass sein Mandant das Firmennetzwerk nicht allein aufgebaut habe.
Millionen-Überweisungen an Konten in München
Um den Eisenschrott auf dem Schwarzmarkt einzukaufen, brauchte Rullo große Mengen an Bargeld. Doch in Italien gilt eine Bargeldobergrenze von 5000 Euro. Man kann zwar so viel Bargeld abheben, wie man möchte. Da man aber nirgendwo mehr als 5000 Euro in bar legal bezahlen darf, wirken große Abhebungen schnell verdächtig. Hebt jemand mehr als 10.000 Euro in bar ab, ist eine Bank dazu verpflichtet, eine Verdachtsmeldung an die Kontrollbehörden abzugeben.
Um an das viele Bargeld zu kommen, nutzte Rullo daher seine Münchner Firma. Das lief so: Die Firma stellte Scheinrechnungen für den nie stattgefundenen Verkauf des Schrotts aus. Zwischen 2016 und 2021 soll Rullos Mailänder Firma mehr als 80 Millionen Euro auf drei Konten seiner Münchner Firma überwiesen haben. Rullo und seine mutmaßlichen Komplizen sollen von zwei dieser Konten bei verschiedenen Banken in München zwischen 2016 und 2019 rund 70 Millionen Euro Bargeld abgehoben haben.
Spur des Geldes verlor sich
Einer der Beschuldigten erzählte nach Aussagen eines am Verfahren beteiligten Ermittlers, dass die mutmaßliche Gruppierung Deutschland aufgrund der fehlenden Bargeldobergrenze ausgesucht habe. Tatsächlich ließen die Banken nach Informationen von report München, MDR, dem ARD-Studio Rom und der FAZ die Bargeldabhebungen eine ganze Weile laufen, ehe sie eine Geldwäscheverdachtsanzeige abgaben. Was mit dem Bargeld dann geschah, ist unklar. Ermittler konnten offenbar beobachten, wie es etliche Male nach Sterzing in Südtirol gebracht wurde. Dort verliert sich die Spur des Geldes. Rullo soll laut seinem Anwalt Ermittlern gegenüber gesagt haben, dass das Bargeld dem weiteren Kauf von Eisenschrott vom Schwarzmarkt diente.
Die Ermittlungen gegen Rullo in Italien wurden von der Abteilung für Umweltkriminalität der Carabinieri unter dem Decknamen "Black Steel" geführt. Als diese auf Rullos Firma in München aufmerksam wurden, wandten sie sich an die dortige Staatsanwaltschaft - und erfuhren, dass diese mit dem BKA bereits ein eigenes Verfahren gegen Rullo führte.
In München waren die Ermittlungen im Rahmen der Datenauswertung aus dem Steuerleak der "Paradise Papers" in Gang gekommen. Ermittler waren auf zwei verdächtige Firmen auf Malta gestoßen. Einer der Eigentümer hatte auch Firmen in München und stand in Italien unter Verdacht, Verbindungen zur kalabrischen Mafia 'Ndrangheta zu haben. Als Ermittler die Konten eines der bayerischen Unternehmen auswerteten, entdeckten sie eine Spur zu Rullo. So landete auch er im Visier der deutschen Ermittler.
Firmengeflecht auch in Ungarn
Aktuell gehen italienische Ermittler dem Verdacht nach, dass über den Eigentümer der Firmen auf Malta auch Mafia-Gelder an Rullo gegangen sein könnten. Rullos Anwalt sagte auf Anfrage, sein Mandant habe explizit gesagt, dass das gesamte Geld, das auf die Konten floss, rückverfolgbar sei. Er schließe aus, dass jemand über ihn Gelder unklarer Herkunft gewaschen haben könnte.
Dies ist allerdings nicht die einzige Spur im Verfahren "Black Steel", die zur kalabrischen Mafia 'Ndrangheta führt. Um an sein Bargeld zu kommen, soll Rullo auch in Ungarn ein Firmengeflecht aufgebaut haben. Die Firmen sind bei der Kanzlei einer Anwältin registriert, gegen die die kalabrische Staatsanwaltschaft Catanzaro Anfang Januar einen Haftbefehl im Rahmen eines Anti-Mafia-Verfahrens erlassen hat.
Obergrenze für Bargeldzahlungen gefordert
Der Fall Rullo könnte neuen Schwung in die Debatte über die Bargeldobergrenze in Deutschland bringen. Im Herbst hatte sich Innenministerin Nancy Faeser (SPD) für eine Grenze von 10.000 Euro bei Bargeldtransaktionen ausgesprochen. Der Koalitionspartner FDP wehrt sich dagegen.
Florian Toncar, Staatssekretär beim Finanzministerium, sieht keinen Grund für eine Obergrenze bei Bargeldbesitz. Seiner Ansicht nach reicht das heutige System aus, das Banken in der Pflicht sieht, verdächtige Transaktionen zu melden. Kritik kommt dagegen von Experten wie Florian Köbler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft DSTG. Er geht davon aus, dass Deutschland im europäischen Vergleich als Geldwäscheparadies gilt und fordert eine Obergrenze für Bargeldzahlungen von 1000 Euro. "Man sieht es jetzt auch in dem Fall, dass Deutschland immer wieder zumindest Banken-technisch und Bargeld-mäßig der Hauptspielplatz von organisierter Kriminalität ist."