Operation "Eureka" Anti-Mafia-Razzien in mehreren Bundesländern
Ermittler sind weltweit gegen die kalabrische Mafia-Organisation 'Ndrangheta vorgegangen - auch in Deutschland. Im Rahmen der Operation "Eureka" sollen laut MDR und FAZ mehr als 100 Haftbefehle wegen Drogenhandels und Geldwäsche vollstreckt worden sein.
Das kleine kalabrische Dorf San Luca war am frühen Morgen in einem Belagerungszustand. Schwer bewaffnete Spezialeinheiten der Carabinieri waren dort im Einsatz. Die 3400 Einwohner zählende Hochburg der kalabrischen Mafia-Organisation 'Ndrangheta ist einer der strategischen Schwerpunkte der weltweiten Anti-Mafia-Operation "Eureka". Ermittler aus verschiedenen Ländern arbeiten seit knapp vier Jahren an diesem Verfahren, das die größte internationale Aktion gegen die 'Ndrangheta und ihre Unterstützer sein soll, die je stattgefunden hat.
Europaweit soll es Razzien unter anderem in Italien, Portugal, Belgien, Frankreich, Slowenien und Rumänien gegeben haben. Das Netzwerk der Tatverdächtigen soll bis nach Argentinien, Brasilien, Panama und Australien reichen.
In Deutschland waren die Ermittlungsschwerpunkte offenbar Nordrhein-Westfalen, Bayern und Thüringen. Auch die Polizei im Saarland und Rheinland-Pfalz war involviert. Die Zentral- und Ansprechstelle für die Verfolgung Organisierter Straftaten (ZeOS NRW) bei der Staatsanwaltschaft Düsseldorf koordinierte die Razzien in Deutschland, in Italien hatte die Staatsanwaltschaft Reggio Calabria die Federführung. Die Fäden der gesamten Operation "Eureka" laufen bei den europäischen Strafverfolgungsbehörden EUROJUST und EUROPOL zusammen.
Kokainschmuggel im Mittelpunkt
Nach Recherchen von MDR und "Frankfurter Allgemeiner Zeitung" (FAZ) sollen im Fokus der Ermittlungen 'Ndrangheta-Clans aus dem Dorf San Luca stehen. Sie sollen große Mengen an Kokain aus Südamerika nach Europa geschmuggelt haben.
Laut den Ermittlungserkenntnissen sollen sie dafür mit dem Primeiro Comando da Capital in Brasilien, mit den Clan del Golfo in Kolumbien sowie mit einer albanisch-stämmigen Gruppierung in Ecuador zusammengearbeitet haben. In Containerschiffen sollen die Drogen in Häfen wie Antwerpen, Rotterdam oder das kalabrische Gioia Tauro gebracht worden sein.
Ein Teil des Kokains soll dann weiter bis nach Australien verschifft worden sein. Um die illegalen Drogengelder zu waschen, sollen die Verdächtigen unter anderem in Restaurants, Immobilien und Autowaschanlagen investiert haben. Dabei besteht der Verdacht, dass offenbar ein Geldwäsche-Netzwerk vor allem in Deutschland, Belgien, Portugal und Argentinien aufgebaut worden sein soll.
Belgische Pizzeria als Ausgangspunkt
Nach Informationen von MDR und FAZ soll die Operation "Eureka", ein Zusammenschluss von mehreren Verfahren, unter anderem im Juli 2019 im belgischen Genk begonnen haben. Dort gerieten die kalabrischen Betreiber einer Pizzeria ins Visier der Ermittler. Diese sollen Kontakte mit verschiedenen Kokainhändlern der 'Ndrangheta gepflegt haben. In der Folge kooperierten belgische und italienische Fahnder. Zudem wurden die Ermittler auch auf den Cousin zweier Verdächtiger aufmerksam, der in München lebt, und auf etliche weitere Verwandte und Bekannte dort. Sie alle sollen im Fokus der Ermittlungen stehen.
Spuren in Kryptohandys
Weiterhin sollen die Ermittler besonders in Nordrhein-Westfalen ein weit verzweigtes Geldwäschesystem von Restaurants, Pizzerien, Cafés und Eisdielen entdeckt haben. Bei den Ermittlungen sollen Fahnder auch auf interne Chats von Verdächtigen aus Kryptohandys Zugriff gehabt haben. Dabei geht es offenbar um Geräte der inzwischen stillgelegten Anbieter EncroChat und SkyECC. Nach MDR- und FAZ-Informationen wäre es das erste Mal, dass solche Kryptohandys eine wichtige Rolle in einem internationalen Anti-Mafia-Verfahren spielen könnten.
Im Laufe der Ermittlungen soll der Kreis der Tatverdächtigen immer größer geworden sein. Dabei soll auch gegen mutmaßliche ‘Ndrangheta-Mitglieder aus Thüringen ermittelt worden sein. Einige von ihnen sind in Erfurt als Gastronomen aktiv. Andere Tatverdächtige sind vor Jahren aus Erfurt nach Portugal gegangen, halten aber weiterhin den Kontakt nach Thüringen. Es besteht offenbar der Verdacht, dass einige aus der Gruppe in die Geldwäsche verstrickt sein könnten und sie deshalb im Rahmen der Operation "Eureka" ins Visier der Ermittler geraten sind.
Jahrzehntelange Ermittlungen in Thüringen
Seit mehr als 20 Jahren gibt es Hinweise darauf, dass Mitglieder und Personen aus dem Umfeld der 'Ndrangheta in Erfurt und anderen Thüringer Städten aktiv sein sollen. Bereits Anfang 2000 hatten das Bundeskriminalamt, das Thüringer Landeskriminalamt und die Staatsanwaltschaft Gera gegen eine Gruppe von Männern ermittelt, die im Verdacht standen, zur 'Ndrangheta und ihrem Umfeld in Thüringen zu gehören.
Im Rahmen der Operation mit dem Decknamen "Fido" gingen die Ermittler damals dem Verdacht des Drogenhandels und der Geldwäsche nach. Einige der damaligen Tatverdächtigen sollen auch in den aktuellen Ermittlungen von "Eureka" eine wichtige Rolle spielen.
Ermittlungen werden zum Politikum
Nachdem MDR und FAZ im Februar 2021 über das bis dahin geheim gehaltene "Fido"-Verfahren berichtet hatten, beschäftigt sich ein Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtages mit dem Fall. Er prüft, warum trotz intensiver Ermittlungen damals alle operativen Maßnahmen aus bisher unbekannten Gründen eingestellt wurden. Zudem geht es um die Frage, ob Mitglieder oder Personen aus dem Umfeld der 'Ndrangheta in Erfurt Kontakte in Politik, Justiz oder Verwaltung gehabt haben.
Aufgrund der Überwachungsmaßnahmen im Rahmen der Operation "Eureka" konnten Ermittler schon in den letzten Jahren mehrere gesuchte Kriminelle fassen. Das bestätigten Ermittler MDR und FAZ. Unter ihnen: Francesco Pelle, der auf der Liste der gefährlichsten Verbrecher Italiens stand. Er war als Auftraggeber des sogenannten "Weihnachtsmassakers" von 2006 zu lebenslanger Haft verurteilt worden.
Spur zu "Mafiamorden von Duisburg"
Damals war bei einem Anschlag in San Luca die Ehefrau eines Clanbosses erschossen worden. Diese Tat war der Auslöser für die "Mafiamorde von Duisburg" im August 2007. Ermittler konnten Pelle im März 2021 in einem Krankenhaus in Lissabon verhaften, wo er wegen einer schweren Corona-Infektion eingeliefert worden war. Die Klinik ist nur wenige Hausblöcke von einem italienischen Restaurant entfernt, für das sich Ermittler im Rahmen der Operation "Eureka" interessiert haben sollen.