Neonikotinoide Exportiertes Gift kommt über Obst zurück
Sie sind hochgiftig, wohl für das Insektensterben mit verantwortlich und deshalb in Europa weitgehend verboten. Doch Neonikotinoide werden weiter exportiert - über Lebensmittelimporte könnten sie zurückkommen.
Geht es nach der EU, dann sollten diese Stoffe längst nicht mehr im Einsatz sein: Neonikotinoide gehören wohl zu den gefährlichsten Pestiziden, die je von Chemiekonzernen entwickelt wurden. In der EU wurde ihre Verwendung im Freiland schon 2013 verboten: Etliche Studien hatten negative Auswirkungen auf Bienen und Bestäuber-Insekten nachgewiesen. Deren Rückgang stuft die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UN als "eine ernste Bedrohung für die weltweite Ernährungssicherheit" ein.
Und trotzdem gelangen die Wirkstoffe Imidacloprid von Bayer, Clothianidin (Bayer, BASF) und Thiametoxam von Syngenta weiterhin massenhaft in die Umwelt - nur überwiegend nicht mehr in Europa. Das zeigt eine Recherche der Schweizer Nichtregierungsorganisation "Public Eye" sowie der britischen Recherchegruppe "Unearthed", die zu Greenpeace gehört. Dem ARD-Magazin Monitor liegen die Ergebnisse vor.
Exportpapiere ausgewertet
Seit September 2020 müssen alle Exporte dieser Mittel im Rahmen internationaler Richtlinien gemeldet werden. Also hatte das Rechercheteam Exportpapiere von Behörden angefordert. Und es zeigt sich: Das große Geschäft mit den Nervengiften aus Europa geht weiter - weltweit. Die Stoffe sind ein Verkaufsschlager und gehen bevorzugt in Länder wie Brasilien, Russland, Ukraine, Argentinien oder Iran.
Alleine von September bis Dezember 2020 wurde ein beabsichtigtes Exportvolumen von fast 3900 Tonnen Neonikotinoid-Produkten angemeldet; die europäischen Behörden stellten dafür 299 Genehmigungen aus. "Das reicht aus, um die Agrarfläche Frankreichs komplett einzuspritzen" erklärt Carla Hoinkes von "Public Eye" die Dimension der Exporte gegenüber Monitor.
Deutsche Konzerne unter führenden Exporteuren
Größter Exporteur aus Europa ist demnach mit Abstand der Agrochemie-Konzern Syngenta mit 3426 Tonnen Thiametoxam-Produkten, gefolgt von Bayer mit 137,5 Tonnen Imidacloprid- und Clothianidin-Produkten. BASF verkaufte laut den NGO-Recherchen 95,5 Tonnen einer Clothianidin-Zubereitung. Produziert wurden die Produkte offenbar vor allem in Belgien, Frankreich und Deutschland. Die Hersteller wollten die Zahlen auf Monitor-Anfrage nicht kommentieren.
Wichtigster Abnehmer der Neonikotinoide ist Brasilien. Ausgerechnet das Land, das etwa 20 Prozent der verbliebenen weltweiten Biodiversität beherbergt - und das gleichzeitig seine Agrarexporte in den nächsten Jahren noch drastisch steigern will. Generell finden sich unter den wichtigsten Empfängerstaaten vor allem Länder mit mittlerem oder niedrigem Einkommensniveau, in denen die gesetzlichen Anwendungsbestimmungen für Pestizide häufig weniger strikt sind als etwa in Europa.
Giftstoffe kommen zurück nach Europa
Die ausgebrachten Neonikotinoide verschwinden nicht einfach, sondern können über Agrarimporte zurück zu den Verbrauchern nach Europa gelangen - etwa in Mais, Soja, Mangos und Avocados. "Dieser Kreislauf muss durchbrochen werden" fordert Carla Hoinkes von "Public Eye".
Die Forderung der NGOs erhält Gewicht durch neue Erkenntnisse einer internationalen Gruppe von Wissenschaftlern aus Deutschland, Österreich, Schweden und Großbritannien. Ihr Ergebnis: Der Bayer-Wirkstoff Imidacloprid bildet Stoffwechselprodukte, die nicht nur auf das Nervensystem von Insekten wirken, sondern sogar noch mehr auf menschliche Nervenzellen. "Es ist nicht nur relevant für Bienen oder ökologische Effekte sondern tatsächlich auch für die menschliche Sicherheit", sagt Prof. Marcel Leist von der Universität Konstanz. Der Wissenschaftler hält es für möglich, dass man über die normale Ernährung durchaus Mengen aufnehmen könnte, die Wirkungen im Nervensystem zeigen - ähnlich wie das bekannte Nervengift Nikotin.
Mögliche Folgen für Gehirnentwicklung
Besonders kritisch bewerten die Forscher dabei mögliche Folgen bei der Gehirnentwicklung von Ungeborenen oder Neugeborenen: "Da weiß man, dass sehr kleine Mengen den Unterschied machen können. Wir nehmen an, dass die Nebenwirkung sich wohl am ehesten auf die Entwicklung vom Nervensystem auswirkt", sagt Leist gegenüber Monitor.
Hersteller Bayer sieht in der Studie keinen Anlass zu einer Neubewertung und betont, dass die Substanzen seit vielen Jahren sicher verwendet würden. "Diese Wirkstoffe werden weiter benötigt", sagt Bayer-Sprecher Alexander Hennig und verweist auf die von der EU gewährten Notfallzulassungen im Zuckerrübenanbau für 2021. Ohne den Einsatz der Neonikotinoide wären "große Ernteverluste die Folge gewesen", meint er. Für das nächste Jahr hat das zuständige Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die beantragte Notfallzulassung für den Rübenanbau allerdings zurückgewiesen.
Kritiker fordern indes, dass die EU-Staaten ihre strengen Regeln auch für den Export von Pestiziden anwenden sollten. Die Bundesregierung sieht da bisher keine rechtliche Möglichkeit, entscheidend seien die Gesetze der Empfängerländer. Frankreich hingegen will ab dem nächsten Jahr die Exporte verbotener Pestizide nicht mehr erlauben.