Boni trotz verfehlter Ziele Weitere Millionen für die Bahnchefs
Obwohl die Deutsche Bahn ihre Ziele für Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit verfehlte, soll der Vorstand nach Recherchen von NDR, WDR und SZ üppige Boni nachgezahlt bekommen. Bislang geheim gehaltene Dokumente zeigen, wie sich die Summen errechnen.
Spricht man mit Leuten, die die oberste Etage des Bahntowers am Potsdamer Platz schon einmal betreten durften, hört man von einer erlesenen Welt. Hoch über dem Regierungsviertel dinierten hier bis vor wenigen Monaten die Vorstände des Krisenkonzerns, mit eigenem Koch und teuren Weinen. Zutritt nur auf Einladung, so erzählen es Bahnmitarbeiter.
Jetzt ist der Bahntower ein Sanierungsfall, und der Konzern ist es auch. Das Schienennetz ist teilweise marode. Nur noch jeder zweite Zug erreicht pünktlich sein Ziel. Zuletzt legten Warnstreiks die Bahn lahm - viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind unzufrieden.
Fünf Millionen Euro als Nachzahlung
Dennoch sollen nach Recherchen von NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) den Bahnchefs nun hohe Boni nachgezahlt werden - insgesamt knapp fünf Millionen Euro. Es geht um die Vergütungen für das Jahr 2022. Diese waren zwischenzeitlich zurückgestellt worden.
Der Grund waren die gesetzlichen Regelungen zur Strompreisbremse. Das Gesetz dazu regelt, dass ein Unternehmen keine Boni auszahlen darf, solange es die Preisbremse als staatliche Unterstützung in Anspruch nimmt. Auch für andere Unternehmen galt dies. Mit Ende des Jahres 2023 allerdings soll die Strompreisbremse enden. Und dann können auch Boni für das Jahr 2022 fließen, wie das Bundeswirtschaftsministerium auf Anfrage bestätigte.
Leistungsbezogene Zahlungen für erreichte Ziele
Jedes Vorstandsmitglied der Bahn hat ein festes Grundgehalt. 2022 bezog der Vorstand so insgesamt rund vier Millionen Euro. Hinzu kommt dann allerdings, wie bei Konzernlenkern üblich, noch ein zweiter Gehaltsbestandteil, der leistungsabhängig ist.
Interne Dokumente, die Reporter von NDR, WDR und SZ einsehen konnten, zeigen die konkreten Zielvereinbarungen, die sich die Vorstände um Bahnchef Richard Lutz offenbar in ihre Verträge schreiben ließen - und welche Summen sie dafür nun erhalten sollen.
Kleine Erfolge - massive Zahlungen
Demnach sollen rund 1,3 Millionen Euro Boni allein an den Vorstandsvorsitzenden Richard Lutz fließen - davon rund 384.000 Euro, weil sich die Bahn für 2022 besonders zufriedene Mitarbeiter und einen gestiegenen Anteil an weiblichen Führungskräften bescheinigt. Den Unterlagen zufolge haben die Vorstände das unternehmenseigene Ziel in diesem Bereich geringfügig übertroffen. Der Bonus für diesen Bereich wurde aber deutlich erhöht - auf 175 Prozent.
Was das finanzielle Ergebnis der Bahn anbelangt, sollen die Konzernchefs sogar den doppelten Bonus bekommen, weil es besser ausgefallen ist als ursprünglich angenommen. Zu diesen Zusatzvergütungen für gemeinsame Ziele kommen noch hohe Summen für jeweils individuelle Ziele der Vorstände.
Bahnchef Lutz soll offenbar knapp 440.000 Euro für die Erreichung der angestrebten CO2-Ziele bekommen.
Bahnchef Lutz hatte in seiner Vereinbarung dafür offenbar Kohlendioxideinsparung stehen. Und weil die Bahn hier nach eigener Aussage 2022 zwei Prozentpunkte mehr eingespart hat, als sie wollte, soll Lutz allein dafür einen Bonus von knapp 440.000 Euro bekommen.
Der damals für den Fernverkehr zuständige Vorstand Berthold Huber hatte demnach das Ziel, dass mindestens 278 ICE-Züge einsatzbereit sein sollten. Die Tatsache, dass sogar 284 ICE auf den Gleisen waren, wertet die Bahn als Zielerreichung von 133 Prozent. Huber soll allein dafür nun rund 183.000 Euro Boni erhalten.
Ex-Bahn-Vorstandsmitglied Ronald Pofalla war für die Infrastruktur zuständig, deren Qualität massiv in der Kritik steht.
Fragwürdiger Bonus für Bestandsnetz-Qualität
Auch Ronald Pofalla, unter Merkel Kanzleramtschef und danach bis April 2022 Bahnvorstand für die Infrastruktur, hat den Unterlagen zufolge offenbar sein Ziel einer möglichst guten Bestandsnetz-Qualität mit 200 Prozent übererfüllt - auch wenn das Bahnnetz von vielen Experten und Mitarbeitenden als marode und sanierungsbedürftig beschrieben wird. Eine Anfrage von NDR, WDR und SZ hierzu beantwortete Pofalla nicht.
Zentrale Ziele verfehlt
Die Unterlagen zeigen: Es liegt offenbar an einer besonderen Rechnung, dass die Vorstände hohe Boni bekommen, obwohl sie ihre Ziele in Sachen Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit deutlich verfehlen. Denn durch Ziele, die übererfüllt werden, lassen sich Ziele, die verfehlt werden, kompensieren.
Die Bahn unterscheide bei den Boni-Vergütungen an ihre Manager grundsätzlich in Boni für langfristige Ziele und konkret in fünf kurzfristige Ziele. Zu jenen zählen neben einem guten Geschäftsergebnis, der Mitarbeiterzufriedenheit in Kombination mit dem Anteil von Frauen in Führung und dem jeweiligen persönlichen Ziel auch die Kundenzufriedenheit und die Pünktlichkeit - also jene zentralen Ziele, die die Bahn im öffentlichen Ansehen zu einem funktionierenden Unternehmen machen.
Die Werte für Pünktlichkeit sind so schlecht wie lange nicht mehr. Wenig überraschend zeigten sich auch die Bahnkunden 2022 unzufrieden mit der Leistung des Konzerns - und zwar so deutlich, dass die Bahn weder im Güterverkehr noch im Fernverkehr oder im Nahverkehr ihre selbstgesteckten Ziele auch nur annähernd erreichen konnte.
Ziel | erreicht | |
---|---|---|
Fernverkehr | 81% | 74,8% |
Regionalverkehr | 72% | 70,1% |
Cargo | 67% | 67% |
Folglich erhalten die Bahnchefs für Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit null Prozent angerechnet. Anders sieht es beim Ziel "Mitarbeitenden-Zufriedenheit und Frauen in Führung" aus. Bei der Mitarbeiterzufriedenheit hatte der Vorstand das Ziel, dass diese nicht weiter sinken dürfe. Weil die Stimmung bei den Angestellten 2022 dann doch leicht besser war, gilt dieses Ziel als übererfüllt. Die Konsequenz: Für die Bahnvorstände steigt der anteilige Bonus auf 175 Prozent.
Zudem hat die Bahn den internen Unterlagen zufolge 2022 mittlerweile 27 Prozent Frauen in Führungspositionen. Damit hat sie ihr selbstgestecktes Ziel um einen Prozentpunkt übererfüllt. Doch dieser eine Prozentpunkt bescherte den Bahnvorständen 200 Prozent der Prämie für diesen Bereich.
Name | Ressort | Ziel | erreicht |
---|---|---|---|
Lutz | Vorstandsvorsitzender | CO2-Einsparung |
200% = 438.600 Euro |
Holle | Finanzen & Logistik | Entwicklung von Schenker |
200% = 180.000 Euro |
Seiler | Personal | Neueinstellungen und Personalentwicklung |
200% = 256.000 Euro |
Markotten | Digitalisierung & Technik | Fahrzeuge in der Instandhaltung |
160% = 144.000 Euro |
Huber | Infrastruktur | betriebliche Verfügbarkeit ICE |
133% = 183.000 Euro |
Nikutta | Güterverkehr | Ausbau zum europ. Bahnlogistiker |
150% = 135.000 Euro |
Pofalla | Ex-Infrastruktur | Ausbau Netz und Infrastruktur |
200% = 85.333 Euro |
Hohe Boni auch für die Vorstände der Fernverkehrstochter
Vor allem der Fernverkehr mit seinen ICE soll in Zukunft noch mehr Geschäftsreisende, Pendler und Familien aus dem Auto und dem Flugzeug auf die Schiene locken. Doch das Image der Bahnsparte ist aufgrund der vielen Zugausfälle und Verspätungen inzwischen verheerend. Zwar schrieb die Bahn offenbar auch den Fernverkehrschefs für die Ziele Pünktlichkeit und Kundenzufriedenheit null Prozent Bonus auf.
Trotzdem erhielten sie laut interner Unterlagen nicht nur zwischen 270.000 Euro und 395.000 Euro Grundgehalt im Jahr, sondern ebenfalls Boni: Denn als Konzernführungskräfte - und als solche gelten die Vorstände der Bahn-Töchter im Bahn-Konzern - liegt der sogenannte "leistungsabhängige Gehaltsanteil”, der bei Erreichen bestimmter Ziele ausgezahlt wird, bei bis zu 60 Prozent des Grundgehalts. Und Fernverkehrsvorsitzender Michael Peterson hat den Bahn-Dokumenten zufolge seine persönlichen Erfolgsziele in 2022 zu 100 Prozent erfüllt.
Weitere Annehmlichkeiten
Vertraglich standen den DB-Chefs neben den Aufenthalten in der luxuriösen obersten Etage des Bahn-Towers offenbar weitere Annehmlichkeiten zu. So zahlte das Staatsunternehmen für den Fall, dass ein Vorstand für seinen Job umzieht, 800 Euro monatlich für eine Zweitwohnung am Konzernsitz, begrenzt auf zwei Jahre.
Die Bahn, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Menschen von der Straße auf die Schiene zu bringen, stellt ihren Vorständen zudem einen Dienstwagen zur beruflichen und privaten Nutzung, und auch die gesammelten Vielfliegerpunkte können privat genutzt werden.
Neues Vergütungsmodell ab 2024
Über das Bonussystem der Deutschen Bahn entscheidet der Aufsichtsrat, in dem auch Staatssekretäre aus dem Finanz-, Wirtschafts- und Verkehrsministerium und Vertreter der Gewerkschaften sitzen. Die Vergütungspraxis soll im kommenden Jahr umgestellt werden. Bahnvorstände sollen dann demnach einen höheren Anteil ihres gesamten Gehalts als Fixgehalt erhalten, der Anteil der leistungsabhängigen Vergütung soll im Gegenzug sinken: von bislang rund zwei Drittel auf 50 Prozent.
Der DB-Konzern erklärte auf Anfrage von NDR, WDR und SZ, man äußere sich nicht zu Angelegenheiten des Aufsichtsrats und verwies auf die Jahresberichte des Unternehmens. Das Bundesverkehrsministerium verwies auf Anfrage darauf, mit Vergütungsvereinbarungen könne der Aufsichtsrat die Ziele des Bundes als Eigentümer der Bahn durchsetzen.