Rechnungshof zur Corona-Politik Heftige Kritik am Gesundheitsministerium
Viele Pflegekräfte haben die versprochene Corona-Prämie nicht erhalten. Das geht aus einem Bundesrechnungshof-Bericht hervor, der NDR, WDR und SZ vorliegt. Schuld sei ein "fehleranfälliges" Auszahlungsverfahren - das wieder zum Einsatz kommen könnte.
Im Jahr 2020 konnten sich die Pflegekräfte in Altenheimen und Kliniken über eine Corona-Prämie freuen. 1000 Euro pro Pflegekraft spendierte der Bund - steuerfrei und ohne Sozialversicherungsabzüge. 500 Euro sollten zusätzlich von den Bundesländern dazukommen. "Um den vom Bund finanzierten Teil des Bonus zu erhalten, müssen Sie als Beschäftigter nichts tun", teilte das Gesundheitsministerium von Jens Spahn damals auf seiner Webseite mit. "Sie erhalten den Bonus automatisch von ihrem Arbeitgeber."
Dass dieses Versprechen ein bisschen zu vollmundig war, geht aus einem aktuellen Bericht des Bundesrechnungshofes hervor, der das Finanzgebaren des Gesundheitsministerium in der Corona-Pandemie unter die Lupe genommen hat. Der 29-seitige Bericht wurde Ende vergangener Woche an den Haushaltsausschuss des Bundestages geschickt und liegt NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" vor.
Auszahlung häufig gar nicht beantragt
In dem Bericht kommt der Rechnungshof zu dem Ergebnis, dass das Verfahren, mit dem die Corona-Prämie ausgezahlt wurde, "fehler- und missbrauchsanfällig" war. "Zahlreiche Pflegeeinrichtungen" hätten demnach die Auszahlung der Bundesmittel gar nicht beantragt - die 1000 Euro vom Staat seien bei den in diesen Einrichtungen beschäftigten Pflegekräften also gar nicht angekommen, kritisiert der Rechnungshof. Gleichzeitig hätten Chefs anderer Pflegeeinrichtungen die Corona-Prämie nicht nur für ihre Beschäftigten, sondern "zu Unrecht" auch für sich selbst in Anspruch genommen.
Inzwischen hat der Chef im Ministerium gewechselt, auf Spahn (CDU) folgte vergangenen Dezember Karl Lauterbach (SPD). In diesem Jahr soll es erneut steuerfreie Einmalzahlungen für die Beschäftigten in Altenheimen und Krankenhäusern geben, diesmal nicht unter dem Namen "Corona-Prämie", sondern als "Pflegebonus". Der Bundesrechnungshof fürchtet, "dass sich die Anfälligkeit des bisherigen Verfahrens für Fehler und Missbrauch nun auch beim Pflegebonus fortsetzt". Das Ministerium hat Anfragen von NDR, WDR und SZ zum Rechnungshofbericht nicht beantwortet.
Dass viele Pflegekräfte den Corona-Bonus gar nicht bekommen hätten, hatte im Frühjahr bereits die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di kritisiert. Das sei "einfach nur noch schändlich", empörte sich Vorstandsmitglied Sylvia Bühler. Immerhin gehe es um Beschäftigte, die oft nur den Mindestlohn bekämen und die in der Pandemie "extrem gefordert und gefährdet" seien. Bühler verwies auf eine Auswertung einer großen Steuerberatungsgesellschaft in Eigenregie, die Geschäftszahlen von mehr als tausend Pflegediensten analysiert hatte.
Das Ergebnis - dieser allerdings nicht repräsentativen Auswertung - war niederschmetternd. Nur knapp 60 Prozent der Beschäftigten in der Altenpflege hätten demnach 2020 eine Corona-Prämie erhalten. Die meisten davon in Brandenburg, die wenigsten in Baden-Württemberg. Für das Versagen von Pflegediensten bei der Auszahlung der Prämie kann es nach Ansicht von ver.di-Vorständin Bühler "keine Entschuldigung geben". Pflegeheime und Pflegefirmen müssten in der Lage sein, "eine staatlich finanzierte Prämie zu beantragen und an die Beschäftigten weiterzureichen". Alles andere zeuge von Desinteresse.
Kritik an Umgang mit Betrug von Testzentren
Der Bundesrechnungshof übt noch mehr Kritik an der Pandemie-Politik. Entgegen den vielfältigen Behauptungen Lauterbachs, dass der Betrug bei den Corona-Teststellen nun wirklich bekämpft werden solle, heißt es in dem Bericht, dass "eine wirkungsvolle Betrugsbekämpfung nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes kaum möglich" ist, denn auch die geänderten Regeln seien ungeeignet, dem Missbrauch entgegenzutreten. "Ob zu Unrecht ausgezahlte Gelder erfolgreich zurückgefordert werden können, scheint fraglich", merken die Prüfer an. Das Landeskriminalamt Berlin geht bundesweit von einem Schaden von mehr als einer Milliarde Euro aus - durch fingierte Testabrechnungen oder überhöht abgerechnete Testkits.
Unverständnis äußert der Rechnungshof auch darüber, dass Lauterbach die Kassenärztlichen Vereinigungen zwar bei der Abrechnungsprüfung der Bürgertests deutlich entlaste, sie dennoch die Pauschalen in bisheriger Höhe weiter kassieren sollen. Die Änderung sollte nach Ansicht des Rechnungshofes auch "zu einer angemessenen Reduzierung des Verwaltungskostenersatzes führen". Ob das Ministerium diese Anregung aufgreifen will, ließ es auf Anfrage unbeantwortet.
Viel Geld haben außerdem die Krankenhäuser in der Pandemie für das Freihalten von Betten für Corona-Patienten erhalten. Auch hier übt der Bundesrechnungshof Kritik. So sind im Haushalt des Gesundheitsministerium allein in diesem Jahr dafür nochmal 5,7 Milliarden Euro vorgesehen. "In der Praxis", schreibt der Rechnungshof, dienten diese Milliarden aber "in weiten Teilen nicht mehr dazu, etwa erforderliche Behandlungskapazitäten freizuhalten", sondern schlicht der wirtschaftlichen Absicherung der Kliniken.
"Subventionierung von Krankenhäusern"
"Die Mittel zur Pandemiebekämpfung in Milliardenhöhe wurden teilweise für eine von der Pandemie unabhängige Subventionierung von Krankenhäusern verwendet", schreibt der Rechnungshof und kommt zu dem Fazit: "In weiten Teilen wurde und wird absehbarem Missbrauch bei der Mittelverwendung nicht effektiv entgegengesteuert." Auch zu diesem Fazit wollte sich das Lauterbach-Ministerium auf Anfrage nicht äußern.
Der Prüfbericht soll im November im zuständigen Haushalts- beziehungsweise Rechnungsprüfungsausschuss des Bundestages beraten und erst dann veröffentlicht werden. Das Gesundheitsministerium hatte bereits Stellung bezogen, seine Hinweise hat der Rechnungshof berücksichtigt. Das bedeutet: Was der Prüfbericht an Kritik enthält, hat das Ministerium aus Sicht des Rechnungshofes nicht entkräften können.