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Cum-Ex-Skandal Strafantrag gegen Hamburger Finanzbeamtin

Stand: 16.06.2023 06:00 Uhr

Die einst für die Warburg-Bank zuständige Finanzbeamtin gerät in der Cum-Ex-Affäre zunehmend unter Druck. Nach WDR-Recherchen stellte ihr eigener Behördenchef einen Strafantrag gegen sie. Und es werden neue Details bekannt.

Die Cum-Ex-Affäre rund um die Hamburger Warburg-Bank könnte für die damals zuständige Finanzbeamtin schwerwiegende Folgen haben. Nach Recherchen des WDR hat der Leiter des Hamburger Finanzamtes für Großunternehmen, Michael Abeln, Strafantrag gegen seine eigene Mitarbeiterin gestellt.

In einem Schreiben vom 11. November 2022 an die Staatsanwaltschaft Köln zeigte der Behördenleiter eine mögliche Verletzung des Steuergeheimnisses durch seine Angestellte an. Die Finanzbeamtin Daniela P. soll 2016 über das heikle Warburg-Verfahren mit einer Bekannten gechattet haben.

Konkret geht es um die verhängnisvolle Nachricht, die Daniela P. am 17. November 2016 in ihr Handy getippt hat. Gerade hatte sie eine brisante Besprechung in der Hamburger Finanzbehörde hinter sich gebracht.

Es ging um Cum-Ex-Geschäfte der Privatbank MM Warburg und die Frage, ob das Geldhaus 47 Millionen Euro an mutmaßlich gestohlenem Steuergeld zurückzahlen müsse. Die Finanzbeamten beschlossen an jenem Tag, der Bank die Steuermillionen erstmal zu belassen. Wegen rechtlicher Risiken, wie es hieß. Es war eine umstrittene Kehrtwende, die derzeit in der Hamburger Bürgerschaft einen Untersuchungsausschuss beschäftigt, der der Frage nachgeht: Haben Politiker und Finanzbeamte zu Ungunsten der Steuerzahler Einfluss auf das Cum-Ex-Steuerverfahren genommen?

"Teuflischer Plan" aufgegangen

Per Whatsapp-Chat hielt Finanzbeamtin P. ihre Bekannte im November 2016 auf dem Laufenden, die ebenfalls für die Finanzbehörde arbeitete, jedoch nicht dienstlich mit dem Fall befasst war: "Mein teuflischer Plan ist aufgegangen (mit freundlicher Unterstützung von S I) und zur großen Freude von V."

Mit "S I" dürfte die Vorsteherin des Finanzamtes für Großunternehmen gemeint gewesen sein, "V" könnte ein Hinweis auf die Leiterin der obersten Steuerbehörde Hamburgs gewesen sein, die direkt dem damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher zuarbeitete. Im Whatsapp-Chat erkundigte sich die Bekannte: "Also verjähren lassen?" Finanzbeamtin P. bestätigte: "Ja, wenn nicht noch etwas kommt."

Ein "teuflischer Plan", der eine Bank vor der Rückzahlung von 47 Millionen Euro Steuergeld verschont - und das womöglich auch noch zur Freude von ranghohen Hamburger Finanzbeamten, die wiederum an Finanzsenator Tschentscher berichteten?

Der von der Staatsanwaltschaft Köln beschlagnahmte Chat ist derzeit eine der wichtigsten Spuren in der Hamburger Cum-Ex-Affäre, bei der die Ermittler der Frage nachgehen, ob Politiker sowie Finanzbeamtinnen und -beamte der Privatbank MM Warburg geholfen haben, ihre Cum-Ex-Beute behalten zu dürfen. Und das zu einem Zeitpunkt, als zunehmend klar wurde, dass sich die Privatbanker mithilfe anderer Komplizen Millionensummen an Steuern erstatten ließen, die zuvor nie jemand gezahlt hatte.

Scholz' Rolle soll beleuchtet werden

Gegen den heutigen Bundeskanzler und damaligen Ersten Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz wird in der Causa nicht ermittelt. Er muss sich dennoch Kritik gefallen lassen, weil er im fraglichen Zeitraum mehrfach den Warburg-Eigner Christian Olearius getroffen, über die Cum-Ex-Geschäfte gesprochen und dem Bankier laut dessen Tagebuch den Rat erteilt haben soll, sich an Tschentscher zu wenden.

Vor dem Deutschen Bundestag soll nach dem Willen der Union bald ein Untersuchungsausschuss Scholz' Rolle eingehend beleuchten. Auch Tschentscher, der heute die Geschicke der Hansestadt führt, muss sich unangenehmen Fragen stellen. Beide bestreiten eine politische Einflussnahme vehement.

Vorgehen gegen eigene Bedienstete

Für Finanzbeamtin P. könnte der offenherzige Austausch mit ihrer Bekannten zum Verhängnis werden. Die Hamburger Finanzbehörden wollten sich aufgrund des Steuergeheimnisses nicht zu dem konkreten Fall äußern. Allgemein gelte: "Die Steuerverwaltung Hamburg geht konkreten Verdachtsmomenten auf Verletzung des Steuergeheimnisses - auch durch eigene Bedienstete - konsequent nach."

P.s Chatpartnerin ließ eine Anfrage unbeantwortet. Sie durfte sich über eine Beförderung zur Vorsteherin eines Finanzamtes freuen, während gegen P. Disziplinarverfahren durchgeführt und Strafanzeige erhoben wurde.

Kölner Ermittler kommen zu anderen Einschätzungen

P.s Rechtsanwalt Leon Kruse erklärte auf Anfrage, dass "keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die verantwortlichen Amtsträger der Steuerverwaltung die Absicht hatten, der Warburg Bank die Vorteile einer Steuerhinterziehung zu sichern." Es habe sich um einen überaus komplexen Abwägungsprozess gehandelt. Das habe die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg bereits ausgeführt.

Die Entscheidung sei nach damaligen Erkenntnisstand vertretbar, so der Anwalt. Auch das habe die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg ausgeführt. Die derzeit mit dem Fall befassten Kölner Ermittler teilen diese Einschätzung offensichtlich nicht.

Mitglieder der Olearius-Familie auf Gästeliste

Daniela P. droht auch Ärger von anderer Seite. Ermittelt wird nicht nur wegen der möglichen Verletzung des Steuergeheimnisses. Es wird auch der Frage nachgegangen, ob sich die Finanzbeamtin womöglich der Beihilfe der Steuerhinterziehung und der Begünstigung strafbar gemacht hat. Die Whatsapp-Nachricht mit den Worten "Teuflischer Plan" dürfte dafür ein wichtiges Beweisstück sein.

Zwei Tage nach der Bundestagswahl durchsuchten die NRW-Ermittler Arbeitsplatz und Wohnung der Beamtin. Neben dem Handy mit den Whatsapp-Chats stießen sie nach Informationen des WDR auch auf die Gästeliste einer Feier, laut der neben der Finanzbeamtin und ihrer Whatsapp-Partnerin auch Mitglieder der Familie Olearius eingeladen waren. Ein alter Verdacht keimte auf: Bereits vor Jahren hatten Betriebsprüfer der Warburg-Bank in einem Vermerk gemutmaßt, die Finanzbeamtin könnte auch eine private Nähe zu Verantwortlichen des Geldhauses haben. Die Beamtin hat dies stets bestritten.

Die Gästeliste zeigt, dass P. offenbar mit einer Hamburger Marketingexpertin bekannt war, die ihrerseits die Kinder des Warburg-Miteigentümers Olearius kannte. Auch die Finanzbeamtin, mit der P. so eifrig chattete, zählte offenbar zu dem Freundeskreis der Hamburger Marketingspezialistin.

Man kennt sich, man sieht sich - man hilft sich? Vor dem Untersuchungsausschuss betonte P., Frau Olearius sei auf der Feier gar nicht erschienen. Sie habe sich später gefragt, ob sie wohl befangen sei, "weil ich jemanden kenne, der Frau Olearius kennt". Das Ergebnis ihrer Reflektion: "Ich bin nicht befangen."

Bank-Eigentümer schrieb Notizen über P.

Tatsächlich spielt Daniela P. auch in den ebenfalls bei einer Razzia sichergestellten Tagebüchern des Warburg-Eigentümers Christian Olearius immer wieder eine Rolle. Allein zwischen 2016 und 2017 erwähnt der Bankier die Beamtin rund 40 Mal. Zu Beginn des Steuerverfahrens im Juni 2016 notiert er: "Frau P. hat sich in unseren Fall hineingekniet und will uns Recht geben. (…) Falls sie nicht weiterkommt, will sie uns Zeit geben und über die Höhe der Steuerlast sich mit uns einigen."

Am 17. November 2016, als die Steuerbehörden dann tatsächlich von der Warburg-Bank abließen und Daniela P. ihre "Teuflischer Plan"-Whatsapp verschickte, schrieb Olearius am gleichen Tag in sein Tagebuch: "Frau P. empfiehlt Ruhe zu bewahren. Man müsse das Entscheidungsprotokoll unterschreiben. Auch sei ja 2009 Ende des Jahres verjährt und das Risiko halbiert."

Zwei Wochen später, als die Entscheidung feststand, vermerkte Olearius zufrieden, sein Anwalt habe ihn nun informiert, "Frau P. habe angerufen, alle Zuständigen haben ihr Protokoll unterschrieben. Sie warnt vor Staatsanwaltschaft und Deloitte. Die seien uns nicht gewogen."

Im Frühjahr soll die Beamtin dem Banker laut dessen Aufzeichnungen dann sogar aktiv zur Hilfe gekommen sein. Die Abschlussprüfer, die damals den Jahresabschluss der Warburg-Bank testieren sollten, meldeten wegen der Cum-Ex-Geschäfte Bedenken an. Sie forderten offenbar, dass die Bank Rückstellungen bilde oder die Mit-Eigentümer Olearius und Max Warburg einen Schuldbeitritt vollzögen.

Die Banker gewannen offenbar Daniela P. dafür,  mit einem der  Wirtschaftsprüfer zu telefonieren, der kurz danach zum Volltestat bereit war. Allerdings soll sie dies nur "unwillig" getan haben. "Ich kann sie verstehen“, vertraute Olearius seinem Tagebuch an. "Sie ist es, die Mut beweist."

Der Sprecher von Olearius erklärte zu den Tagebucheinträgen, Olearius habe Frau P. zu keiner Zeit gesprochen oder getroffen. Eine persönliche Verbindung zwischen der Familie Olearius und Frau P. habe es nicht gegeben. Daniela P., vor dem derzeit laufenden Untersuchungsausschuss auf ihre Rolle bei dem Abschluss-Prüferstreit angesprochen, bestätigte, dass ihr Engagement in der Sache keinesfalls üblich gewesen sei. "Aber", so die Beamtin, "was ist in dem Verfahren schon normal?"

Palina Milling, WDR, 16.06.2023 06:59 Uhr