Treppenaufgang zum Hamburger Rathaus
exklusiv

Cum-Ex-Untersuchungssausschuss Chaos hinter den Kulissen

Stand: 05.12.2024 12:00 Uhr

Mit der dritten Befragung von Kanzler Scholz könnte der Hamburger Cum-Ex-U-Ausschuss zum Ende kommen - nach mehr als drei Jahren. Recherchen von WDR, NDR und SZ zeigen: Hinter den Kulissen des Untersuchungsausschusses herrschte Chaos.

Wenn Olaf Scholz an diesem Freitag zum dritten Mal als Zeuge aussagt, werden die Scheinwerfer einmal mehr auf den Hamburger Cum-Ex-Untersuchungsausschuss gerichtet sein. Es geht um die Frage, ob Scholz, damals Erster Bürgermeister Hamburgs, oder andere Politiker Einfluss zu Gunsten der Privatbank MM Warburg genommen haben. Das Geldhaus war 2016 im Steuerskandal aufgeflogen und sollte das Geld zurückzahlen. Bei Cum-Ex-Geschäften haben sich Banker, Berater und Aktienhändler Steuern erstatten lassen, die nie jemand gezahlt hat. Bei der Warburg-Bank ging es um mehr als 90 Millionen Euro gestohlenes Steuergeld.

Zweimal hat Scholz bereits als Zeuge ausgesagt, jegliche Einflussnahmen bestritten - und in vielen Fragen "Erinnerungslücken" bekundet. Nach der Beweisaufnahme gibt es zwar Hinweise auf eine Nähe zwischen Politik und Privatbankiers, Beweise für eine Einflussnahme kamen nicht zutage. Ob sich der Kanzler dieses Mal an Details erinnern wird, bleibt abzuwarten. Im Fokus dieser Befragung soll die einst staatliche HSH Nordbank stehen, deren Cum-Ex-Geschäfte während Scholz‘ Amtszeit öffentlich geworden waren.

Streit in wichtigem Arbeitsstab

So brisant das Thema, so turbulent ging es offenbar auch hinter den Kulissen des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zu. Nach Recherchen von WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung gab es Streit im wichtigen Arbeitsstab. Das zeigen interne Mails und Aussagen von Insidern. Ein Fall landete sogar vor Gericht. Dort erhob eine Mitarbeiterin des Arbeitsstabs schwere Vorwürfe.

Die Mail, die den Streit eskalierte, verschickte die wissenschaftliche Mitarbeiterin am 8. März 2023. Die SPD hatte zuvor durchgesetzt, dass es einen Zwischenbericht geben solle. Im Arbeitsstab soll Chaos geherrscht haben, beschreiben mehrere mit den Vorgängen vertraute Personen. Sie unterstellen, die Leitung habe die Aufarbeitung lähmen wollen.

Die Mitarbeiterin - vorgeschlagen von den Grünen, die gemeinsam mit der SPD in Hamburg regieren - monierte, sie habe den Arbeitsstableiter seit Monaten gefragt, wie die Erstellung des Zwischenberichts zu organisieren sei. "Ich habe von ihm keine Antwort erhalten", schrieb sie, "weder schriftlich noch mündlich." Sie habe das Gefühl, sie solle als Kritikerin eingeschüchtert werden.

Vorwürfe sorgen für Streit

Ihre Vorwürfe richteten sich gegen den Leiter des Arbeitsstabs, SPD-Mann Steffen Jänicke. Sie schickte die Mail an die Abgeordneten im PUA sowie deren Fraktionsmitarbeiter. Im Arbeitsstab brach daraufhin Streit aus. Ein von der SPD vorgeschlagener Mitarbeiter kritisierte die Mail scharf. Andere schlugen sich auf die Seite der Kritikerin. Mehrfach sei Jänicke um ein Konzept gebeten worden, sagt ein weiterer Insider.

Weder Jänicke noch sein Stellvertreter antworteten auf Nachfragen von WDR, NDR und SZ, ob die Vorwürfe der Frau und weiterer Insider zutreffen. Ein Sprecher des Untersuchungsausschusses  erklärte, Stellungnahmen seien aufgrund der beamtlichen Verschwiegenheitspflicht nicht möglich. Der Leiter des Untersuchungsausschusses, Mathias Petersen (SPD), erklärte, entsprechende Darstellungen seien an ihn nicht herangetragen worden - dabei fand sich auch sein Name unter den Adressaten der kritischen Mail. Zu weiteren Details könne er sich erst nach Abschluss des Ausschusses äußern.

Abmahnung statt Aufklärung

Der Arbeitsstab ist der Motor des Ausschusses. Seine Mitarbeiter bereiten Sitzungen inhaltlich vor, schreiben Fragenkataloge für Zeugen, verfassen Stellungnahmen, werten Akten aus und schreiben auch Zwischen- und Abschlussberichte. Die Mitglieder sind parteiunabhängig und sollen den Ausschuss auf fachlicher Ebene mit unabhängiger Expertise unterstützen. In Hamburg kommt dem Arbeitsstab eine besonders wichtige Rolle zu. Anders als im Deutschen Bundestag sind die Parlamentarier nur nebenberuflich Politiker, quasi ein "Feierabend-Parlament."

Doch statt strukturierter Arbeit herrschte weiter Streit. Als Reaktion auf ihre E-Mail mahnte die Bürgerschaftsklanzlei die Mitarbeiterin ab. Der Zwischenbericht wurde nicht wie geplant im Frühjahr 2023, sondern erst ein Jahr später fertig. Während die Mitarbeiter mit dem Schreiben des 1055-seitigen Werkes befasst waren, wurden bis auf eine Ausnahme keine weiteren Zeugen mehr vernommen. Wertvolle Monate verstrichen, die für die weitere Aufklärung benötigt worden wären - etwa in Sachen HSH Nordbank.

Arbeitsstableiter Jänicke legte sein Amt Ende 2023 überraschend nieder. Die Sache war damit jedoch nicht vom Tisch. Am 12. Juni 2024 traf man sich im Arbeitsgericht wieder, Saal 116. Die Mitarbeiterin wehrte sich gegen die Abmahnung ihres Arbeitgebers, die Bürgerschaftskanzlei.

Sie sprach von einem "Elefanten im Zimmer". Es gebe keine parteipolitisch unabhängige Arbeit des Arbeitsstabs. "Ein sinnvolles und umfassendes Vorgehen ist nicht erwünscht, Konzepte und Zeitpläne fehlen, kritische Fragen und kreative Überlegungen werden seit zwei Jahren unterdrückt",  so ihre Aussage vor Gericht. Der Zwischenbericht, habe Zeit gekostet, die nun "für die Aufklärung zur politischen Einflussnahme bei anderen Banken, unter anderem der HSH Nordbank" fehle. 

Landesarbeitsgericht soll nun entscheiden

Mehrere der Mitarbeiter sehen es wie die Klägerin, sie sollen frustriert gewesen sein, weil sie sich ausgebremst fühlten. Das Vorgehen des früheren Arbeitsstableiters war bereits Thema in den Medien, als es um den Verbleib von zwei Laptops mit Cum-Ex-Ermittlungsunterlagen für den Untersuchungsausschuss ging. 

Experte Peter Glauben, Mitautor eines Standardwerks zu Untersuchungsausschüssen, kritisiert die Abmahnung: "Dass eine Mitarbeiterin abgemahnt wird, weil sie angeblich Interna aus dem Arbeitsstab an den U-Ausschuss gibt, ist ganz einfach Kokolores. Der Arbeitsstab arbeitet schließlich für den U-Ausschuss und soll kein Eigenleben bilden." Das Hamburger Arbeitsgericht sah es offenbar ähnlich, gab der Mitarbeiterin Recht und ordnete an, die Abmahnung aus der Personalakte zu entfernen. Dagegen ging die Hamburger Senatskanzlei in Berufung, derzeit liegt der Fall beim Landesarbeitsgericht Hamburg. Anfang 2025 soll dort verhandelt werden.

Nach dem Ausscheiden Jänickes hat ein anderer SPD-Mann interimsmäßig die Leitung des Arbeitsstabs übernommen, der wiederum im April 2024 durch eine von der SPD vorgeschlagene Frau, Petra Frantzioch, ersetzt wurde. Sie ist nun dafür zuständig, auch die Verstrickung der HSH Nordbank in die Cum-Ex-Aktiengeschäfte zu untersuchen.

Befragung von Scholz als Schlusspunkt?

Am Freitag wird nun der Kanzler zu den Vorgängen rund um die einst staatliche Bank befragt. Das Geldhaus sollte 2014 - während der Amtszeit von Scholz -  verkauft werden. Freiwillig hatte die Bank Cum-Ex-Geschäfte offengelegt und 126 Millionen Euro an den Fiskus zurückgezahlt. Die Staatsanwaltschaft Hamburg sah damals keinen Grund zu ermitteln. Und auch sonst schenkten die Behörden der selbstständigen Aufklärung des Geldhauses offenbar großes Vertrauen. Erst Jahre später leitete die Staatsanwaltschaft Köln ein Verfahren gegen die Bank ein.

Die Befragung von Scholz könnte eine Art Schlusspunkt werden. Viel Zeit bleibt dem Arbeitsstab nicht, um neue Erkenntnisse zu verarbeiten. Im März wird in Hamburg gewählt. Bis dahin muss der Abschlussbericht vorliegen.