Das Straflager IK-6 in Melechowo bei Moskau
Exklusiv

Bundesregierung Keine Auskunft zu Putins Straflagern

Stand: 20.07.2022 10:58 Uhr

Die Menschenrechtslage im russischen Strafvollzug gilt als schlecht. Es gibt Folter, Misshandlungen und Korruption. Die Bundesregierung hat Erkenntnisse zu den Zuständen dort, verweigert jedoch die Auskunft.

Die Strafkolonie IK-6 liegt in Melechowo in der Region Wladimir, rund 250 Kilometer östlich von Moskau. Es ist ein besonders strenges Lager, das berüchtigt und gefürchtet ist. Ehemalige Insassen berichten von Folter, Misshandlungen und sexueller Gewalt. Seit einigen Wochen hat IK-6 einen neuen, prominenten Gefangenen: Der Oppositionelle und Putin-Gegner Alexej Nawalny wurde Mitte Juni in diese Kolonie verlegt. Mindestens neun weitere Jahre soll er hier nun einsitzen.

Es sei ein "monströser Ort", sagte Nawalnys Sprecherin Kira Jarmysch über das Straflager. Die dortigen Zustände seien schlechter als in anderen Lagern. Es seien weniger Besuche erlaubt, außerdem dürften die Häftlinge weniger Post empfangen. "Es ist eines der fürchterlichsten russischen Gefängnisse."

Mehr als 460.000 Gefangene soll es in Russland derzeit geben, auf die Bevölkerung umgerechnet hat das Land damit die höchste Häftlingsquote in Europa. Es gibt unterschiedliche Formen von Gefängnissen - von Untersuchungshaftanstalten, Erziehungslagern und Strafkolonien bis hin zu Hochsicherheitsgefängnissen. Und es gibt zahlreiche Berichte über Gewalt, Machtmissbrauch und Korruption.

"Nachhaltige Auswirkungen" auf die Beziehungen zu Russland

Der Bundesregierung liegen offenbar umfangreiche Informationen zu der Menschenrechtssituation im russischem Strafvollzug vor. Doch diese Erkenntnisse sollen nicht öffentlich bekannt werden, wie das Auswärtige Amt auf Anfrage mitteilt. Das Ministerium verweigerte die Herausgabe entsprechender Unterlagen, nachdem der WDR eine Akteneinsicht gemäß Informationsfreiheitsgesetz beantragt hatte.

"Die Herausgabe der geforderten Unterlagen würde nachteilige Auswirkungen auf die internationalen Beziehungen Deutschlands und insbesondere auf die bilateralen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Russischen Föderation haben", heißt es im Antwortschreiben des Ministeriums.

Deutsche in Russland in Haft

"Auch in der gegenwärtigen Krise", so das Auswärtige Amt weiter, sei man darum bemüht, "die diplomatischen Beziehungen zu bestimmten wesentlichen Themen diplomatischer und konsularischer Beziehungen (…) aufrecht zu halten". Ziel sei, "sich ein Minimum an konsularischen Zugangsmöglichkeiten zu erhalten." Daher könnten die besagten Papiere nicht zugänglich gemacht werden, auch nicht in geschwärzter Form.

Die Herausgabe der Dokumente zum Thema Strafvollzug in Russland könnten von der russischen Seite "als Vorwand für eine weitere Einschränkung der Beziehungen genutzt werden", so die Argumentation des Außenministeriums. Insbesondere im Hinblick auf die konsularische Betreuung von deutschen Staatsbürgern in russischen Gefängnissen. "Dies gilt umso mehr, als einige der Unterlagen wertende Aussagen enthalten."

Nach Angaben aus dem Auswärtigen Amt soll sich derzeit eine mittlere zweistellige Zahl deutscher Staatsangehörige in Russland in Haft befinden. Einige dieser Inhaftierten werden durch deutsche Diplomaten konsularisch betreut.

Transparenz als Druckmittel

Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) kritisiert seit Jahren die Gewaltanwendung durch die russische Polizei und sammelt Informationen über die Haftbedingungen und Situation von Insassen in den Gefängnissen des Landes.

"Human Rights Watch fordert das Außenministerium auf, Informationen über die Menschenrechtslage in Russland und anderswo zur Verfügung zu stellen", sagte Wenzel Michalski, Sprecher der Organisation in Berlin. "Eine solche Transparenz kann ein wirksames Instrument sein, um Druck auf Regierungen auszuüben, damit sie solche Missstände beenden."

Im vergangenen Jahr hatten Aktivisten der russischen Menschenrechtsorganisation gulagu.net umfangreiches Videomaterial aus russischen Gefängnissen veröffentlicht. Ein ehemaliger Häftling soll das Material herausgeschmuggelt haben. Darin zu sehen sind Folter, Misshandlungen und auch Vergewaltigungen, die durch Gefängnispersonal und auch andere Häftlinge verübt worden sein sollen. Der Kreml versprach nach Bekanntwerden im Oktober 2021, die Echtheit der Videos überprüfen zu lassen.

"Das Ausmaß an Folter, Korruption, unmenschlicher Behandlung und Morden übertrifft alles", sagte gulagu.net-Gründer Wladimir Ossetschkin, der mittlerweile im französischen Exil lebt und nach dem in Russland gefahndet wird. "Die Welt sieht nun diese massenhaften Verbrechen."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 16. Juli 2022 um 06:18 Uhr.