Unabhängiger Kontrollrat Wer überwacht die Überwacher?
Die weltweiten Abhöraktionen des Bundesnachrichtendienstes (BND) werden seit einem Jahr von einer neuen Behörde überwacht. Wie arbeitet der Unabhängige Kontrollrat?
Auf dem weitläufigen Gelände im Berliner Ortsteil Lichterfelde-West befand sich früher eine preußische Kaserne. Später zog die Wehrmacht ein, nach dem Zweiten Weltkrieg das US-Militär. Heute befindet sich hier, hinter einer Backsteinmauer, eine Außenstelle des Bundesnachrichtendienstes (BND). Doch die Spione haben neuerdings Untermieter.
In einem kleinen Klinkerbau, dem einstigen Pferdestall, kommt regelmäßig eine Gruppe von sechs Männern und Frauen zusammen. Was sie dort besprechen, gehört zu den am besten gehüteten Geheimnissen des Landes. Die ehemaligen Richterinnen und Richter vom Unabhängigen Kontrollrat (UK-Rat), einer neuen Obersten Bundesbehörde, überprüfen seit Anfang 2022 die technischen Überwachungsmaßnahmen des BND, also, wie der Auslandsgeheimdienst die weltweite Telefon-, Internet- oder Satellitenkommunikation durchsucht.
In der Öffentlichkeit kaum bekannt
Die Öffentlichkeit hat noch nicht viel von dem neuen Kontrollorgan mitbekommen. Die Behördenleitung gibt bislang keine Interviews, erst seit Kurzem gibt es eine noch ziemlich spärliche Webseite. Wahrscheinlich gibt es keine so mächtige und gleichzeitig kaum bekannte Behörde. Und bald schon könnte der UK-Rat nach Recherchen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) weitere Aufgaben bekommen.
Innerhalb der Bundesregierung reifen die Überlegungen, wonach das Richtergremium künftig nicht nur die technischen Operationen des BND kontrollieren soll, sondern auch den Bereich der menschlichen Quellen. Dann würden die Kontrolleure beispielsweise darüber wachen, wie der BND weltweit Informanten anwirbt und führt. Außerdem könnte der Rat bald auch für den Verfassungsschutz zuständig sein.
Bisher eher ein Provisorium
Die Diskussion trifft auf eine Behörde, die sich noch immer in einem provisorischen Zustand befindet. Rund 60 Mitarbeitende soll der Kontrollrat einmal haben; gesucht werden nicht nur Juristen, sondern auch IT-Expertinnen oder Politologen. Der Hauptsitz der unabhängigen Behörde, die keinem Ministerium untersteht, befindet sich derzeit im Berliner Regierungsviertel.
Bald aber soll ein Umzug stattfinden, denn die Räumlichkeiten gelten nicht als abhörsicher. Deshalb finden die streng geheimen Sitzungen momentan noch auf dem BND-Gelände im Berliner Südwesten statt. Manchmal müssen die Kontrolleure deshalb mehrmals am Tag zwischen den Standorten pendeln.
Vorgabe aus Karlsruhe
Nach den Enthüllungen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden versuchte die Bundesregierung zunächst, mit kleinen Kurskorrekturen die Kontrolle der Geheimdienste auch hierzulande zu verbessern. Im Frühjahr 2020 machte das Bundesverfassungsgericht dann aber deutlich: Die Überprüfung muss viel umfassender werden. Die Abhöraktionen gehörten vorab genehmigt.
In wenigen Monaten wurde ein neues Gesetz geschrieben, mit dem UK-Rat als große Neuerung. Mitte 2021 wurde der heute 63-jährige Josef Hoch als Präsident vereidigt, ehemaliger Richter am Bundesgerichtshof, davor Vorsitzender am Berliner Kammergericht. Und dann ging alles ziemlich schnell. Der BND erklärte Hoch und seinem Team in Briefings seine Arbeit, dann startete der Testbetrieb. Seit dem 1. Januar 2022 darf die Technische Aufklärung (TA) des BND keine Kommunikation mehr ohne das OK des Rates überwachen.
Arbeitsablauf steht
Diese "Verrechtlichung" hat dazu geführt, dass es jetzt so etwas wie eine Schablone für die Genehmigung gibt. Da ist zunächst die Bundesregierung, die jedes Halbjahr im geheimen Auftragsprofil Themen oder Regionen benennt, die vom BND aufgeklärt werden sollen. Der Dienst meldet dann zum Beispiel Telefonnummern, E-Mail-Adressen oder schlichtweg Suchbegriffe, nach denen Internet oder Funk durchsucht werden sollen. Jede Anordnung muss von der BND-Leitung verschriftlicht werden. Der weltweite Datenfilter ist von großer Bedeutung für den Dienst: Aus der Abteilung TA kommt etwa die Hälfte der rund 500 täglich im BND erstellten Meldungen.
Jeden Dienstag tagt der UK-Rat, um über die Maßnahmen zu beraten, oft viele Stunden. Für eilige Fälle gibt es einen Notdienst. Die Prüfer dürfen Akten, Dateien und die Technik des BND einsehen. Sie haben jederzeit Zutritt zu den Dienststellen des Geheimdienstes und Zugang zu Computern und Servern. Mindestens halbjährlich muss der Rat zudem dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) im Bundestag berichten.
Auch ausländische Anfragen müssen abgesegnet werden
Innerhalb kurzer Zeit musste die gesamte technische Überwachung so umgebaut werden, dass sie von den neuen Kontrolleuren nachvollzogen werden kann. Bis Ende 2022 mussten zudem alle bisher laufenden Maßnahmen verschriftlicht und dem Rat vorgelegt werden - sonst hätten sie umgehend gestoppt werden müssen. Für das BND-Personal ist der Verwaltungsaufwand damit deutlich gestiegen.
Der neue Kontrollrat wacht zudem auch über einen der sensibelsten Bereiche: Die Überwachungsaktionen, die der BND für andere Geheimdienste durchführt. Der US-Abhördienst NSA oder der britische GCHQ übermitteln Zielerfassungen, sogenannte Selektoren. Der BND wiederum gibt diese Suchbegriffe in seine Systeme ein. Auch diese Selektoren müssen nun begründet und vom Kontrollrat abgesegnet werden.
Immer eine Abwägungfrage
Es ist also ein Spagat zwischen Leistungsfähigkeit und Rechtssicherheit. Den Dienst lahm zu legen, das sei jedoch mitnichten das Ziel, heißt es aus dem Umfeld des UK-Rates. Man betrachte sich nicht als Störenfried. Vielmehr sei man Diener, nicht Gestalter des Rechts. Und bald schon könnte die Arbeit als Diener umfassender werden. Grund dafür ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum bayerischen Verfassungsschutzgesetz. Der Staat habe auch die Inlandsnachrichtendienste strenger zu kontrollieren.
Bislang ist die G10-Kommission für Genehmigung der Überwachung im Inland und der deutschen Staatsangehörigen im Ausland zuständig. Der Name bezieht sich auf den Grundgesetzartikel 10. Dort geht es um das Fernmeldegeheimnis. Die Kommission besteht aus etwa einer Handvoll Mitgliedern, die sich alle paar Wochen im Bundestag treffen. Es ist kein Vollzeitjob, die Kommission arbeitet ehrenamtlich. Könnte der neue UK-Rat also auch ihre Aufgabe übernehmen?
Die Regierung hat dem Vernehmen nach dazu bislang noch keine Einigung erzielt. Im Bundesinnenministerium war man meist zufrieden mit der G10-Kommission - die Mitglieder stimmten Abhörmaßnahmen fast immer zu. Auch mit einer Erweiterung der Kommission könnten wohl die Vorgaben aus Karlsruhe erfüllt werden. Das Innenministerium will sich daher noch nicht festlegen: "Eine nähere und abschließende Bewertung wird in den laufenden Abstimmungen erfolgen", erklärte eine Sprecherin.